Der Einfluß der etruskischen Zivilisation auf das frühe Rom und auf das übrige Italien, insbesondere auf die zentralen und nördlichen Landschaften, kann kaum überschätzt werden. Er wäre noch weit größer gewesen, hätten sich die Etrusker nicht einer Sprache bedient, die in der westlichen Kulturwelt völlig isoliert gewesen ist. Trotzdem war die Herrschaft der Etrusker in Rom und in Italien viel mehr als nur eine Episode: auf zahlreichen Gebieten der Zivilisation haben die Etrusker ihre Spuren hinterlassen, auch die römische Religion ist durch das Etruskertum maßgebend geprägt worden. Aber mit dem Sturz der Tarquinier in Rom beginnt eine neue Epoche, die Geschichte der römischen Republik. Sie ist Jahrhunderte lang durch die mächtigen Adelsfamilien bestimmt worden.
5. Italien und Rom im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr.
Der Sturz des etruskischen Herrschergeschlechts in Rom gegen 500 v. Chr. ist historisch von weitreichender Bedeutung: die Landverbindung zwischen Rom und Campanien geht damit den Etruskern verloren, zwischen die Stammlandschaft Toscana und die von Etruskern beherrschten Städte Campaniens schiebt sich ein eigenes Staatsgebilde, das bald auch außenpolitisch in Erscheinung treten sollte.
Die Vertreibung des etruskischen Königsgeschlechts aus Rom ist im übrigen ein Teil der altitalischen Sozialgeschichte. Sie wäre nicht möglich gewesen, hätte nicht das römische Patriziat jene Kräfte entwickelt, die sich dem Königtum überlegen gezeigt haben. Das Ende des Königtums in Rom gehört in den großen Zusammenhang der Emanzipation des freien Bürgertums, wie dies etwas später auch in den Griechenstädten Siziliens offenbar geworden ist (Sturz der älteren Tyrannis, 461). Auch in Athen war das Ende der Peisistratidenherrschaft im Jahre 510 der Beginn der Herrschaft des durch Kleisthenes politisch mündig gewordenen Bürgertums.
In der Schlacht bei Alalia (auf Korsika) hatten die vereinigten Kräfte der Karthager und Etrusker gegen die Flotte der Griechen im Westmeer gestanden (nach 540 v. Chr.). Karthago war schon damals eine achtunggebietende Macht, die niemand im westlichen Mittelmeer ignorieren konnte, auch nicht die Römer, die sich der etruskischen Königsherrschaft entledigt hatten. Mit dem 1. römisch-karthagischen Vertrag beginnt die äußere Geschichte der jungen römischen Republik. Der Vertrag ist ohne Datierung überliefert, Polybios hat ihn jedoch in das Jahr 508/07 v. Chr., nach Polybios das erste Jahr des römischen Freistaats, gesetzt. In diesem Vertrag erkennen die Römer und ihre Bundesgenossen eine Fahrtgrenze im Mittelmeer an, sie verpflichten sich, nicht über das «Schöne Vorgebirge» hinauszufahren, es sei denn im Falle höherer Gewalt. Wenn die Römer in Libyen, Sardinien und im karthagischen Teil Siziliens Handel trieben, so war die Anwesenheit eines Herolds (keryx) oder eines Urkundsbeamten (grammateüs) erforderlich. Daß der Vertrag kurz vor 500 v. Chr. angesetzt werden muß, zeigt die Erwähnung der latinischen Küstenstädte: Ardea, Antium, die Stadt der Laurenter (Lavinium), Circei, Terracina (das noch seinen alten Namen besitzt und noch nicht Anxur heißt, wie es nach der Eroberung durch die Volsker genannt wurde). Diese alle und diejenigen unter den Latinern, die als Roms Untertanen gelten, bleiben vor dem Zugriff der Karthager geschützt, nicht aber die übrigen Latiner, die vielmehr nur einen eingeschränkten Schutz erhalten. Falls die Karthager eine Stadt der letzteren einnehmen, so soll diese den Römern unversehrt übergeben werden. Befestigte Stützpunkte in Latium zu errichten wird den Karthagern untersagt; wenn sie latinischen Boden betreten, so dürfen sie auf ihm nicht übernachten. - Der Vertrag zeigt, daß Rom zwar noch eine gewisse Oberhoheit über Latium beansprucht, daß es diese aber nicht mehr in vollem Umfange besitzt. Zwar steht die Küste von der Tibermündung bis hin nach Terracina unter römischer Herrschaft, aber es gibt Latinerstädte, die Roms Herrschaft nicht anerkennen. Eben dies aber ist der Zustand nach der Vertreibung der Tarquinier. Anderseits ist Karthago zweifellos die überlegene Macht, es steht noch ganz unerschüttert da; dies trifft viel eher auf die Zeit um 500 als um 470 zu. So konnten die Karthager ohne weiteres die Anerkennung von Sperrzonen für den römischen Handel durchsetzen. Das Gebiet östlich des Schönen Vorgebirges (wahrscheinlich = Kap Farina), d. h. die Häfen und die Gebiete an der Großen Syrte, blieben den Römern verschlossen. Hatte hier der Kolonisationsversuch des Dorieus für die Karthager abschreckend gewirkt?
