Выбрать главу

Während noch Mommsen Scipios Religiosität als bloße Heuchelei betrachtete, ist die neuere Forschung geneigt, diese ernst zu nehmen und sie für die Erklärung seiner Erfolge mitheranzuziehen. Auch in der Strategie bedeutet das Erscheinen Scipios eine Zeitenwende: er hat dem alten methodischen Vorgehen abgeschworen und eine durchaus revolutionäre Strategie inauguriert, die sich die Überwindung großer Räume und den Einsatz der militärischen Machtmittel gegen das Zentrum des feindlichen Widerstandes zum Ziel gesetzt hatte. Nur durch die neue Strategie, die, auf sorgfältige Vorbereitung gegründet, mit unerhörter Kühnheit ausgeführt wurde, ist es Scipio gelungen, den großen Gegner Hannibal niederzuwerfen.

Die Kriegspläne der Karthager und der Römer sind grundverschieden. Sie werden verständlich, wenn man bedenkt, daß die Römer ihren Gegnern an Menschen und materiellen Hilfsmitteln um ein Vielfaches überlegen gewesen sind. Dies gilt insbesondere auch für den Seekrieg, denn die Barkiden hatten den Ausbau einer leistungsfähigen Flotte (aus unbekannten Gründen) vernachlässigt. Hannibal aber setzte seine Hoffnung auf die norditalischen Kelten; ihr Beistand war ihm unentbehrlich, wenn er seinen Plan, in Italien von Norden her einzudringen, durchführen wollte.

Die Römer aber beabsichtigten, an zwei verschiedenen Stellen offensiv vorzugehen. Es wurden zwei konsularische Heere aufgestellt; das erste, unter dem Befehl des Ti. Sempronius Longus, wurde, zusammen mit 160 Fünfruderern, nach Sizilien gesandt, das andere, unter P. Cornelius Scipio, dem Vater des Africanus, mit 20 Schiffen nach Massilia, um von hier nach Spanien vorzurücken. Die Tatsache, daß Rom im ersten Kriegsjahr nur fünf oder höchstens sechs Legionen mobilisiert hat, zeigt, daß noch niemand ahnte, daß Rom in einen Kampf eingetreten war, in dem seine Existenz auf dem Spiele stand. Auf punischer Seite war der Winter 219/18 mit

Truppenbewegungen angefüllt: Afrika wurde durch 16000 Mann spanischer Miliz, Karthago selbst durch 4000 Libyer geschützt. Um die iberische Halbinsel zu decken und um die abgebrochenen Operationen im Gebiet zwischen Ebro und Pyrenäen weiterzuführen, wurden 15000 Mann aus Afrika unter dem Befehl des Hasdrubal, des Bruders des Hannibal, in Spanien stationiert. Dazu kam noch eine Flotte von 57 Schiffen, die aber nicht voll einsatzfähig war.

Seinen eigenen Feldzug hatte Hannibal dadurch vorbereitet, daß er durch Kundschafter Verbindungen mit den Kelten aufnahm. Auch die Entfernungen ließ er feststellen. Trotzdem ging der Aufbruch verhältnismäßig spät vonstatten. Erst zu Anfang August 218 machte sich Hannibal mit einem Heere von etwa 50000 Mann zu Fuß und 9000 Reitern auf den Weg durch das südliche Gallien. Die meisten Völker zwischen Ebro und Pyrenäen ließ er unbefriedet zurück, aber er hatte keine Zeit mehr zu verlieren, wenn er gegenüber den Römern das Überraschungsmoment, auf das bei seiner zahlenmäßigen Unterlegenheit alles ankam, ausnutzen wollte. Der Weg durch Südgallien bis an die Rhone konnte ohne große Schwierigkeiten zurückgelegt werden, allerdings hatte das Heer unverhältnismäßig große Marschverluste zu beklagen. Die Rhone wurde südlich des heutigen Orange, etwas oberhalb der Durance-Mündung, überschritten, wobei die Kelten vergeblich Widerstand zu leisten versuchten. Der römische Consul P. Cornelius Scipio, der inzwischen von Pisa auf dem Seewege an der Rhonemündung angekommen war, hatte durch seine Reiterei Fühlung mit der punischen Kavallerie aufgenommen. Da aber die Masse des punischen Heeres die Rhone bereits passiert hatte, verzichtete Scipio darauf, dem Hannibal zu folgen; er schickte sein Heer nach Spanien und begab sich selbst mit seinem militärischen Stabe wieder nach Oberitalien. In Spanien sollte sein Bruder Cn. Cornelius Scipio das Kommando führen, die römischen Truppen sollten vor allem gegen die rückwärtigen Verbindungen Hannibals, aber auch gegen das Heer des Hasdrubal in Nordspanien eingesetzt werden.

