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»Dieser Fall liegt aber etwas eigentümlich. Der junge Mann ist um 1000 Pfund bestohlen worden.«

»Ein Rekrut, der sich für uns hat anwerben lassen, im Besitz von 1000 Pfund! Verlaßt Euch drauf, der Kerl hat Euch belogen, Doktor. Wie sollte denn einer, der 1000 Pfund hat, darauf hineinfallen, sich als Gemeiner für uns anwerben zu lassen.«

»Davon war auch gar keine Rede,« versetzte Hartley. »Der Schelm, von dem er sich hat übertölpeln lassen, hat ihm weisgemacht, er solle eine Offiziersstelle bekommen.«

»Das kann nur Tom Hillary gewesen sein, so frech ist sonst keiner, der Kerl kommt doch noch einmal an den Galgen. Aber habt Ihr auch bestimmten Anhalt dafür, daß der Mann diese Summe in der Tat besessen hat?«

»Das weiß ich ganz bestimmt,« erwiderte Hartley. »Wir sind beide zusammen bei dem gleichen trefflichen Manne in Lehre gewesen. Als nun mein Kamerad großjährig wurde, gefiel ihm der ärztliche Beruf nicht mehr, er bekam sein kleines Vermögen ausgezahlt und ist dann den Betrügereien Hillarys zum Opfer gefallen.«

»Der Fall soll genau untersucht werden,« versprach der General. »Wie schändlich ist es aber von den Angehörigen des jungen Mannes, sich so wenig um ihn zu kümmern. Einen Burschen, der noch von nichts was weiß, einem Gauner wie diesem Hillary in die Hände fallen zu lassen, ihn mit solch' einer Summe blindlings in die Welt zu schicken!«

»Der junge Mann muß wirklich hartherzige und sorglose Eltern haben!« sagte auch Frau Witherington im Tone des Mitleids.

»Er hat seine Eltern nie kennen gelernt,« antwortete Hartley. »Ein Geheimnis waltet über seiner Geburt. Von jemand, der ihn nie gesehen und nie zärtlich sich um ihn gesorgt hat, ist ihm sein Erbteil gegeben worden, und er ist in die Welt hinausgeschickt worden, wie ein Schiff ohne Steuer und Kompaß.«

Bei diesen Worten sah General Witherington unwillkürlich seine Gemahlin an, die, von dem gleichen innern Antrieb geleitet, ihrerseits ihn ansah. Sie tauschten einen raschen Blick von besonderer Bedeutung aus und senkten dann beide die Augen zu Boden.

»Ihr wart in Schottland in der Lehre,« fragte die Dame mit bebender Stimme, »und wie hieß Euer Lehrherr?«

»Ich war in Lehre bei Herrn Doktor Gideon Gray in dem Städtchen Middlemas.«

»Middlemas – Gray –« hauchte die Dame und fiel in Ohnmacht.

Hartley bot seinen ärztlichen Beistand an, der General aber stürzte zu ihr und flüsterte ihr in halb drohendem, halb warnendem Tone zu:

»Zilia, hüte dich!«

Sie lallte ein paar unverständliche Laute. Dann hob ihr Mann sie auf und trug sie aus dem Zimmer. Nach wenigen Minuten kehrte er zurück und redete Hartley in dem ihm eignen höflichen Tone an, obwohl es ihm nur schwer gelang, seiner Verwirrung Herr zu werden.

»Es geht meiner Frau schon wieder besser, sie wünscht Euch zu Mittag zu sehen. Ihr werdet uns doch zu Tisch die Ehre geben?«

Hartley verneigte sich.

»Meine Frau leidet öfters an derartigen Anfällen. Gram und Besorgnis haben sie in letzter Zeit zu sehr mitgenommen. Ich habe es deshalb nicht gern, daß bei diesen Anfällen, die stets wieder vorübergehen, jemand anders außer mir und ihrer alten Dienerin bei ihr ist. – Was jenen jungen Mann, Euren Freund, anbetrifft, – diesen Richard Middlemas – so nanntet Ihr ihn ja wohl?«

»Den Namen nannte ich wohl nicht, indessen,« antwortete Hartley, »haben Euer Exzellenz den Namen getroffen.«

»Das ist seltsam, Ihr müßt aber doch so etwas wie Middlemas gesagt haben,« bemerkte der General.

»Den Namen der Stadt habe ich genannt,« sagte Hartley.