An der Authentizität der Vertragsurkunde kann kein Zweifel
bestehen. Das beweisen auch die Bemerkungen des Polybios (III 22, 3) über die Sprache des Vertragsinstruments: sie weiche von der späteren so stark ab, daß auch die sprachkundigsten Gelehrten einige Stellen nur mit Mühe nach eingehender Erwägung hätten verstehen können - eine Bemerkung, die nur dann ihren Sinn erhält, wenn es sich um eine in stark archaischem Latein geschriebene Urkunde handelt, die um 500 v. Chr., in der Zeit des Lapis Niger, und nicht erst um 400 v. Chr., abgefaßt worden war. Für die Karthager aber war Rom eine der zahlreichen Gemeinden Italiens, zu denen man Beziehungen unterhie lt, allerdings eine wichtige, da sie unter den etruskischen Herrschern eine Hegemoniestellung in Latium behauptet hatte.
Aber Rom hatte in Latium Rivalen. So hat ein gewisser Egerius Baebius aus Tusculum als dictator Latinus einen heiligen Hain (lucus) der Diana von Aricia geweiht. Nach Cato gehörten zu diesem Latinerbunde die Gemeinden Aricia, Tusculum, Lanuvium, der populus Laurens, Cora, Tibur, Pometia und Ardea. Es fehlen also, abgesehen von Rom, noch die wichtigen Orte Praeneste, Fidenae, Labicum, um nur einige zu nennen. Was war in der Zwischenzeit geschehen? Unzweifelhaft hatte Rom seine Hegemonie über Latium eingebüßt, es hatte sich ein Städtebund gebildet, dem auch Aricia und der populus Laurens, die Rom noch in dem ersten Vertrag mit Karthago als seine Untertanen bezeichnet hatte, angehörten. Diese Entwicklung ist nur in einer Schwächeperiode Roms denkbar, die etwa um 500 v. Chr., bald nach dem Abschluß des ersten Karthagervertrags, anzusetzen ist. War es dieser Latinerbund, der bei Aricia den Sieg über Aruns, den Sohn des Porsenna, davongetragen hatte? Wir wissen es nicht, aber der Sturz der Tarquinier hatte in Latium Kräfte freigemacht, die sich nun betätigen konnten, ohne noch länger an Rom gebunden zu sein.
Auch in der früheren Zeit war das Verhältnis zwischen Rom und Latium nicht immer friedlich gewesen. Wie man die späte Überlieferung auch beurteilen mag - daß die Stadt Alba Longa einst eine bedeutende Rivalin Roms gewesen war, bis sie den römischen Waffen zum Opfer gefallen war (wahrscheinlich im 7. oder spätestens in der ersten Hälfte des 6. Jh. v. Chr.), ist sicherlich eine historische Tatsache.
Neben Rom hat in Latium auch Praeneste eine wichtige Rolle gespielt, es verfügte über 8 untertänige Gemeinden, auch Tibur nannte einige kleinere Orte sein eigen. Es liegt auf der Hand, daß diese sich vielfach kreuzenden hegemonialen Bestrebungen zu Zusammenstößen führen mußten, an denen natürlich auch Rom beteiligt gewesen ist. In der Tat berichtet die Annalistik von einem kriegerischen Zusammenstoß zwischen den Latinern (omne Latium) und Rom, und zwar in der Zeit bald nach 500 v. Chr. Angeblich soll der Krieg mit einem Siege der Römer am See Regillus geendet haben, jedoch ist die Geschichtlichkeit dieser Schlacht nicht über alle Zweifel erhaben. So viel ist jedoch sicher: der Krieg wurde durch einen Bündnisvertrag beendet, die Bedingungen sprechen übrigens dagegen, daß Rom einen durchschlagenden Sieg über die Latiner errungen hatte, obwohl dies in der annalistischen Tradition behauptet wird. Die Vertrags urkunde stand noch zu Ciceros Zeiten auf einem Bronzepfeiler hinter den Rostra auf dem Forum Romanum. Rom und die Latiner schlossen einen ewigen Frieden, sie verpflichteten sich, keine Feinde gegeneinander heranzuführen, sondern sich gegenseitig beizustehen, falls sie angegriffen würden. Die Beute sollte geteilt werden, private Streitigkeiten waren dort zu schlichten, wo das Rechtsgeschäft abgeschlossen worden war, und zwar binnen 10 Tagen. Außerdem wurde das Pfändernehmen gegenüber einem privaten Schuldner zum Zwecke der Selbsthilfe anerkannt.