»Gewiß,« antwortete Richard, »Ich mag auch niemand zur Last fallen. Daß ich Euch die Wahrheit sage, ich beabsichtige mich vor meiner Abreise zu verheiraten. Dazu ist Geld nötig, wie Ihr Euch wohl denken könnt, ob nun meine Frau mitkommt oder ob sie hierbleibt, bis sie hört, ob ich mein Glück gemacht habe. Dann würde ich sogar mir von Euch eben noch ein paar Pfund borgen müssen.«
»Was den Teufel schwatzt Ihr da von Heiraten, Richard?« rief der Kapitän. »Ein schmucker, einundzwanzigjähriger Bursch wie Ihr, der sechs Fuß hoch aus seinen Schuhen herausragt, will sich's einfallen lassen, sich auf Lebenszeit zum Sklaven zu machen?«
»Besinnt Ihr Euch auf Marie, die Tochter meines Lehrherrn?« fragte Middlemas.
»Ach, die!« entgegnete Hillary. »Ist sie denn zu etwas zu gebrauchen?«
»Sie ist ein verständiges Mädchen. Sie ist das sanfteste, schlichteste und gefügigste Wesen auf Erden,« sagte der Verehrer.
»Na, dann taugt sie nichts,« sagte sein Berater. »Tut mir leid, Richard, aber dann ist sie nicht zu gebrauchen. Ich sage Euch, wir haben Weiber in Indien, die in dem Spektakeldasein dort eine Rolle spielen – ein paar habe ich selber gekannt, die haben ihre Männer vorwärts bugsiert, sonst wären sie bis zum jüngsten Tage im Dreck stecken geblieben. Laßt Euch sagen, es geht nur eins, entweder heiraten oder auf Indien verzichten, aber beides gibt's nicht! Wenn Ihr Euch freiwillig einen Klotz um den Hals hängt, so müßt Ihr es eben aufgeben, ein Wettrennen mitzumachen. Übrigens braucht Ihr nicht etwa zu denken, daß es gleich ein Ende mit Schrecken gibt, wenn Ihr mit dem Mädel brecht. Der Abschied wird freilich ein unangenehmer Auftritt werden, aber unter den indischen Weibern werdet Ihr sie bald vergessen. Für den Markt in Indien ist sie keine Ware, das kann ich Euch versichern.«
Der Einfluß, den der prahlerische und großmäulige Soldat auf Middlemas erlangt hatte, war bei aller Eigensinnigkeit des letztern von despotischer Art. Der Kapitän war dem jungen Manne an Bildung und Kenntnissen und Begabung durchaus unterlegen, aber jener hatte eine große Gewandtheit, ihm verlockende Aussichten vorzuspiegeln – Aussichten von jener Art, wie sie von Kindheit auf Richards Phantasie beherrscht hatten.
Als Bedingung des Dienstes, den er ihm zu erweisen sich bereit erklärte, nahm er ihm das Versprechen ab, unbedingt darüber Schweigen zu bewahren, daß er mit ihm nach Indien ginge und welche Pläne ihn dabei geleitet hätten.
Das versprach denn Richard auch. Die beiden Freunde trafen sogar die Verabredung, sich nicht mehr zusammen in Middlemas sehen zu lassen und auch nicht zusammen Middlemas zu verlassen. Der Kapitän wollte zuerst abreisen und Richard sollte ihn in Edinburgh treffen. Dort sollte er förmlich für den Dienst angeworben und alles geregelt werden, was zur Überfahrt nach Indien erforderlich wäre.
Achtes Kapitel
Obgleich sich Richard in also bestimmter Weise zur Abreise verabredet hatte, dachte er doch von Zeit zu Zeit mit Kummer und Beklemmung an den Abschied von Marie Gray und an den Plan, den sie beide sich gemacht hatten. Aber sein Entschluß war gefaßt, er konnte ihr den Schmerz nicht mehr ersparen. Der undankbare Verehrer, der längst schon den Gedanken an ein häuslich glückliches Leben von sich gewiesen hatte, das er hätte genießen können, wenn er vernünftigeren Sinnes gewesen wäre, dachte nur noch daran, wie er es anstellen solle, um nicht gänzlich mit ihr zu brechen und doch alle Gedanken an ihre Vereinigung aufzugeben, bis er von seiner Expedition nach Indien erfolgreich zurückgekehrt sei.
In Hinsicht auf den letzten Punkt hätte er sich freilich alle Besorgnis ersparen können. Der Reichtum ganz Indiens hätte nie Marie Gray bewegen können, gegen den Willen ihres Vaters das Elternhaus zu verlassen. Jetzt, da der alte Mann seine zwei Hilfsärzte nicht mehr hatte, war das an sich ganz ausgeschlossen, denn er hätte sich völlig verlassen fühlen müssen, wenn er sich zu gleicher Zeit auch von seiner Tochter hätte trennen sollen.
