Dreizehntes Kapitel
Als Adam Hartley in seine Wohnung im schönen Städtchen Ryde kam, erkundigte er sich zuerst nach seinem Kameraden, er erfuhr, daß dieser in der verflossenen Nacht spät nach Hause gekommen war, Mann und Pferd waren von Schaum bedeckt gewesen. Auf die Frage, ob er zu Abend essen wolle, hatte der junge Mann nicht geantwortet, er hatte ein Licht genommen, war die Treppe hinunter gelaufen und hatte sich in seinem Zimmer eingeschlossen.
Die Diener glaubten, er habe einen kleinen Rausch gehabt und in diesem Zustand einen tollen Ritt gemacht, nun habe er nicht andre merken lassen wollen, was mit ihm los sei.
Nicht ohne Besorgnisse trat Hartley an die Tür seines Zimmers. Nachdem er mehrmals angeklopft hatte, erhielt er endlich die Antwort:
»Wer ist da?«
Als Hartley seinen Namen nannte, machte Middlemas auf. Er war sauber gekleidet und sorgsam gepudert, aber das Bett war noch unbenutzt, und sein Antlitz war verstört und übernächtigt. Seine Rede hatte den Ton erzwungener Gleichgiltigkeit.
»Ich wünsche Euch Glück, Adam, Ihr laßt Euch ganz gut an als gewiegter Weltweiser«, sagte er. »Es ist ein günstiger Augenblick, den armen Erben aufzugeben und sich an den zu halten, dem Reichtum in den Schoß geschneit ist.«
»Ich war in der vergangenen Nacht bei General Witherington,« erwiderte Hartley, »weil es ihm sehr schlecht ging.«
»So sagt ihm, er solle Buße tun für seine Sünden,« sagte Middlemas, »ein Arzt darf ebenso geistlichen Rat erteilen wie ein Prediger. Erinnert Ihr Euch, wie Doktor Dulberry, unser Pfarrer, dem Doktor Gray den Vorwurf machte, er pfusche ihm ins Handwerk? Ha, ha, ha!«
»Ich begreife nicht, wie Ihr in Eurer Lage so reden könnt,« sagte Hartley.
»Ei! Hab' ich doch gestern meine Eltern gefunden!« rief Middlemas. »Meine Mutter hat, wie Ihr wißt, ihr Sterben genau bis zu diesem Augenblick aufgeschoben, und mein Vater hat mit dem Verrücktwerden solange gewartet. Ich schließe daraus, sie haben beide mit Absicht so gehandelt, um mich um mein rechtmäßiges Erbteil zu prellen, da mein Vater von Anfang an nichts von mir hat wissen wollen.«
»Euer Erbteil!« entgegnete Hartley, bestürzt über die Ruhe Richards und in dem Glauben, der Wahnsinn seines Vaters habe auch ihn ergriffen. »In des Himmels Namen! faßt Euch und laßt von solcher Täuschung! Von was für einem Erbteil hat Euch denn geträumt?«
»Von dem meiner Mutter doch wohl, deren Schätze der alte Moncada geerbt haben muß – auf wen sonst als auf ihre Kinder können sie übergehen, und ich bin der älteste unter ihnen, das ist nicht abzuleugnen.«
»Richard, bedenkt und faßt Euch!«
»Das ist geschehen, was weiter?«
»Ihr dürft nicht vergessen, daß Ihr infolge Eurer Geburt von jeder Erbschaft ausgeschlossen seid, wenn nicht ein besondres Testament zu Euren Gunsten vorhanden ist.«
»Da irrt Ihr Euch, Herr, ich bin ein rechtmäßiger Sohn. Die kränkliche Brut, die Ihr vom Tode errettet habt, besitzt nicht mehr Rechte als ich – die Eltern wollten nicht einmal, daß die Luft des Himmels sie frei anwehte, und mich überließen sie den Winden und Wogen – aber ich bin ebenso ihr rechtmäßiger Sproß wie jene Kinder schwächerer Gesundheit, die sie in vorgerückteren Jahren bekommen haben. Ich habe sie gesehen, Adam, Winter hat sie mir gezeigt in der Kinderstube, während meine Eltern all ihren Mut zusammen nahmen, mich zu empfangen. Da lagen sie – die Kinder, die mir vorgezogen werden. Die Schätze des Orients waren in verschwenderischer Fülle ausgebreitet, daß sie sanft schlafen und in Pracht erwachen könnten. Ich, ihr ältester Bruder, ich, der Erbe, stand neben ihrem Bette in geborgtem Kleide, das ich erst vor kurzem mit den Lumpen eines Hospitals vertauscht habe. Ihr Lager duftete von Wohlgerüchen, während ich von den Ausdünstungen eines Pesthauses dampfte. Und so bin ich – ich sage es nochmals – ich, der Erbe meiner Eltern, die Frucht ihrer ersten und innigsten Liebe – so bin ich behandelt worden! Kein Wunder, daß ich mir den Blick eines Basilisken angeeignet habe.«
