Womöglich noch gefährlicher als der jüdische Aufstand, der von den Römern lokalisiert werden konnte, war die Erhebung der Bataver und Canninefaten am Niederrhein. Als Grund hierfür werden die von Vitellius im Kriege gegen Vespasian angeordneten Aushebungen angegeben. Antonius Primus hatte den Bataver Julius Civilis aufgefordert, sich den Befehlen des Vitellius zu widersetzen, es sollten dadurch Kontingente der Rheinarmee gebunden werden. Der Aufstand aber loderte nach dem Siege Vespasians nicht nur weiter, er zog sogar noch größere Kreise, weil sich ihm nicht allein Truppen der Rheinarmee, sondern auch die Frisen und Stämme des benachbarten Galliens anschlossen. Zu den letzteren gehörten die Treverer und die Lingonen, ja sogar Stämme der Belgier wie die kampfkräftigen Nervier. Anführer waren der Treverer Classicus und der Lingone Sabinus. Bei den römischen
Truppenteilen am Rhein hatte sich jegliche Disziplin aufgelöst, sie meuterten und erschlugen den Legaten Hordeonius Flaccus nebst anderen Offizieren. Es war an die Errichtung eines gallischen Sonderreiches gedacht, eine Absicht, die vielleicht hätte verwirklicht werden können, wenn sich die Aufständischen einig gewesen wären. Auf jeden Fall aber war der Schaden für das Imperium groß genug, denn alle Legionslager am Rhein (mit der einzigen Ausnahme von Mainz) gingen in Flammen auf. Auf germanischer Seite spielte die Seherin Veleda eine Rolle. Von ihrer späteren Anwesenheit in Ardea in Latium zeugt eine merkwürdige griechische Inschrift. Von Vindonissa (Windisch) aus bereiteten die Römer ihre Gegenmaßnahmen vor, sie entsandten ein Heer unter dem Befehl des Q. Petillius Cerialis gegen die Aufrührer. Auf einem Kongreß zu Reims boten die Aufständischen dem Petillius die Königswürde über die Gallier an, was der römische Feldherr jedoch abgelehnt hat. Gegenüber Julius Civilis vermochte Petillius einige Erfolge zu erringen, so besiegte er ihn in der Nähe von Vetera (Xanten) und drang auf die Insel der Bataver vor. Die Kämpfe wurden, wie es scheint, durch ein Übereinkommen zwischen dem Römer und Julius Civilis beendet. Da die <Historien> des Tacitus an dieser Stelle (V 26) abbrechen, ist über das Ergebnis der Verhandlungen - sie wurden auf einer Brücke über die Nahalia (Waal) geführt - nichts bekannt. Doch scheint die Aufstandsbewegung beendet gewesen zu sein. Petillius wurde nach England versetzt, wo ihm in den folgenden Jahren (71-74) die Eroberung weiter Gebiete in Nordengland gelungen ist.
Seit dem Spätherbst des Jahres 70 herrschte auch am Rhein wieder Ruhe. Vespasian fand nunmehr die Zeit, die Erneuerung des Reiches in Angriff zu nehmen. Über seine persönlichen Qualitäten kann es keinen Zweifel geben: Vespasian war ein nüchterner, allen Extravaganzen abholder Herrscher, der vor allem auch seine Soldaten im Zaum zu halten wußte. Der Bestand der Dynastie schien gesichert durch die Existenz von zwei tüchtigen Söhnen, von denen Titus damals 30 Jahre, Domitian 18 Jahre zählte. Vespasians Energie machte sich auf allen Gebieten fühlbar, dazu war er persönlich sehr anspruchslos, eher geizig als sparsam, hierin das völlige Gegenbild seiner Vorgänger Otho und Vitellius. Ungebildet war er nicht, obwohl er den größten Teil seines Lebens im Feldlager zugebracht hatte. Er konnte Homer und Menander zitieren, und die Vita des Sueton erzählt von seinen Spaßen, mit denen er sich oft aus prekären Situationen rettete. In Alexandrien hatte Vespasian einen Blinden und einen Lahmen geheilt. Der ganze Orient wußte seitdem, daß auf dem neuen Prinzeps der Segen des Allerhöchsten ruhte. Schon vor seinem Eintreffen in Rom (Herbst 70) hatte man mit der Erneuerung des Kapitols begonnen, am 21. Juni 70 war der Grundstein gelegt worden. Vespasian soll später in eigener Person bei der Enttrümmerung mitgewirkt haben. Eine seiner ersten Maßnahmen war die Verringerung der Zahl der Prätorianer von 16 auf neun Kohorten. Am Ende des Jahres 71 wurde der Janustempel wieder geschlossen, obwohl der jüdische Aufstand noch immer nicht ganz erloschen war. Um die Nachfolge seiner Söhne war Vespasian sehr besorgt. Nicht weniger als siebenmal bekleidete Titus zusammen mit dem Vater das Consulat. Titus, der den Titel Caesar führte, hatte außerdem nach seiner Rückkehr aus dem jüdischen Krieg das Imperium proconsulare und die tribunida potestas erhalten. Auch Domitian ist unter seinem Vater nicht weniger als sechsmal Consul gewesen, davon allerdings fünfmal Consul suffectus. Vespasian hat es ganz unumwunden ausgesprochen: «Entweder sollen meine Söhne meine Nachfolger sein - oder niemand» (Suet. Vesp. 25). Titus erhielt außerdem die Prätorianerpräfektur, ein völliges Novum in der Geschichte des römischen Prinzipats.