Die Zeit war herangekommen, daß Richard Middlemas das Vermögen beanspruchen durfte, das seinen Vormündern, dem Stadtsekretär und dem Doktor Gray, zur Verwaltung übergeben worden war.
Sein Pflegevater fragte ihn natürlich, wozu er sich nun beim Antritt seiner Selbständigkeit entschlossen habe.
Er gab die trockene Antwort, es hätten sich ihm Aussichten eröffnet, über die er nicht weiter reden dürfe. Wenn er aber erst in London sei, wolle er seinem Pflegevater schreiben und ihm Näheres mitteilen.
Gideon war des Glaubens, der Vater oder Großvater des jungen Mannes hätten an diesem entscheidenden Wendepunkt seines Lebens sich endlich zu einer Annäherung bereit gefunden. Er erwiderte daher:
»Richard, du bist ein Kind des Geheimnisses. Wie du zu mir gekommen bist, so gehst du wieder von mir. Ich wußte nicht, woher du kamst, und nun weiß ich nicht, wohin du gehst. Daß also alles, was dich betrifft, ein Geheimnis bleibt, ist vielleicht nicht gerade günstig. Aber wie ich stets in Freundlichkeit dessen gedenken werde, den ich solange gekannt habe, so mußt auch du, wenn du dich des alten Mannes erinnerst, immer eingedenk sein, daß er dir gegenüber seine Pflicht getreu getan hat, soweit seine Mittel und sein Können gingen, und daß er dich den edlen Beruf lehrte, durch den du dir – wie auch immer dein Los sich gestalten mag – dein Brot verdienen und zugleich das Unglück deiner Mitmenschen lindern kannst.«
Durch die schlichte Güte des Doktors gerührt, sprach ihm Middlemas seinen herzlichen Dank aus.
»Noch ein Wort!« sagte Gray und zog ein kleines Schmuckkästchen hervor. »Deine unglückliche Mutter hat mir diesen wertvollen Ring gegeben, ich habe kein Recht daran, denn meine Bemühungen sind mehr als reichlich bezahlt worden, ich habe ihn auch nur in der Absicht angenommen, ihn für dich aufzuheben, bis die Stunde gekommen wäre. Er kann dir vielleicht von Nutzen sein, wenn einmal nach deiner Herkunft gefragt wird.«
»Ich danke Euch nochmals!« rief Richard. »Ihr wart mir mehr als ein Vater!«
Der Abschied von der armen Marie war noch rührender. Ihr Kummer rief wieder alle Innigkeit der ersten Liebe in ihm wach. Er machte sich von dem Vorwurf, ihr nicht aufrichtig zugetan zu sein, frei, indem er nicht nur um sofortige Verheiratung bat, sondern sich bereit erklärte, auf seine glänzenden Aussichten zu verzichten und Herrn Grays bescheidene Stellung zu teilen, wenn er gleich mit ihr getraut würde.
Aber obgleich in diesem Zeugnis von der Treue ihres Geliebten ein Trost für Marie lag, so war sie doch nicht so unklug, ein Opfer anzunehmen, das ihn nachher hätte gereuen können.
»Nein, Richard,« sagte sie, »es nimmt selten ein gutes Ende, wenn man unter dem Einfluß augenblicklicher Gefühle Entschlüsse ändert, die man nach reiflicher Überlegung gefaßt hat. Ich habe es lange gemerkt, daß deine Pläne weit über die bescheidne Stellung hinausgehen, die dir in diesem Orte winkt. So geh denn auf die Suche nach Rang und Reichtum, vielleicht denkt auch dein Herz bald anders. Dann vergiß Marie Gray, wenn das nicht eintrifft, so können wir uns wiedersehen und du kannst versichert sein, daß ich dir immerdar die Treue wahren werde.«
Als die Trennung vorüber war, stieg Richard auf ein Pferd und machte sich auf den Weg nach Edinburgh, wohin sein Gepäck schon vorausgeschickt worden war.
Unterwegs kam ihm öfters der Gedanke, er täte wohl besser daran, wieder umzukehren und sich sein Glück zu sichern, indem er Marie heiratete und sich mit dem bescheidenen Einkommen begnügte. Aber als er sich seinem Freunde Hillary angeschlossen hatte, war alles vergessen, und er fühlte sich bestärkt in dem Entschlusse, erst Rang und Reichtum zu erringen und sie dann mit Marie Gray zu teilen.
Aber die Dankbarkeit gegen ihren Vater schien noch rege zu sein, denn er übersandte ihm ein hübsches Petschaft mit einem Löwen in goldnem Felde. Marie kannte die Handschrift und beobachtete gespannt ihren Vater, als dieser den Brief kopfschüttelnd las.