Die Durchdringung Italiens mit römischem Geist und mit römischer Kultur ist ein Vorgang, der sich erst allmählich vollzogen hat, seinen vorläufigen Abschluß fand er mit dem Ende des Bundesgenossenkrieges (89 v. Chr.). Interessant sind die Wandlungen, die der Begriff Italia im Laufe der römischen
Expansion durchgemacht hat. Vom Süden aus hat der Name Italia seinen Siege szug nach dem Norden angetreten, unter dem Begriff der Italici werden die Angehörigen der Wehrgemeinschaft unter Roms Führung zusammengefaßt. Die Verbindung Roms mit den volkreichen Stämmen Italiens einerseits und mit den Griechenstädten des Südens anderseits ist ein Vorgang von weiter historischer Fernwirkung. In der römischitalischen Wehrgemeinschaft ist ein Staatenbund entstanden, der, was die Zahl seiner Einwohner und die Ausdehnung des von ihm kontrollierten Gebietes betrifft, im Westen des Mittelmeerraumes ohne jede Konkurrenz ist. Rom aber und seine führende Schicht haben hier einen glänzenden Beweis ihrer staatsmännischen Einsicht erbracht: eine Minderheit hat einer vielfachen Mehrheit ihren Willen aufgezwungen und die Kräfte von ganz Mittel- und Süditalien zu einem planvollen Einsatz unter römischer Führung gebracht.
7. Der 1. Punische Krieg (264-241 v. Chr.)
Als Pyrrhos Sizilien verließ, soll er gesagt haben: «Welchen Kampfplatz überlassen wir den Römern und Karthagern!» Der Ausspruch ist schwerlich historisch, er ist wahrscheinlich ein vaticinium ex eventu. Aber die Frage bleibt, ob der Zusammenstoß zwischen den Römern und Karthagern auf Sizilien ein unvermeidliches Ereignis gewesen ist. Ernst Kornemann spricht geradezu von der «schicksalhaften Verflochtenheit der Dinge, die weit über Menschenwitz und Menschenkunst den Agrarstaat vorwärts getrieben habe, vermöge des in ihm innewohnenden Machtund Ausbreitungstriebes für die nach Brot und Betätigung schreienden Massen». Andere Forscher betonen dagegen, daß zwar eine weitere Expansion Roms kaum aufzuhalten, daß aber ein Übergreifen der Römer auf Sizilien bereits im Jahre 264 in keiner Weise unausweichlich gewesen sei, zumal es schwierig sein mußte, die Insel in das römische Hegemonialsystem einzubeziehen. Aber Rom konnte es sich auf die Dauer einfach nicht leisten, die Entwicklung in Sizilien zu ignorieren, und zwar um so weniger, als die Griechengemeinden der Insel durch vielfache Bande mit den Hellenenstädten Unteritaliens, den socii navales der Römer, verbunden waren.
Rom und Karthago, die auf Sizilien gegeneinander in die Schranken getreten sind, waren die bei weitem mächtigsten Staaten der westlichen Mittelmeerwelt. Beide hatten sich aus einer Stadt als Urzelle entwickelt, doch hatten sie ganz verschiedene Wege eingeschlagen, Rom hatte die mächtige Wehrgemeinschaft in Italien aufgebaut, Karthago dagegen war zum Mittelpunkt eines großen Handelsreiches geworden, das sich von den Küsten Iberiens über die Balearen bis nach Sardinien und Sizilien, an der afrikanischen Küste von Marokko bis an die Grenze der Cyrenaica erstreckte.