»So dacht ich, das wär' der Name des Rekruten, ich war im Augenblick von dem Anfall meiner Frau ein wenig benommen. Nun, dieser Middlemas, wie er also doch heißt, ist wohl ein wilder Bursche?«

»Ich tät ihm unrecht, wollte ich ihn so nennen. Er hat wohl wie andre junge Leute seine Fehler, aber er ist doch ein tüchtiger und ordentlicher Mensch.«

»So? Er möchte also Soldat werden? Hat er ein nettes Aeußres?«

»Er ist auffallend schön,« versetzte Hartley, »und von einnehmendem Wesen.«

»Hat er dunkeln oder hellen Teint?«

»Ziemlich dunkel. Noch einen Schein dunkler als Euer Exzellenz, wenn ich mir diesen Vergleich erlauben darf.«

»Ei, dann muß er so schwarz sein wie eine Amsel. Beherrscht er fremde Sprachen?«

»Lateinisch und Französisch ziemlich vollkommen.«

»Fechten und tanzen kann er aber jedenfalls nicht?«

»Ich kann mir in diesen Dingen kein Urteil anmaßen, aber Richard gilt als Meister in beiden.«

»Das alles zusammen klingt gar nicht häßlich. Hübsches Äußere, körperliche Gewandtheit, gute Schulbildung, tüchtiger, nicht allzu wilder Charakter – der Mann ist zu schade zu einem Gemeinen – er muß eine Offiziersstelle haben, Doktor, wär's auch nur, um Euch einen Gefallen zu tun.«

»Euer Exzellenz sind großmütig.«

»Ich werde dafür sorgen, daß Tom Hillary ihm das gestohlene Gut zurückerstattet, wenn er nicht an den Galgen will – ein Schicksal, das er freilich schon längst verdient hat. Ihr aber geht heute nicht nach dem Lazarett, denn Ihr sollt bei uns speisen und wißt, wie groß die Angst meiner Frau vor Ansteckung ist. Aber morgen werdet Ihr Euch darum kümmern, daß der junge Mann mit allem, was er braucht, ausgerüstet wird. Mit dem ersten Ostindienfahrer Middlesex soll er dann abreisen.«

»Werden Euer Exzellenz erlauben, daß er Euch vorher seine Aufwartung macht?«

»Das hätte keinen Zweck,« entgegnete der General schnell und bestimmt, »Doch ja! Ich möchte ihn einmal sehen. Mein Diener Winter wird ihm die Zeit nennen und ihn herführen. Vorher aber muß er mindestens zwei Tage aus dem Lazarett sein. Je eher Ihr ihn hinauslaßt, um so besser.«

Obwohl Hartley in die Umstände der Geburt seines Jugendkameraden nicht eingeweiht war, machte ihn doch mancherlei an dem Benehmen des Generals und seiner Frau stutzig und er beschloß, einen kleinen Versuch zu machen, den er im Grunde für ziemlich harmlos hielt.

Er steckte den Ring an den Finger, den Middlemas ihm anvertraut hatte, und wußte es so einzurichten, daß Frau Witherington auf den Schmuck aufmerksam wurde.

Sie hatte ihn kaum gesehen, als sie auch die Augen fest auf ihn geheftet hielt und ihn genauer zu betrachten wünschte, weil er frappant einem Ringe ähnelte, den sie einem Freunde geschenkt habe.

Hartley zog ihn vom Finger und reichte ihn ihr mit der Bemerkung, er gehöre seinem Freunde, für den er bei dem General ein gutes Wort eingelegt habe.

In größter Aufregung zog sich Frau Witherington zurück und ließ am nächsten Tage Hartley zu einer Unterredung zu sich kommen, von deren Inhalt später die Rede sein wird.

Am folgenden Tage wurde Middlemas zu seiner großen Freude aus dem Lazarett entlassen und bei seinem Freunde einquartiert. Zwei Tage später traf sein Patent als Leutnant im Dienste der Ostindischen Gesellschaft ein.

Zwölftes Kapitel

Ehe der neue Leutnant die Reise antrat, wurde er von dem Kammerdiener Winter aufgefordert, ihm zum General zu folgen, um dem hohen Herrn vorgestellt zu werden.

Während beide den Weg zurücklegten, harrten ihrer der General und seine Frau in banger Spannung. Sie saßen in einem luxuriös ausgestatteten Empfangszimmer. Der General hatte sich hinter einen großen Leuchter gesetzt, so daß er im Schatten des Schirmes saß, von wo aus er den Besuch beobachten konnte, ohne selber genauer Beobachtung ausgesetzt zu sein.

Seine Gattin saß auf einem Berg von Kissen – eine Dame, die die volle Blüte der Schönheit schon überschritten hatte, deren Äußeres aber noch deutlich die Kennzeichen ihrer frühern wundersamen Schönheit zeigte. Sie erschien jetzt in tiefster Erregung.

»Zilia,« sagte ihr Gemahl, »du bist es nicht imstande – du hast dir zu viel zugetraut – hör auf meinen Rat und geh hinaus – ich will dir alles mitteilen, was vor sich geht – nur geh jetzt! Weshalb hältst du so hartnäckig an dem Verlangen fest, ein Wesen auf einen Augenblick zu sehen, mit dem du doch niemals wieder zusammenkommen darfst?«