Hatten sich die Römer bisher auf die Abwehr der Kelteninvasion beschränkt, so gingen sie nunmehr zur Offensive über. Sie unterwarfen zunächst die Bojer, die in ein Vertragsverhältnis zu den Römern getreten sind. Im Jahre 223 erschien ein römisches Heer im Gebiet der Insubrer, dabei leisteten die Cenomanen den Römern Hilfe. Den Oberbefehl hatte der Consul C. Flaminius inne. Fabius Pictor (bei Polybios) hat ihn übrigens in sehr ungerechter Weise beurteilt; man darf dabei nicht vergessen, daß Flaminius wegen seiner späteren Niederlage am Trasimenischen See in Rom als Sündenbock gegolten hat. Erst das Jahr 222 brachte die EntScheidung. Unter den Consuln M. Claudius Marcellus und Cn. Cornelius Scipio fiel wieder ein römisches Heer in das Land der Insubrer ein. Diese aber hatten Gäsaten in ihren Dienst genommen, angeblich 30000 Mann. Die entscheidenden Kämpfe spielten sich im Raum nördlich und westlich von Piacenza ab, bei Acerrae (Pizzighettone) und Clastidium (Casteggio). Die Römer unter C. Flaminius hatten Clastidium befestigt, es wurde aber von den Kelten belagert. In der Schlacht bei Clastidium tötete der römische Consul M. Claudius Marcellus im Zweikampf den keltischen Häuptling Virdumarus, wodurch er die spolia opima (für die Tötung des feindlichen Anführers mit eigener Hand) errungen hat. Viele von den Kelten sollen in einem reißenden Fluß auf der Flucht ums Leben gekommen sein. Der Feldzug wurde mit der Erstürmung Mediolanums abgeschlossen (222).
Die Befriedung des Gebiets zwischen dem Po und den Alpen war damit praktisch vollendet. Der Erfolg der Römer hat sich aber nicht als dauerhaft erwiesen, denn nach dem Einfall Hannibals in Oberitalien (s. S. 75) haben zahlreiche keltische Völker des Landes im Dienst der Punier wieder zu den Waffen gegriffen. Um die Eroberung zu sichern, legten die Römer Straßen und strategisch wichtige Kolonien (Placentia und Cremona, 218) an; so erbaute C. Flaminius als Censor die nach ihm benannte Via Flaminia von Rom über den Apennin bis nach Ariminum; sie ist eine der wichtigsten Verkehrsadern Italiens geworden. Das Gebiet nördlich des Po stand auch jetzt noch nicht unter direkter römischer Herrschaft, aber die Römer hatten das Land vom Apennin bis zum Po unter ihre unmittelbare
Herrschaft gebracht. Im übrigen aber waren die mit der Nordgrenze verknüpften Probleme durch die römischen Erfolge im Keltenkriege (225-222) keineswegs gelöst, wenn hier auch zunächst wieder Ruhe eingetreten ist.
9. Rom und Karthago im 2. Punischen Kriege (218-201 v. Chr.)
Der große Krieg zwischen Rom und Karthago hat seinen Ausgang von der iberischen Halbinsel genommen, die bisher ganz an der Peripherie des Mittelmeeres und seiner Geschichte gelegen hatte. Seit dem Übergang des Hamilkar Barkas nach Spanien (237) tritt Iberien in den Mittelpunkt des Geschehens, zu einer Zeit, in der im Osten der Niedergang der hellenistischen Staatenwelt, eingeleitet durch den Tod des makedonischen Königs Antigonos Gonatas (239), beginnt. Hamilkar Barkas hatte in Spanien an die noch vorhandenen Stützpunkte des karthagischen Kolonialbesitzes anknüpfen können. Dazu bestanden zahlreiche Beziehungen der Karthager zu den einheimischen iberischen Stämmen, die immer wieder ihre Angehörigen in den Dienst der punischen Waffen gestellt hatten. Schon das Altertum hat mit dem Übergang des karthagischen Feldherrn nach Südspanien die widersprechendsten Auffassungen verbunden. Durchgesetzt aber hat sich die bei Polybios vorliegende Tradition, sie entstammt dem Scipionenkreise und muß deshalb eine Generation nach den Ereignissen als die in Rom herrschende betrachtet werden. Sie sieht in dem Unternehmen die bewußte Absicht Hamilkars, den Rachekrieg großen Stils gegen Rom von langer Hand vorzubereiten, und zwar von dem Augenblick an, in dem sich Rom in den Besitz Sardiniens gesetzt hatte (s. S. 62). Eine große Bedeutung wird bei dieser Interpretation dem Schwur des Hannibal beigemessen, den dieser in früher Jugend seinem Vater geleistet hatte; er hatte geschworen, «niemals mehr den Römern wohlgesinnt zu sein». An der Realität des Knabenschwurs ist um so weniger zu zweifeln, als Hannibal selbst, viele Jahre später, dem Seleukidenkönig Antiochos III. davon berichtet hat (195 v. Chr.). Doch bedeutet der Schwur nicht ganz das, was aus ihm herausgelesen zu werden pflegt: «niemals den Römern freundlich gesinnt zu sein» ist nicht ganz das gleiche wie «stets den Römern ein Feind zu sein». Als Beweisstück für eine Revanchepolitik der Barkiden um jeden Preis wird man daher auch den Schwur nicht anführen können.