Die Aufgabe, vor die sich Vespasian gestellt sah, war unendlich schwierig. Die Finanzen waren erschöpft, in weiten Teilen des Reiches herrschte Unordnung, das Heer war verwildert und mußte erst wieder an Disziplin gewöhnt werden. Die wichtigste Aufgabe, von der geradezu der Bestand des Imperiums abhing, aber war die Neubildung einer Führungsschicht. Ein großer Teil der römischen Nobilität hatte sich durch sein Zusammenwirken mit Nero so stark kompromittiert, daß er für die hohen Stellungen in der Reichsverwaltung nicht mehr in Betracht kommen konnte. Durch den Aderlaß der Bürgerkriege des Vierkaiserjahres war der römische Senat dezimiert, dazu hatten viele Senatoren und Ritter durch Konfiskationen ihre Vermögen verloren. Unter Vespasian sind neue Männer an ihre Stelle getreten. Dies gilt nicht nur für den Senatorenstand, sondern auch für die Ritter. Bei den Senatoren erfolgte die Ergänzung entweder durch die Verleihung des latus clavus seitens des Prinzeps oder aber auf dem Wege über die adlectio, wobei den Neuaufgenommenen zugleich der Rang eines Tribuniziers, Ädiliziers oder Prätoriers, in späterer Zeit auch der Rang eines Consulars, zugeteilt wurde. Die Neuernannten waren zum Teil ehemalige Angehörige des zweiten Standes, des ordo equester. Dies gilt z. B. für Sex. Lucilius Bassus, der unter Vespasian Präfekt der beiden Flotten von Ravenna und Misenum gewesen ist und der später den Posten eines Legaten von Judaea übernommen hat. Im übrigen waren es vor allem Offiziere, die sich im Bürgerkriege auf seiten Vespasians ausgezeichnet hatten. Nicht durch Zufall ist die Zahl der homines novi unter den Consularen der Flavier sehr beträchtlich, wenn auch die meisten unter ihnen erst unter Domitian den Gipfel ihrer Laufbahn erreicht haben. Auch eine Anzahl von Patriziern hat Vespasian neu ernannt, indem er einen Brauch wieder aufnahm, für den Caesar und Augustus durch besondere Gesetze, der letztere durch die Lex Saenia, ermächtigt gewesen waren. Die Maßnahme war notwendig geworden, weil zahlreiche altberühmte Familien der Patrizier ausgestorben waren. Zu den neuen Patriziern gehören so bekannte Persönlichkeiten wie Cn. Julius Agricola, der
Schwiegervater des Historikers Tacitus, M. Ulpius Trajanus, der Vater des späteren Prinzeps, und M. Annius Verus, der Großvater des Kaisers Mark Aurel. Im ganzen hat Vespasian eine sehr glückliche Hand bewiesen, nicht wenige der neuen Männer haben es in späteren Jahrzehnten zu hohen Ehrenstellungen im Reich gebracht. Bemerkenswert ist ferner, daß manche der neuen Männer aus den Provinzen stammten, wo sie zumeist in römischen Kolonien aufgewachsen waren, Trajan in Italica, Annius Verus in Ucubis, Agricola in Forum Iulii (Frejus).
Wie unter Nero, so gab es auch unter den Flaviern eine Opposition, welche die Ideale der alten längst untergegangenen res publica libera auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Getragen wurde sie vor allem von Senatoren stoischer Einstellung. Das Haupt der Gegenströmung unter Vespasian war der Stoiker Helvidius Priscus. Er war der Schwiegersohn des Thrasea Paetus, der unter Nero hingerichtet worden war. Helvidius Priscus leistete dem Prinzeps, wo er nur konnte, entschlossenen Widerstand. Dabei schreckte er auch vor ausgesprochenen Taktlosigkeiten nicht zurück. Es war kein Wunder, wenn die Geduld Vespasians schließlich ein Ende hatte. Helvidius wurde zunächst verbannt, dann hingerichtet, er ist eines der ganz wenigen Opfer der Regierung des Vespasian gewesen. Schon im Jahre 71 hatte Vespasian die kynischen Bettelphilosophen und die Astrologen aus Rom ausgewiesen, im Jahre 74 kam es zu einer allgemeinen Philosophenvertreibung aus Rom und wohl aus ganz Italien; ausgenommen war nur Musonius Rufus, der jedoch wenig später in die Verbannung gehen mußte und erst unter Titus zurückkehren durfte. Sehr viel schärfer wurde der Kurs unter Domitian (81-96). Unter der Zahl seiner Opfer waren Herennius Senecio - seine Bücher wurden auf dem Forum verbrannt -, Helvidius Priscus der Jüngere, der an dem Privatleben Domitians literarische Kritik geübt hatte, und Q. Junius Rusticus Arulenus. Diese Männer wurden hingerichtet, während der Bruder des letztgenannten, Junius Mauricus, nur verbannt wurde. Das gleiche Schicksal wartete auf den gefeierten griechischen Redner Dion Chrysostomos von Prusa. Er mußte in die Fremde gehen und hat allenthalben den Haß gegen Domitian, den Unterdrücker, geschürt. Für die Stoiker war vor allem die Erbmonarchie ein Stein des Anstoßes, sie wurde ohne weiteres mit der Tyrannis gleichgesetzt. Bei allem persönlichen Mut der Stoiker ist nicht zu übersehen, daß sie vielfach für die Wirklichkeit keine n rechten Blick hatten und sich in Ideologien flüchteten. Unter der Herrschaft des Trajan ist die Opposition verstummt, Dion Chrysostomos ist einer der ersten gewesen, der, wiederum ganz im Sinne der stoischen Lehre, den neuen Prinzeps als den Lenker und Führer des Staates gepriesen hat.