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Das Vordringen orientalischer Religiosität ist nicht nur ein Ereignis der antiken Religionsgeschichte, auch für die antike Bildung ist der Vorgang von großer Bedeutung. Allerdings läßt sich dieses Phänomen erst in den späteren Perioden der Kaisergeschichte mit Sicherheit nachweisen. Kennzeichen der frühen Kaiserzeit ist vielmehr der Siegeszug der lateinischen Sprache, die sich auf Kosten der einheimischen Idiome, vor allem des Keltischen, Punischen und Libyschen, immer weitere Räume erschlossen hat. Der Aufstieg des Lateinischen ist zweifellos das Ergebnis der Elementarschule. Sie ist zwar nicht obligatorisch, sie wird aber dennoch von ungezählten Tausenden besucht. Im übrigen sind auch für das Schulwesen der Kaiserzeit private Schulstiftungen und private Wanderlehrer charakteristisch. Die Kinder der vornehmen Familien erhalten ihren Unterricht in der Regel zu Hause durch Sklaven. Der höheren Bildung dienen die  Rhetorenschulen,  für die Masse kommen sie allerdings nicht in Betracht. In den Rhetorenschulen wird Unterricht in Grammatik, Literatur, Mathematik, Musik und Gymnastik erteilt, und zwar nur an Knaben. Das Problem der Mädchenbildung ist jedoch hin und wieder diskutiert worden. Dies zeigt eine durch Zufall erhaltene Diatribe des Musonius Rufus. Der Inhalt der Bildung ist rein klassizistisch; in den rhetorischen Übungen beschäftigte man sich ganz ausschließlich mit Beispielen aus einer fernen Vergangenheit, mit Gestalten wie Alexander und Hannibal. Auch die Tyrannen und der Tyrannenmord sind Themen, die unendlich oft behandelt worden sind. In seiner «Naturgeschichte» (n. h. XIV, praef. 2) hat sich der Ältere Plinius (gest. 79 n. Chr.) mit großer Bitterkeit über den Rückgang der Wissenschaften in seiner eigenen Epoche ausgesprochen. Den Verfall der Bildung führt Plinius auf veränderte Lebensbedingungen und auf eine neue Lebensanschauung zurück: an die Stelle der freien Betätigung im Reich der Wissenschaft sei der Tanz um das Goldene Kalb getreten. Die Klagen des Plinius lassen immerhin soviel erkennen, daß die Sekurität der Kaiserzeit nicht nur ein Segen gewesen ist. Doch hat es immer wieder Kaiser gegeben, die sich tatkräftig um die Bildung ihrer Untertanen bemüht haben. Von grundlegender Bedeutung ist der Freibrief des Kaisers Vespasian vom Jahre 74, dessen griechische Fassung auf einem Stein in Pergamon zum Vorschein gekommen ist. In dieser Urkunde verleiht Vespasian den  paideutai,  d. h. den

