Wie sah es im freien Gallien aus, als Caesar sich zur Intervention entschlossen hat? Hier hatten sich in der spätrepublikanischen Zeit wichtige politische Wandlungen vollzogen, am folgenreichsten war die Zerstörung des großen Arvernerreichs, woran die Römer, insbesondere aber Cn. Domitius Ahenobarbus (Consul 122), entscheidenden Anteil gehabt hatten. Anderseits waren nach der Episode des Kimbern- und Teutoneneinfalls die Germanen, insbesondere die große Völkergemeinschaft der Sueben, bis an den Rhein vorgedrungen. Abgesehen von der germanischen Gefahr wurden die Gallier auch noch durch die Iberer und Ligurer bedrängt. Von einer zentralen Lenkung im Lande selbst konnte nach dem Untergang der Königsherrschaft keine Rede mehr sein, überall dominierte der gallische Adel, dem die große Masse des Volks in der Eigenschaft von hörigen Bauern Untertan war. Die Gallier standen im übrigen auf beachtlicher Kulturstufe (Spätla-Tene- Zeit), sie hatten willig die Einflüsse der Zivilisation der Mittelmeerländer aufgenommen, in der Münzprägung und im Städtebau waren sie hellenistischen Anregungen gefolgt. Das Land wies eine dichte Besiedlung auf und war vorzüglich kultiviert. Um die politische Herrschaft im Lande stritten sich die mächtigen Stammesverbände der Haeduer (zwischen Loire und Saone) und der Sequaner (zwischen der Saone und dem Schweizer Jura). Das Land nördlich der Seine und Marne aber war die Heimat der Beiger. Sie hatten germanische Volkselemente bei sich aufgenommen und galten als die Tapfersten der Gallier. Im Jahre 71(?) waren suebische Scharen unter ihrem Heerkönig Ariovist den Sequanern zur Hilfe gekommen, sie hatten gemeinsam die Haeduer bei Admagetobriga besiegt (61 v. Chr.) und sich danach im Elsaß niedergelassen. Die Haeduer wandten sich nun an Rom, das ihnen aber keine direkte Hilfe gewährte. Ariovist dagegen wurde als «König und als Freund des römischen Volkes» (rex atque amicus) anerkannt und in das Verzeichnis der befreundeten Könige (formula amicorum) aufgenommen. Neue Unruhe erregten die Helvetier, die im Raum der heutigen Schweiz ihre Wohnsitze hatten. Sie wollten ihre Heimat aufgeben und sich fernab in Gallien, an der Küste des Atlantischen Ozeans, im Lande der Santonen (nördlich der Garonne), wieder ansiedeln. Vielleicht steht die Absicht der Helvetier im Zusammenhang mit der Katastrophe der Bojer in Böhmen und Mähren und der
Taurisker. Es sind dies keltische Völker, die in den Sog der Expansion des Dakerreiches des Königs Byrebistas gekommen waren. Zu einem Teil wurden sie vernichtet, Teile der Bojer aber hatten sich bis zu den Helvetiern durchgeschlagen. Diese Völkerbewegungen waren auch für die römische Provinz in Südgallien nicht ohne Rückwirkungen, die Erinnerung an die Raubzüge der Kimbern und Teutonen mag die Gefahr noch vergrößert haben. Seitdem der Senat auch die Provinz Gallia Ulterior (Narbonensis) an Caesar gegeben hatte, war die Entscheidung für eine römische Intervention praktisch gefallen, fraglich war nur noch, in welcher Weise und in welchem Umfang das Vorhaben vonstatten gehen sollte. Caesar war kein Imperialist um jeden Preis, wie dies noch Mommsen und Ferrero behauptet haben. Er brannte aber darauf, sich als Feldherr neben Pompejus einen Namen zu machen, außerdem war ihm als Statthalter der Schutz der römischen Provinz anvertraut. Dazu haben die Nachbarn der Helvetier, die Ambarrer, Allobroger und Haeduer, sich mit offiziellen Hilfegesuchen an Caesar gewandt. Die Anfangserfolge über die Helvetier haben Caesar dann auf der Bahn der Eroberung fortgerissen. Dies bestätigt ein Blick auf die ständig steigende Zahl seiner Legionen: mit vier Legionen ist er in Gallien einmarschiert, im Jahre 58 erhöhte sich die Zahl auf sechs, im Jahre 51 aber standen schließlich elf Legionen unter seinem Kommando. Die Helvetier baten Caesar, den Weg durch die Provinz in Südgallien nehmen zu dürfen, was Caesar jedoch abgelehnt hat. Als sich die Helvetier in Bewegung setzten, um durch das Gebiet der Sequaner und Haeduer zu ziehen, war dies für Caesar das Signal zum Einmarsch in das freie Gallien. Ob er damit seine Befugnisse als Statthalter überschritten hat, ist schwer zu entscheiden. Mit den Helvetiern wurde Caesar mit leichter Mühe fertig. Der helvetische Gau der Tiguriner wurde beim Übergang über den Arar (Saone) von T. Labienus, dem Legaten Caesars, eingeholt und geschlagen, die Hauptmasse der
