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Kapitän Seelencooper und seine Genossen vernahmen von ihm mit Zittern und Zagen, denn sie befürchteten, daß nun auch sie zur Rechenschaft gezogen würden, allein der General, der sonst alles persönlich untersuchte, schien nicht willig, das Lazarett selber zu revidieren. Man schrieb diese Abneigung der Furcht vor Ansteckung zu, und jedenfalls war die auch der Grund, doch ließ sich General Witherington zu dieser Handlungsweise nicht durch Besorgnis um seine eigene Person bestimmen, er fürchtete lediglich, er könne den Krankheitsstoff mit nach Hause in die Kinderstube bringen, in der der zärtliche Vater tagtäglich weilte.

Seine Gemahlin war noch ängstlicher. Wenn der Wind von der Seite her wehte, wo das Lazarett lag, so ließ sie die Kinder nicht aus dem Hause. Die Vorsehung macht jedoch oft alle Maßregeln der Sterblichen zu nichte.

Auf einem Spaziergange in einer Gegend, die als die entlegenste und vor der Seuche sicherste zu kleinen Ausflügen erwählt worden war, begegneten die Kinder einem Weibe, das auf dem Arme ein kaum von den Pocken genesenes Kind trug.

Der Vater hatte aus Ängstlichkeit und infolge religiöser Bedenken seitens der Mutter die Kinder noch nicht impfen lassen, auch war die Impfung damals noch nicht allgemein üblich.

Wie das Feuer an einer Zündschnur griff nun die Krankheit um sich und befiel alle Mitglieder der Familie, die die Seuche noch nicht gehabt hatten.

Der zweite Knabe starb, desgleichen zwei farbige Diener. Die Angst des Vaters und der Mutter hatte den Höhepunkt erreicht, als der Kammerdiener des Generals, der wie er selber aus Northumberland stammte, eines Tages mit der Nachricht nach Hause kam, unter den Ärzten des Lazaretts sei ein junger Mann, gleichfalls ein Northumbrier, der öffentlich die bisherige Behandlungsweise der Krankheit getadelt und eine andere empfohlen hätte, die er selber schon mit bestem Erfolge angewandt hätte.

»Laßt den jungen Mann sofort zu mir kommen«, entschied der General ohne weiteres.

Elftes Kapitel

Bekanntlich bestand die alte Behandlungsweise der Pocken darin, daß man den Kranken alles versagte, wonach sie naturgemäß verlangten, sie wurden in geheizte Zimmer geschlossen, in wollene Decken gehüllt und erhielten Glühwein als Getränk, während die Natur kaltes Wasser und frische Luft begehrte. Seit einigen Jahren war von mehreren Ärzten eine entgegengesetzte Behandlungsweise angewendet worden, die namentlich von Gideon Gray in hohem Maße vervollkommnet worden war.

Als General Witherington den jungen Arzt sah, machte ihn zunächst das jugendliche Alter ein wenig stutzig. Als er ihm aber zugehört hatte, wie er mit Bescheidenheit und Selbstvertrauen den Unterschied zwischen den beiden Heilverfahren auseinandersetzte, hatte er eine andere Meinung von ihm. Dennoch war er sich noch nicht sogleich schlüssig.

»Eure Beweisführung scheint einleuchtend,« sagte er zu Hartley, »aber sie beruht immerhin nur auf einer Vermutung. Was könnt Ihr zur Bekräftigung Eurer Theorie anführen, die doch eben dem allgemein üblichen Verfahren zuwiderläuft?«

»Die eigene Erfahrung«, antwortete Hartley. »Ich habe hier ein Tagebuch über Krankheitsfälle, deren Behandlung ich mit angesehen habe, es sind zwanzig Fälle von Pocken darin angeführt, von denen achtzehn geheilt wurden.«

»Und die anderen zwei?« fragte der General.

»Endeten mit dem Tode«, erwiderte Hartley. »Es ist uns noch nicht völlige Gewalt über diese Geißel des Menschengeschlechts gegeben.«

»Junger Mann,« fuhr der General fort, »wenn ich Euch nun sage, 1000 portugiesische Dukaten sind Euer, wenn es Euch gelingt, meine Kinder am Leben zu erhalten, was könnt Ihr als Gegengewähr aufstellen?«

»Ich setze meinen Ruf dagegen,« antwortete Hartley ruhig und fest.

