Выбрать главу

Und dann steht man vor dieser Tür und steckt den Schlüssel ins Schloß. Und dann — — Wärme, Wärme, Ruhe, Ruhe, teefarbene Beleuchtung, das Bernsteinlämpchen. Und, ja, der leise zimtartige Geruch, der ist auch ganz wichtig, es ist die Täfelung aus Dengue-Holz, die nur sehr schwer zu beschaffen war, nur unter größten Umständen.

*

Dreyerley sei deyn Haus,

deyn Hüll, so weder Wind noch Wetter,

deyn Seel, so es dich habet,

deyn Burg, so dich nachtens gar keines

abschlachtet.

*

Die Bautätigkeit, übrigens, wurde hingenommen in diesem Haus, sie erregte kein Aufsehen. Immerhin gab es einige Umstände, Isolierplatten mußten geliefert werden, Holz, Stahlbeschläge. Rohrleitungen mußten verlegt werden. Die Arbeiten gingen nicht gerade leise vonstatten, ein Teil des Flures wurde beansprucht, und das zog sich bis zum Treppenhaus hin. Nun hätte ich mich ja als stiller Bastler in meine Kammer zurückziehen können, um heimlich übers Jahr mein Schächtelchen zu bauen — das war aber gar nicht nötig. Ich ließ nämlich bei dieser Gelegenheit gleich den ganzen Flur renovieren. Was? Ja, tut mir leid, in seiner ganzen Länge, neue Fliesen, Verputz, alles. Veranlaßt von der Bahndirektion? Vom Baudezernat? Alles ist eine Frage der Zuständigkeit, jedenfalls hat sich niemand beklagt. Daß da nebenher auch eine Besenkammer renoviert wurde, konnte beim besten Willen nicht ernstlich ins Gewicht fallen. Zumal ich Sorge trug, daß jeglicher Bauschutt sofort verschwand. Kam der Hausmeister vorbei: Schön, schön, wurde ja auch mal Zeit. Schön, schön. Jawohl, ich ließ sogar den graugrünen Behördenfarbton nachmalen und die beiden Topfpflanzen an den Enden des Korridors stammten von mir.

Übrigens, was den Aufwand anging, möchte ich noch einmal das Klo aus England erwähnen. Es wurde also ein Extra-Spezial-Automat der Londoner Firma Wincastle bestellt, einer der in der Wand verschwindet und sich selbst reinigt, und zwar nahezu geräuschlos. Soviel zum Thema Luxus, der immerhin der Schlüssel ist.

5

Lieber Freund.

Bargeld zu beschaffen hat in Kleinstädten immer einen gewissen Schwierigkeitsgrad. Es ist der Zwiespalt am Bankschalter, der einem zu schaffen macht. Einerseits soll die Identität bewiesen werden, andererseits muß man sich verleugnen, eine Unmöglichkeit genau genommen.

Zunächst aber suche ich das Internet-Café in der Otto-Grotewohl-Straße auf, wo ich Stammkunde bin — ein Zufall, daß es direkt gegenüber der Raiffeisenkasse liegt, aber vielleicht auch ein Omen. Es ist dies hier der Ort, wo wir uns jeden Morgen treffen, das heißt, ich bin derjenige, der sich hier getreulich einfindet — wo hingegen du dich befindest, wird wohl auf ewig ein Geheimnis bleiben. Da hältst du dich ja weitgehend bedeckt, lieber Freund.

Wo bist du?

Hier, ich bin hier.

Wo ist das?

In Suva.

Wo?

Suva (Hauptstadt der Fidschi, 65.000 Einwohner).

Das ist natürlich Unsinn, der Mann ist niemals in Suva gewesen, in Zippendorf höchstens. — Als ich seinerzeit diesen Gesprächsraum, diesen chatroom, der sich bezeichnenderweise «Höllenpforte» nannte, zum ersten Mal betrat, wurde ich aufgefordert, einen Benutzernamen anzugeben, und gab «Robinson» an, wurde jedoch informiert, daß ich nach fünfzehn Robinsons nunmehr der sechzehnte sei und eines Zusatzes bedürfe: Robinson ABC, Robinson & Co oder sonstwie, Robinson Z wie Zeppelin oder Zebulon. Mir wurde sogar die ganze Liste der vorhandenen Robinsons auf dem Bildschirm vorgeblättert, also nannte ich mich «Robinsonsuchtfreitag».

Wo bist du?

In Suva.

Mit Sicherheit nicht!

Aber eines Tages, mein Freund, werde ich dich lokalisieren. Meiner Ansicht nach befindest du dich ganz in der Nähe, in Schwerin? Jedenfalls nicht sehr weit entfernt, gib es zu. «Da kann ich nichts für» und «das kann ich nicht ab», so spricht kein Mensch, so etwas bringt doch höchstens ein Schweriner fertig, das liefert dich ans Messer.

