Hartley ergriff Richards Hand, doch nicht mit der gleichen zwanglosen Herzlichkeit, wie sie ihm hingereicht wurde.
»Ich habe nicht die Absicht,« sagte er, »noch lange hier zu bleiben, und in ein paar Stunden, denke ich, ist mein Bündel geschnürt. Wenn ich dir bis dahin noch einen guten Rat erteilen oder dir sonst einen Dienst erweisen kann, so soll das von Herzen gern geschehen. Das ist ja die einzige Art, wie ich Marie Gray noch zu Diensten sein kann.«
»Nun sieh, du bist sozusagen nur Zuschauer, willst du nicht uns, die wir die Schauspieler sind, die unglücklichen Darsteller, deine Meinung sagen, was du über dieses unser Spiel denkst?«
»Wie kannst du eine solche Frage an mich richten, da ein so schönes Feld sich dir eröffnet? Sicherlich wird Herr Gray unter denselben Bedingungen, wie er sie mir gemacht hat, dich als Assistenzarzt behalten. Du bist nebenbei auch eine bessere Partie für seine Tochter, denn du hast etwas Geld, so daß dir fürs erste der Weg geebnet ist.«
»Das stimmt freilich, nur vermute ich, ich habe in dieser Hinsicht bei Herrn Gray keinen sehr großen Stein im Brett.«
»Wenn er bisher deiner Tüchtigkeit keine Gerechtigkeit hat angedeihen lassen, so wird das anders sein, sobald er weiß, daß seine Tochter dir den Vorzug gegeben hat.«
»Das kann sein, und ich liebe sie deshalb auch über alles. Sonst, lieber Adam, bin ich nicht der Mann, der nach dem greift, was andre übrig gelassen haben.«
»Richard,« erwiderte Hartley, »dieser Stolz macht dich undankbar und wird dich auch noch unglücklich machen, wenn du ihn nicht beizeiten unterdrückst. Herr Gray ist dir sehr freundlich gesonnen, allein er glaubte, du würdest durchaus unzufrieden sein mit den bescheidenen Aussichten, die sein Anerbieten dir gewährt. Er glaubte, du hegtest den Wunsch, in die weite Welt zu gehen und dein Glück zu suchen. Er meinte, wenn du auch seine Tochter innig genug liebtest, daß du ihretwegen die ehrgeizigen Ideen aufgeben könntest, so würden doch die Teufel der Ruhmsucht und Habsucht schließlich wiederkehren, sobald erst die Zauberkraft der Liebe, die diese bösen Geister eine Zeitlang bezwungen hatten, an Macht verloren hätte. Er glaubte daher triftigen Grund zu haben, um das Glück seiner Tochter besorgt zu sein.«
»Meiner Treu, der würdige alte Herr spricht gelehrt und weise,« versetzte Richard, »ich hatte ihm einen so prophetischen Blick gar nicht zugetraut. Soll ich dir die Wahrheit sagen? – Wenn die schöne Marie nicht wäre, so würde ich mich so wohl fühlen wie ein Droschkengaul, wenn er seine tägliche Tour abgeklappert hat, während andre lustige Abenteurer dreist den Versuch machen, wie sie in der Welt zurecht kommen. – So zum Beispiel, wohin willst du?«
»Ein Verwandter von mir mütterlicherseits ist Kapitän eines Schiffes von der ostindischen Gesellschaft, ich will bei ihm als Unterarzt eintreten; wenn mir der Seedienst zusagt, bleib ich dabei, wo nicht, versuch ich was andres.«
Hartley begleitete seine Worte mit einem Seufzer.