»Und könnt Ihr Euren Ruf einsetzen für die Heilung Eurer Patienten?«

»Verhüts Gott, daß ich so anmaßend wäre! ich kann aber dafür einstehen, daß diejenigen Mittel angewendet werden, die mit Gottes Segen die beste Aussicht auf einen glücklichen Ausgang verbürgen.«

»Genug,« entschied der General, »Ihr seid vernünftig, bescheiden und kouragiert, ich will Euch vertrauen.«

Seine Gattin, auf die Hartleys Worte und Wesen einen tiefen Eindruck gemacht hatten, hegte schon längst den innigen Wunsch, daß mit dieser Behandlungsweise gebrochen würde, bei der die Kranken schmerzlichster Qual und Entbehrung preisgegeben waren, und die sich auch schon als verhängnisvoll erwiesen hatte, erklärte sich mit der Entscheidung ihres Mannes mit Freuden einverstanden, und Hartley erhielt unumschränkte Vollmacht im Krankenzimmer. Die Fenster wurden geöffnet, die Feuer ließ man ausgehen, und an Stelle des Glühweines und der gewürzten Getränke kam frisches Wasser.

So ging Hartley ruhig seinen Weg, und die Patienten befanden sich bald auf dem Wege der Besserung.

Der junge Schotte war weder dünkelhaft noch durchtrieben, aber er kannte bei aller Gradheit seines Wesens doch den Einfluß, den ein Arzt auf die Eltern, deren Kinder er eben vom sicheren Tode errettet hatte, gewinnen mußte, und diesen Einfluß beschloß er zugunsten seines ehemaligen Kameraden auszunutzen.

Auf seinem Wege nach dem Hause des Generals, wo er zurzeit ständig wohnte, untersuchte er das Paket, das Middlemas ihm anvertraut hatte, es enthielt ein einfaches Miniaturbild der Marie Gray und den Brillantring, den der Doktor dem jungen Manne beim Abschied als letzte Gabe seiner Mutter ausgehändigt hatte. Das erste dieser Andenken entlockte Hartley einen Seufzer, vielleicht eine Träne und erfüllte ihn mit traurigen Erinnerungen.

»Ich fürchte nur,« dachte Hartley bei sich, »sie hat keine ihrer würdige Wahl getroffen, aber sie soll glücklich werden, wenn es in meiner Macht liegt, sie glücklich zu machen.«

Im Hause des Generals angelangt, begab sich Hartley sofort ins Krankenzimmer und brachte dann den Eltern die frohe Kunde, daß die Heilung ihrer Kinder sich als gesichert betrachten ließe.

»Doktor,« sagte Witherington, »Ihr habt Euren Ruf eingesetzt, den Euer glänzender Erfolg nun nur noch gesteigert hat, gegen 1000 portugiesische Dukaten. Ihr findet den Betrag hier in diesem Taschenbuch.«

»Herr General,« sagte Hartley, »Ihr seid reich und habt ein Recht, Großmut zu üben, ich bin arm und kann es mir nicht leisten, ein Honorar für meine ärztlichen Bemühungen zurückzuweisen, aber selbst in der Freigebigkeit ist eine Grenze, und ich werde mir nur gestatten, die Hälfte dieser Summe als überreiche Belohnung meiner Dienste anzunehmen, und wenn Ihr noch in meiner Schuld zu stehen meint, so tragt sie damit ab, daß Ihr mir Eure gute Meinung wahrt und Eure Gunst.«

Nur mit Widerstreben steckte der General einen Teil des Geldes wieder zu sich.

»Und wenn ich mich mit Eurem Vorschlag einverstanden erkläre,« sagte er, »so geschieht es nur in Rücksicht darauf, weil ich Euch mit meinem Einfluß weit mehr helfen kann als mit meiner Börse.«

»Und in der Tat,« entgegnete Hartley, »wollte ich Euch gerade jetzt um eine kleine Gunst ersuchen.«

Der General und seine Gemahlin sprachen in einem Atem die Versicherung aus, daß sein Ansuchen im voraus gewährt sei.

»Dessen bin ich noch nicht so gewiß,« versetzte Hartley, »denn es betrifft etwas, worin Euer Exzellenz sonst durchaus unzugänglich ist: die Freigabe eines Rekruten.«

»Das verlangt meine Pflicht,« antwortete der General. »Ihr wißt, mit was für einer Sorte von Kerlen wir uns begnügen müssen. Sie betrinken sich, lassen sich am Abend anwerben, und am andern Morgen tut es ihnen wieder leid. Wenn ich da jeden wieder gehen lassen wollte, der von dem Sergeanten beschwindelt worden sein will, so würden wir herzlich wenig Freiwillige übrig behalten.«