Helvetier aber erlitt in der weiteren Umgebung von Bibracte (Mt. Beuvray bei Autun) durch Caesar eine Niederlage, sie mußten in ihre alten Wohnsitze zurückkehren. Sehr viel gefährlicher als die Bewegung der Helvetier war jedoch die Gefahr, die Gallien von den Germanen unter ihrem Heerkönig Ariovist drohte. In dem Sueben Ariovist mußte Caesar einen gefährlichen Rivalen im Kampf um die Vorherrschaft in Gallien erblicken, und dies um so mehr, als sich die Germanen den Kelten an kriegerischer Kraft überlegen gezeigt hatten. Angeblich auf die Bitte des Haeduers Diviciacus hat sich Caesar zur Abwehr der germanischen Gefahr entschlossen. Im Oberelsaß (wahrscheinlich in der Nähe von Rappoltsweiler) trug Caesar einen entscheidenden Sieg über Ariovist davon, die Sueben wurden zersprengt, ein Teil von ihnen konnte sich, ebenso wie ihr Heerkönig, auf das rechte Rheinufer in Sicherheit bringen (September 58). Von den germanischen Stämmen blieben nur die Triboker, Nemeter und Vangionen in den Räumen um Straßburg, Worms und Mainz am linken Rheinufer wohnen, sie haben den germanischen Charakter des Gebiets auch für die Folgezeit festgelegt.
Seit dem Sieg über Ariovist beanspruchte Caesar die Hegemonie über das ganze mittlere Gallien, die Stämme zwischen der Seine und der Mosel waren bereits mit ihm verbündet. Zu den härtesten Gegnern der Römer gehörten die im Norden wohnenden Beiger, doch hatte Caesar bereits die Unterwerfung eines ihrer Teilstämme, der Remer (Reims), entgegengenommen (57). Die riesige Streitmacht der anderen Beiger aber löste sich nach einem mißlungenen Angriff auf die römischen Stellungen an der Axona (Aisne) wieder auf, da sie in Schwierigkeiten mit ihrer Verpflegung geraten waren. Caesar konnte nun einen Stamm nach dem anderen unterwerfen: die Suessionen (Soissons), die Ambianer (Amiens) und, nach einer Schlacht an der Sambre, auch die Nervier, die im Hennegau und in Brabant wohnten. Auch die Hauptstadt der Atuatuker (Huy an der Maas?) konnte von den Römern genommen werden. Anderseits wurden die Küstengebiete am Atlantischen Ozean, insbesondere das Land der
Aremoriker in der Bretagne, aber auch Teile Aquitaniens, vom Kriege erfaßt, das Kommando führte hier Caesars Legat P. Crassus, der Sohn des Triumvim. Das Jahr 56 sah die erste Seeschlacht zwischen Römern und Kelten auf dem Ozean in der Nähe der Loire-Mündung. Dabei ging die gesamte Flotte der Veneter verloren, das Volk selbst wurde vollständig ausgerottet. Nach einem nicht sehr erfolgreichen Vorstoß Caesars gegen die Moriner und Menapier (im Gebiet der Scheide und am Niederrhein) gingen die römischen Legionen im Raum zwischen Seine und Loire in die Winterquartiere. Großes hatte Caesar erreicht: die Unterwerfung von fast ganz Gallien, von der Maas bis zur Garonne, schien so gut wie beendet. In Rom bestimmte man bereits die Mitglieder der Zehnmännerkommission des Senats, die Gallien in eine römische Provinz umwandeln sollten! Caesar selbst hatte sich, wie jeden Winter, nach Oberitalien begeben, um den Ereignissen in Rom näher zu sein. Nach einer Vorbesprechung zwischen Caesar und Crassus in Ravenna traf sich Caesar mit Pompejus in Luca, sie erneuerten ihren Bund (April 56) und beschlossen, daß Crassus und Pompejus im Jahre 55 Consuln sein sollten. Nach Ablauf ihres Amtsjahres aber war ihnen ein großes Kommando zugedacht, das bis zum 1. März 50 dauern sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt wollte man im Senat nicht über ihre Nachfolge beraten. Diese Bestimmung galt übrigens auf Grund einer Klausel auch für Caesar. Er konnte nun damit rechnen, daß ihm die beiden gallischen Provinzen (Gallia Cisalpina und Ulterior) auch noch in den Jahren 50 und 49 erhalten blieben. Für das Jahr 48 aber war ein zweites Consulat Caesars vorgesehen. Ging alles nach Wunsch, so war Caesar auf eine Zeit von mehr als acht Jahren gesichert und für seine Feinde in Rom unangreifbar!