Hamilkar ist mit Zustimmung der karthagischen Regierung nach Spanien gekommen. Er bekleidete das Amt des Strategen von Libyen und durfte diesen Posten nur mit Zustimmung der Regierung verlassen. Die Strategie von Libyen, die Hamilkar mit derjenigen von Iberien verbunden hat, ist ein Amt, das sich an entsprechende hellenistische Vorbilder anlehnt: auch die Territorien der hellenistischen Könige wurden von Strategen verwaltet, welche die Militär- und Zivilgewalt in ihren Händen vereinigten.
Die karthagische Regierung hat diese Institution übernommen, wie es scheint, von dem benachbarten Ptolemäerreich. Ist aber Hamilkar als Stratege Repräsentant der karthagischen Regierung in Iberien gewesen, so hat er auch die Eroberungen in diesem Lande im Auftrage des karthagischen Staates vorgenommen. Daß sich bei der weiten Entfernung von Karthago immer wieder Schwierigkeiten ergaben und daß insbesondere der iberische Stratege, je länger desto mehr, Selbständigkeit erlangte, ist nicht nur in der historischen Entwicklung, sondern auch in der Person des Hamilkar und seiner Nachfolger begründet.
Hamilkar hat mit der Eroberung der Pyrenäenhalbinsel im äußersten Süden begonnen, das erste Ziel war die Sicherung der Verbindungen zwischen Africa und Iberien, vor allem der Straße von Gibraltar. Die einheimischen Völkerschaften setzten sich energisch zur Wehr, insbesondere die Turdetanier, aber auch die Iberer der Ostküste und die Kelten, die ihnen Hilfe leisteten. Der Wert der Eroberungen aber war kaum zu überschätzen, Spanien war reich an Bodenschätzen, vor allem an Silber, es war außerdem eine wichtige Zwischenstation für den Handel mit
Gallien und Britannien. Machtpolitische und handelspolitische Gesichtspunkte verflochten sich miteinander, und das große Ziel, das Hamilkar vor Augen schwebte, war die Errichtung eines ausgedehnten Kolonialreiches, weit entfernt von Rom, das zunächst an den Vorgängen auf der Pyrenäenhalbinsel ganz uninteressiert gewesen ist. Anders stand es mit Massilia, das nicht allein eine Reihe von Kolonien an der spanischen Ostküste besaß, sondern das immer noch in einem gewissen Gegensatz zu der karthagischen Handelsmacht stand. Beide rivalisierten in Spanien, und Massilia war mit Rom eng befreundet. Als im Jahre 231 die erste römische Gesandtschaft auf iberischem Boden erschien, geschah dies sicher in stillem Einvernehmen mit Massilia. Den Römern gegenüber soll Hamilkar Barkas seine Eroberungen in Spanien damit begründet haben, daß Karthago Geld nötig hätte, um die festgesetzten Raten der Kriegsentschädigung zu entrichten, eine Antwort, die die Römer offenbar befriedigt hat. Hamilkar aber fand den Tod im Gebiet der Oretaner, er ist angesichts des Feindes im Fluß ertrunken (Winter 229/28 v. Chr.). Im iberischen Kommando folgte ihm sein Schwiegersohn Hasdrubal nach; auf spanischem Boden bildete sich unter ihm eine Art Hausmacht der Barkiden, die Hasdrubal vor allem mit den Mitteln der Diplomatie zu erweitern wußte. Er vermählte sich mit einer vornehmen Ibererin und gab dem punischen Kolonialreich in Carthago Nova (Cartagena) eine neue Hauptstadt. Sie war vortrefflich gewählt, auch im Hinblick auf die Verbindung mit der punischen Heimat. Mit der Eroberung weiter Gebiete des Südens und des Ostens der Pyrenäenhalbinsel aber war der Verlust von Sardinien und Korsika längst mehr als wettgemacht, außerdem standen die Barkiden in Spanien keineswegs am Ende ihrer voraussichtlichen Erfolge.