Die Karthager waren ihrer Herkunft nach Phöniker, die Römer nannten sie deshalb Poeni; ihre Stadt (Karthago bedeutet «Neustadt») war eine Kolonie der Tyrier, die Gründung gehört in die Zeit um 800 v. Chr. Am Schnittpunkt zahlreicher Verkehrslinien gelegen, hat Karthago einen steilen Aufstieg erlebt, im westlichen Mittelmeer war es die bedeutendste Handelsmetropole, vor allem seitdem es den Karthagern im Bunde mit den Etruskern gelungen war, die griechische Konkurrenz in den westlichen Gewässern zu überwältigen (Seeschlacht bei Alalia auf Korsika, nach 540 v. Chr.). Kühne Seefahrer der Karthager drangen um 500 v. Chr. an der Westküste Afrikas entlangfahrend bis nach Kamerun vor (Hanno), andere erkundeten den Seeweg von Spanien nach den «Zinnländern», der Bretagne und Cornwall (Himilko). Dazu hatte Karthago seine Stützpunkte in Sizilien (Panormos, Solus und Motye) seit dem Jahre 409 v. Chr. zu einer regelrechten Provinz (epikrateia) erweitert, gegen alle Angriffe der Griechen (Dionysios L, Timoleon, Agathokles und Pyrrhos) hatten die Karthager ihre Positionen in Westsizilien behauptet. Abgesehen von der sizilischen Epikratie kann von einer wirklichen Organisation des karthagischen Herrschaftsgebietes kaum die Rede sein. Es ist im wesentlichen ein System von Stützpunkten und Handelsfaktoreien, einem weiten Netz über dem westlichen Mittelmeerraum vergleichbar. Mit den Nachbarn schlossen die Karthager Verträge, bei denen sie nach Möglichkeit Sperrzonen festlegten, die den Schiffen der Vertragspartner verschlossen blieben. Von einem politischen Imperialismus waren die Karthager zunächst noch weit entfernt; bezeichnend hierfür ist die Tatsache, daß man den Libyern im Hinterland von Karthago Tribut entrichtete, erst im Verlaufe des 5. Jh. wurden die libyschen Stämme unterworfen; ebenso wie die Berber und Numider finden sie sich von nun an im karthagischen Heere, das sich vor allem aus Söldnern verschiedenster Nationalität (Kelten, Iberer, Ligurer, Griechen) rekrutiert.
Die Leitung des karthagischen Staates liegt in den Händen einer zahlenmäßig beschränkten Aristokratie. Die Spitze bilden die beiden Sufeten («Richter»), die eigentlich regierende Körperschaft aber ist der «Rat der Dreihundert», aus dessen Mitte ein Ausschuß der «Dreißig» gebildet wird. Dazu kommt noch der Staatsgerichtshof der «Hundertvier», er hat über die Verfassung zu wachen, seine Mitglieder bleiben längere Zeit, wenn nicht lebenslänglich, im Amt. Die Verfassung ist aristokratischtimokratisch, ganz nach dem Vorbild der großen phönikischen Metropolen. Von einer Übernahme spartanischer oder westgriechischer Elemente kann nicht die Rede sein, wohl aber haben sich die Karthager in späterer Zeit hellenistische Verwaltungsprinzipien zunutze gemacht. Bemerkenswert ist der Gegensatz, der sich zwischen dem Heer und dem Staatswesen in Karthago herausgebildet hat. Der Befehlshaber - oft genug ein Ausländer ist zwar von der Regierung abhängig, aber immer wieder gibt es Zwistigkeiten, und nicht selten ist es vorgekommen, daß die Strategen den Weg des bewaffneten Aufstands gegen die Stadt beschriften haben.
Das Epochenjahr in den Beziehungen zwischen Rom und Karthago ist das Jahr 270. Damals hatte Rom sich in den Besitz von Rhegion gesetzt (s. S. 49). Jenseits der Meerenge aber, in Messana, existierte immer noch die Republik der campanischen Mamertiner, die sich nicht nur gegenüber Pyrrhos, sondern auch gegenüber Hieron II., dem Herrscher von Syrakus, behauptet hatte. Allerdings war ihre Lage schwieriger geworden, seitdem es Hieron gelungen war, die Mamertiner am Longanosfluß (unweit von Mylai) aufs Haupt zu schlagen (269). In ihrer Bedrängnis wandte sich ein Teil der Mamertiner an die Karthager mit der Bitte, eine Besatzung in die Burg von Messana zu legen. Als die karthagische Besatzung ihren Einzug in die Stadt gehalten hatte, standen sich Römer und Karthager, nur durch die Straße von Messina getrennt, gewissermaßen Stirn an Stirn, gegenüber. Ein anderer Teil der Mamertiner aber richtete an Rom ein Hilfegesuch. Der Senat konnte sich jedoch zu einer Entscheidung nicht durchringen, die Consuln brachten die Sache vor die Volksversammlung (comitia centuriata). Diese aber stimmte dem Hilfegesuch der Mamertiner zu, angeblich wegen des reichen Gewinns, den man sich von einem sizilischen Feldzug erhoffte. Messana aber erhielt eine römische Besatzung, die karthagische Truppe wurde aus der Stadt vertrieben. Da erschien Hieron II. vor Messana, er hatte überraschenderweise mit den Karthagern ein Bündnis geschlossen und wollte nun die Römer zum Abzug veranlassen. Der römische Consul Ap. Claudius Caudex brachte die Entscheidung, er hatte in Rhegion Verhandlungen mit dem Karthager Hanno geführt, sie waren ohne Ergebnis geblieben. Für Claudius aber war die Tatsache des bellum iustum gegeben, und zwar zur Verteidigung römischer Bundesgenossen, so erklärte denn der Consul den Karthagern den Krieg (264).