Grammatikern und Rhetoren, sowie den Ärzten wichtige Privilegien, insbesondere die Befreiung von Einquartierung, von Steuern, dazu Schutz vor rechtswidriger Verletzung der Person und vor Verhaftung. Außerdem erhalten sie das Recht, Kultgenossenschaften zu bilden. Die pergamenische Inschrift enthält außerdem einen Erlaß des Domitian, der sich in scharfer Form gegen die Erteilung von Unterricht an Sklaven wendet. Als erster Prinzeps hat Vespasian aus dem Fiskus ein Gehalt von 100000 Sesterzen für die lateinischen Rhetoren ausgesetzt; Quintilian ist als erster Rhetor durch den Prinzeps mit festem Gehalt in Rom angestellt worden. Vorbilder für diese Privilegien finden sich in der Organisation des alexandrinischen Museions. Vespasian hatte diese weltberühmte Stätte der Forschung und Lehre bei seinem Aufenthalt in Ägypten kennengelernt, dabei hatte er die Mediziner um ein Fachgutachten ersucht, weil man den neuen Prinzeps gebeten hatte, Kranke zu heilen. Bezeichnenderweise kommen die Philosophen in dem Freibrief Vespasians nicht vor: sie waren durch ihre Opposition beim Kaiser in Ungnade gefallen, erst Hadrian hat sie in die Gruppe der Privilegierten aufgenommen. Trotz der beachtlichen Ansätze zu einem Hochschulwesen unter Vespasian und Hadrian stehen aber die Leistungen der Kaiserzeit tief unter der Blüte der hellenistischen Wissenschaft im 3. und 2. Jh. v. Chr. Was man in der Kaiserzeit für Wissenschaft hielt, zeigen etwa die Naturales quaestiones  des Seneca und die  Naturalis historia  des Älteren Plinius. Trotz des sehr wertvollen in ihr aufgespeicherten Materials ist die letztere nicht mehr als eine große Kuriositätensammlung. Für die reine Wissenschaft interessierte sich niemand, und der Spott Senecas über die Leute, die sich mit der Geschichte vergangener Zeiten befassen, ist hierfür sehr bezeichnend. Weder in der Mathematik noch in der Astronomie noch auch in der Geographie ist man über das im Hellenismus Erreichte hinausgekommen. Immer noch wurden geographische Irrtümer weiter verbreitet, wie etwa die irrige Vorstellung, daß das Kaspische Meer ein Busen des nördlichen Okeanos sei. Doch es gibt auch einige Lichtblicke. Zu ihnen gehört der  Periplus Maris Erythraei.  Er ist das Segelhandbuch eines griechischen Kaufmanns mit wichtigen Beobachtungen über den Indischen Ozean und über Vorderasien, ein Werk, das übrigens auch für die Kunde von Südarabien von großer Bedeutung gewesen ist. Die Datierung der inhaltsreichen Schrift ist bis zum heutigen Tage umstritten, doch wird man sie wahrscheinlich gegen 50 n. Chr. ansetzen dürfen. Überhaupt hatte der Indienhandel in der römischen Kaiserzeit einen kräftigen Aufschwung genommen, erst die Römer haben die Entdeckung von dem regelmäßigen Wehen der Monsunwinde, die wahrscheinlich im Jahre 117 v. Chr. unter dem 8. Ptolemäer (Ptolemaios VIII. Euergetes II.) gemacht worden war, richtig auszunützen verstanden.

In den Friedensjahren der ersten Kaiserzeit hatte sich in Rom, in Italien und in den Provinzen ein breites besitzendes Bürgertum, eine Bourgeoisie, gebildet, die über ein recht ansehnliches Vermögen verfügte. Man muß dem Besitzbürgertum des 1. und 2. Jh. n. Chr. nachrühmen, daß es sich seiner Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit bewußt gewesen ist. Kaum ein anderes Zeitalter hat nämlich eine derartig große Fülle von gemeinnützigen Stiftungen und Bauten gesehen wie die erste römische Kaiserzeit. Die Gemeinden, die Munizipien, Kolonien und Poleis, haben die Stifter durch Ehrendekrete und mit Statuen aus Erz und Stein reich belohnt. Es gab sogar Familien, die sich im Dienste der Allgemeinheit geradezu ruiniert haben. Rathäuser, Schulen, Brücken und Wasserleitungen sind wenigstens zum Teil mit privaten Geldern errichtet worden, Lehrer, Grammatiker und Rhetoren, wurden auf Grund privater Stiftungen angestellt, es gab auch Ärzte, welche die Patienten ganz unentgeltlich behandelten. Wohltätigkeit und Armenpflege hatten ihren Platz im sozialen Leben, wenn auch die Motive der Wohltäter andere waren als die des Christentums. Die gemeinnützige Einstellung der sozialen Oberschicht, der  honestiores,  ist zweifellos ein Ruhmesblatt der römischen Kaisergeschichte.

Die kleinen Leute findet man in zahlreichen Berufsgenossenschaften  (corporationes)  organisiert. Die Genossenschaften übernehmen die Lieferungsaufträge des Staates, insbesondere auch für das Heer. Organisiert war nahezu jeder einzelne, von den Schiffsreedern angefangen bis zum letzten ägyptischen Eselstreiber. Groß ist auch die Zahl der verschiedenen Vereine, unter ihnen viele landsmannschaftlichen Charakters. Gerade in der Fremde schließen sich die römischen Bürger eng zusammen, das gleiche gilt auch von den Griechen, sofern sie sich völkisch in der Minderheit befinden wie z. B. in Ägypten. Es gibt Vereine für die Frauen und besonders zahlreiche für die Jugend  (collegia iuvenum),  die letzteren dienen vielfach der vormilitärischen Ausbildung. Weit verbreitet sind auch Sterbekassen  (collegia funeratica).  Die Beiträge der Mitglieder werden nicht allein für die Begräbnisse, sondern auch gelegentlich für ein Festessen verwandt, damit die Lebenden nicht zu kurz kommen.