»Nach Indien!« rief Richard. »Du Glückspilz! Da kannst du dich freilich mit vollem Gleichmut darüber hinwegsetzen, daß deine Hoffnungen auf dieser Seite unsers Erdenballes sich nicht erfüllt haben. – Oh Delhi! Oh Golkonda! liegt in diesen Namen nicht eine Kraft, die alle eitlen Erinnerungen verbannt? – Indien, wo man Gold mit Eisen gewinnt, wo ein tapfrer Mann sein Verlangen nach Reichtum noch so hoch schrauben mag, er wird sein Ziel doch erreichen, wenn ihm einigermaßen das Glück hold ist. Wie ist es nur möglich, daß ein Bursch wie du, dem es vergönnt ist, in die weite Welt zu ziehen, in eigensinniger Schwermut den Kopf hängen kann, weil ein blauäugiges Mädel einen andern vorgezogen hat, der nicht halb so glücklich ist wie du? Wie ist es nur möglich?«
»Nicht halb so glücklich?« fragte Hartley. »Kannst du, der glückliche Geliebte der Marie Gray, auch nur im Scherze so sprechen?«
»Sei nicht böse, Adam,« sagte Richard, »weil ich, der ich doch den Sieg davongetragen habe, meines Glückes nicht ganz so froh bin, als du vielleicht es wärest. Trotzdem kann ich ohne meine süße Marie nicht leben, und ich will sie zur Frau haben. Aber noch zwei Jahre lang in dieser höllischen Ödenei leben zu müssen und hier sich um Kronen und halbe Kronen plagen zu müssen, dieweil Kerls, die nicht halb soviel los haben, die Rupien säckeweise verdienen – weiß der Kuckuck, Adam, das ist ein gar erbärmliches Los. Nun gib mir einen Rat, Freund, kannst du mir nicht sagen, wie ich um diese zwei Jahre der Langeweile herumkommen kann?«
Hartley vermochte seinen Widerwillen nicht länger zu verhehlen.
»Nein!« versetzte er kurz. »Du bist einundzwanzig Jahre alt, und wenn der Doktor in seiner Klugheit eine solche Prüfzeit für mich für nötig hält, wo ich doch zwei Jahre älter bin als du, so wird er sie dir wohl schwerlich erlassen.«
»Das mag sein,« erwiderte Middlemas, »meinst du nicht aber, daß ich diese zwei oder meinetwegen auch drei Prüfungsjahre nicht besser in Indien abmachen könnte, da kann man's doch in kurzem viel weiter bringen als hier, wo man doch nur das Salz zur Suppe verdient? Meiner Meinung habe ich einen angeborenen Trieb nach Indien. Das ist auch ganz natürlich. Mein Vater war Soldat. Der Vater meiner Mutter ist ein reicher Kaufmann. Ein so bescheidenes Einkommen von 200 Pfd. im Jahre mit dem alten Herrn zu teilen, das muß einem jungen Mann wie mir, dem die weite Welt offen steht und der einen Degen hat, sich einen Weg zu bahnen, doch im Grunde recht bettelhaft vorkommen. Marie freilich ist ein Edelstein – ein Diamant – das gebe ich zu; aber ein so kostbares Juwel möchte man auch lieber in Gold und Brillanten fassen statt in Blei und Kupfer. Sei ein guter Kamerad, Adam, und unterbreite dem Doktor meinen Plan. Meiner Meinung nach kann er für sich und Marie nichts Bessres tun, als daß er mich die zwei Prüfungsjahre im Lande der Kaurie-Muscheln zubringen läßt.«
»Herr Richard Middlemas,« entgegnete Hartley, »ich wünschte nur, es wäre mir gegeben, in den wenigen Worten, die ich noch an Euch zu richten denke, Euch erklären zu können, ob ich Euch mehr bemitleide oder mehr verachte. Der Himmel hat Euch Glück, Auskommen und Zufriedenheit beschert, und Ihr wollt diese Güter von Euch stoßen, um Eurem Ehrgeiz und Eurer Habsucht nachzugehen. Würde ich in dieser Hinsicht dem Doktor oder seiner Tochter einen Rat erteilen, so könnte es höchstens der sein, jeden Verkehr mit einem Manne abzubrechen, der sich in kurzem, wenn auch noch so von der Natur begabt, als ein großer Tor erweisen wird – und der ferner, wenn auch noch so ordentlich erzogen, sich bei der ersten Versuchung obendrein auch als Schurke erweisen könnte. Ich werde aber meinen Rat für mich behalten, denn helfen würde er doch nichts. Ich werde so rasch wie möglich abreisen und wir werden uns nicht wiedersehen. Ich werde es Gott anheimstellen, Unschuld und Ehrlichkeit gegen die Gefahren zu schützen, die Eitelkeit und Torheit mit sich bringen.«
Mit diesen Worten wandte er sich verächtlich von dem jugendlichen Narr des Ehrgeizes ab und verließ den Garten.
»Halt ein!« rief Middlemas ihm nach, betroffen über die Vorstellungen, die der Kamerad seinem Gewissen gemacht hatte. »Halt ein, Adam Hartley, laß dir sagen –«
Aber entweder hörte Hartley seinen Ruf nicht mehr, oder er ließ sich dadurch nicht zur Umkehr bewegen.