Vorerst aber warte ich auf das Öffnen der Raiffeisenkasse. Von meinem Platz am Fenster kann ich beobachten, wer hier und in welcher Reihenfolge am Morgen den schwarzen, von zwei Glaskonsolen flankierten Eingang betritt — auf den Konsolen zwei rundgetrimmte Buchsbäumchen. Als erster erscheint ein vorsichtiger älterer Herr mit einem Stock mit Krücke — es ist tatsächlich eine silberne Krücke —, man sollte es nicht für möglich halten, in Grevesmühlen kommt der Bankdirektor als Erster. Kein gutes Zeichen.

Es folgen zwei Damen in dunklem Kostüm, die sich nicht wesentlich von dem Direktor unterscheiden, dann junges Gemüse, alle sehr schläfrig, schließlich ein junger Mann im Sakko, blauem Hemd und gelblicher Krawatte, auf den habe ich gewartet. Er wirkt noch übernächtigter, anscheinend ist er noch gar nicht aufgewacht, er verfehlt sogar den Türgriff. Ich kann mich natürlich auch irren.

Ich habe diese frühe Stunde gewählt, weil zu dieser Zeit die Banken — alle Banken — noch etwas steifig sind. Bargeld ist ein hochsensibles Wesen, es liebt keine Aufmerksamkeit, es macht sich rar. Papiere, oh, Papiere kann ich jederzeit beschaffen, Anweisungen, Zuweisungen, Gutschriften, Verschreibungen und Abschreibungen, selbst Dokumente mit echten Stempeln und Siegeln stellen kein eigentliches Problem dar. Aber Bargeld? Bargeld ist scheu, Bargeld macht feuchte Hände.

Wenn ich jetzt hinübergehe, zwanzig Schritt über die Straße, dann bitte ich, das existentiell zu sehen, es beinhaltet all mein bisher Erreichtes, allen Wohlstand und Status. Aber es beinhaltet auch meine künftige Wohlanständigkeit, den künftigen Stand und Status, genauer gesagt, alle Möglichkeiten dessen, was hier irgendwie auf irgendeine Weise schieflaufen könnte. Und das auf zwanzig Schritt. Die ich immer noch zurücknehmen könnte. So etwa drücke ich mich aus, weil ich Wert darauf lege, als denkender Mensch zu gelten, ich bin kein Dieb, ich bin kein Betrüger und bestimmt nicht skrupellos, wenn man versteht, was ich meine.

In der Bankhalle ist außer mir kein weiterer Kunde zu sehen, also steuere ich die erste, nein, die zweite Kasse an — und dann doch die erste, weil dort der junge Mann mit gelber Krawatte sitzt. Bei näherem Hinsehen sind es winzige aufgereihte Jockeys auf gelbem Grund, die alle anscheinend noch müder sind als ihr Träger, jedenfalls scheint man mich, der ich jetzt vor dem Schalter stehe, an diesem frühen Morgen nicht wahrzunehmen. Obwohl mir auch das nicht fremd ist. Der junge Mann schreibt jetzt etwas mit der linken (!) Hand in eine Art Notiz- oder Kontrollbuch. Dann blickt er auf. –

Hier stehe ich.

Noch ein Wort zu Butte Beerbohm: Man nimmt ihn nicht wahr. Er läßt sich nicht wahrnehmen, das ist seine Tugend, und es gibt ihn in jeder Kleinstadt mehrfach. Mittelgroß, etwas bläßlich, Mantel, Mütze, Brille, kein Schal. Im Stadtbild ist er durch zwei kleine Glasfenster vorhanden (die Brille). Oder nicht vorhanden, ein Bekannter, den man nicht kennen will, wenn er grüßt, gibt es da noch die andere Straßenseite. Oder schlimmer, man grüßt aus Versehen, meint aber einen anderen Butte, oder noch schlimmer, er grüßt zurück, das ist dann schon ein kleines Malheur. Butte wohnt immer in der Vorstadt, er hat immer einen Zaun, Nachbarn hat er keine, auch keine, die sich über ihn ärgern könnten. Butte Beerbohm? Den kenne ich, der saß in der Schule ganz vorne. Da saß er nicht. Doch. Den kenne ich, lebt er überhaupt noch?

Ich habe damals lange an der Ecke im Strom der Grevesmühlener Passanten gestanden und mich gefragt, wo geht hier jemand, der hier gar nicht geht — wo fehlt jemand, der nicht fehlt. Ich will sagen, ich habe den Mann sorgsam studiert. Die Größe ist wichtig, genau Mittelgröße, keine leichte Aufgabe, an sich bin ich zu groß, bin aber in der Lage, mich auf gefühlte zehn Zentimeter zu verkürzen, jedenfalls im Gehen, das kriege ich hin. Am Gang erkennt man den Menschen, selbst von hinten, besonders von hinten. Ich will mich nicht brüsten, aber ich bin schon einmal — als es zählte — in der Lage gewesen, einen äußerst kurzbeinigen Japaner hinzukriegen, in Panik mit gebeugten Knien nach allen Seiten zugleich laufend. Eine Frage der Ästhetik.