Dem punischen Heere aber stand der schwierigste Teil des Weges noch bevor: der Übergang über die Alpen, die nur auf engen Saumpfaden in schwindelnder Höhe zu passieren waren. Die Frage, auf welchem Wege Hannibal mit seinem Heere die Alpen überschritten hat, kann heute als gelöst betrachtet werden: Hannibal ist die Flußtäler der Isere und des Arc aufwärts über den Col du Clapier (2482 m), einen heute kaum noch begangenen Paß südlich des Mt. Cenis, gezogen. Diese Auffassung ist wohl zum erstenmal durch den Artillerieobersten J. B. Perrin (1887) vertreten worden, sie hat mit Recht den Beifall namhafter Forscher gefunden. In der Tat wird sie den Quellen und der Sachkritik am ehesten gerecht. Hannibal, der seine Soldaten, allen Schwierigkeiten zum Trotz, rücksichtslos vorwärtstrieb, mußte schwere Verluste in Kauf nehmen: um des strategischen Zieles willen hat er einen großen Teil seines Heeres geopfert, insgesamt etwa 20000 Mann, dazu den ganzen Troß. Als er im Gebiet der Tauriner die Poebene erreichte, war sein Heer auf 26000 Mann zu Fuß und 6000 Reiter zusammengeschmolzen.

Mit dem Erscheinen Hannibals sahen sich die Römer in Oberitalien in die Verteidigung gedrängt. In Eile wurde das Heer des Sempronius Longus von Sizilien (Lilybaeum) nach Italien zurückbeordert, die beabsichtigte Offensive gegen Karthago abgeblasen. In einem gewaltigen Landmarsch von der äußersten Südspitze Italiens erreichten die Legionen des Sempronius in insgesamt 40 Tagen den römischen Stützpunkt Ariminum. Die größte Sorge der Römer aber bestand darin, Hannibal am weiteren Vordringen nach Mittelitalien zu hindern. Die ersten Gefechte verliefen jedoch für die Römer unglücklich. Am  Ticinus  kam es zu einem Reitertreffen. Die punische Kavallerie zeigte sich der römischen Bürgerreiterei überlegen, Scipio selbst wurde verwundet. Die Römer zogen sich auf ihren befestigten Stützpunkt Placentia zurück, sie gaben das Land nördlich des Po dem Hannibal preis. Auch in der Winterschlacht an der  Trebia  hatten die Römer kein Glück. Hannibal hatte es verstanden, die Römer auf das Westufer des Flusses herüberzulocken. Wieder gab die punische Reiterei, diesmal durch einen Flankenstoß unter Mago, den Ausschlag: die Römer erlitten schwere Verluste, nur etwa 10000 Mann konnten sich nach Placentia in Sicherheit bringen (Dezember 218). Der kommandierende Consul, Sempronius Longus, hat in seinem Bericht an den Senat das Wetter, insbesondere das Schneegestöber und den Nebel, für die Niederlage verantwortlich gemacht.

Im Frühjahr 217 konnten die Römer endlich ihre großen materiellen Hilfsquellen voll einsetzen. Sie stellten nicht weniger als 11 Legionen auf, insgesamt etwa 100000 Mann. Von diesen standen zwei Legionen in Spanien, vier in Oberitalien, zwei als Hauptreserve in der Nähe von Rom, zwei auf Sizilien und eine auf Sardinien. Auf weitere Kämpfe in der Po-Ebene, die für die Reitermassen Hannibals ein ideales Gelände war, wollten sich die Römer nicht mehr einlassen. Infolge des Übertritts der Keltenstämme auf die Seite der Punier war Norditalien für Rom verloren. Was der römischen Heerführung fehlte, war das Gefühl für eine echte Schwerpunktbildung, wie sie die Strategie Hannibals in so eindrucksvoller Weise demonstriert. Die Römer hatten ihre Nordarmee geteilt, zwei Legionen standen bei Ariminum unter Servilius, die beiden anderen bei Arretium unter dem Befehl des C. Flaminius. Der Apennin war für Hannibal kein Hindernis. Schon im Frühjahr 217 (etwa im März-April) überschritten die Punier, und zwar in der Gegend von Bologna, wahrscheinlich auf dem Collina-Paß, das Apenningebirge, um in die reiche toskanische Ebene einzufallen. Bei Pistoja gerieten die Punier in das Gebiet des Arno. Der Fluß führte Hochwasser und hatte weite Teile des Landes überschwemmt. In einem Marsch von vier Tagen und drei Nächten wurde das überflutete Gebiet passiert, dabei verlor Hannibal, der auf dem einzigen ihm noch verbliebenen Elefanten saß, durch Entzündung ein Auge. Die Absicht der Römer, Hannibal zwischen ihren beiden Heeren in die Zange zu nehmen, wie einst die Kelten bei Telamon (s. S. 67), erwies sich als eine Fehlrechnung. In dem etwa 9 km langen Defile am Trasimenischen See (zwischen Cortona und Perugia) geriet C. Flaminius mit seinen Legionen in einen von Hannibal meisterhaft gelegten Hinterhalt; 15000 Mann deckten das Schlachtfeld, eine ebenso große Zahl geriet in punische Gefangenschaft. Auch C. Flaminius, dessen unvorsichtige Strategie das Unglück heraufbeschworen hatte, gehörte zu den Gefallenen, er soll angeblich von der Hand eines Kelten den Tod gefunden haben (Frühjahr 217). Um das Unglück der Römer vollzumachen, wurde die Reiterei des anderen Korps in der Nähe von Assisium von der punischen Kavallerie unter Maharbal gestellt und größtenteils gezwungen, die Waffen zu strecken.