»Ihr sprecht, als wärt Ihr vom bösen Geiste besessen,« sagte Hartley, »oder Ihr steht unter einem furchtbarem Irrtum.«
»Ihr haltet nur die für gesetzmäßig verheiratet, über die ein verschlafener Pastor den Segen gesprochen oder vielmehr aus einem Buche voll Eselsohren vorgelesen hat? So ist es vielleicht bei Euch in England, aber bei uns in Schottland ist die Liebe selber der Priester. Wenn sich ein Liebespaar Treue gelobt, so braucht nur der blaue Himmel droben Zeuge zu sein, und ein vertrauensvolles Mädchen ist gegen den Treubruch eines leichtfertigen Verehrers ebenso geschützt, wie wenn der Dechant in der höchsten Kathedrale Englands die Feier vollzogen hätte. Noch mehr, wenn der Vater das Kind der Liebe bei der Taufe anerkennt – wenn er die Mutter achtbaren Leuten als seine Frau vorstellt, so darf er nach den Gesetzen Schottlands nicht die Ansprüche wieder rückgängig machen, die er damit dem verführten Weibe und dem Sprößlinge der gegenseitigen Liebe eingeräumt hat. Dieser General Tresham oder Witherington hat nun meine Mutter als eine Frau behandelt, in Anwesenheit von Gray und andern Leuten, er hat sie in die Familie eines ehrbaren Mannes eingemietet und ihr denselben Namen gegeben, den zu führen ihm damals gerade einfiel. Er hat mich dem Prediger als seinen rechtmäßigen Sprößling überreicht, und das Gesetz nimmt in Schottland ein hilfloses Kind in Schutz, er darf auf Grund dieses Gesetzes mir jetzt nicht die Anerkennung verweigern, die er damals in aller Form zugegeben hat. Ich kenne meine Rechte und bin entschlossen, sie geltend zu machen.«
»So wollt Ihr nicht an Bord des Middlesex?« wandte Hartley ein. »Überlegt Euch das noch, Ihr könntet Eure Offizierstelle einbüßen.«
»Dafür verschaffe ich mir mein Geburtsrecht,« erwiderte Richard Middlemas. »Als ich die Absicht hatte, nach Indien zu gehen, da habe ich meine Eltern noch nicht gekannt, und wußte auch nicht, wie ich zu dem Rechte, das ich durch sie habe, kommen sollte. Dieses Rätsel ist nun aber gelöst, ich habe Anspruch auf mindestens ein Drittel von Moncadas Vermögen, das sehr bedeutend ist, wie ich erfahren habe. Wenn Ihr nicht wärt und die Pocken so gut zu behandeln verstündet, so hätte ich ein Anrecht auf das Ganze. Als der alte Gray sich fast die Perücke vom Kopfe riß vor Eifer, weil das Fenster aufgemacht und das Feuer ausgemacht werden sollte und an Stelle des Branntweins Wasser gereicht werden sollte, da habe ich mir nicht träumen lassen, daß diese neue Behandlungsweise der Pocken mir einen solchen Streich spielen und mich um so viele tausend Pfund bringen würde.«
»Ihr seid also entschlossen, bei Eurem tollen Entschlusse zu bleiben?«
»Ich kenne meine Rechte und bin entschlossen, sie geltend zu machen,« erwiderte der starrsinnige junge Mann.
»Es tut mir leid um Euch, Herr Richard Middlemas,« sagte Hartley. »Es tut mir leid um Euch, weil Ihr so hartnäckig an Eurer Selbstsucht festhaltet nach dem gestrigen Auftritt, und weil Ihr Euch dem eitlen Traume hingebt, daß Ihr auf diese Weise zu Reichtum gelangen könntet.«
»Ihr zeiht mich der Selbstsucht?« rief Middlemas. »Ich bin im Gegenteil ein pflichttreuer Sohn, der das Andenken seiner Mutter zu reinigen sucht – und Träumereien sollte ich mich hingeben? – Diese Hoffnung ist in mir erwacht, als der alte Moncada an Gray schrieb und mir meine Lage zum erstenmal klar wurde. Glaubt Ihr denn, ich hätte mich jemals in das langweilige Leben hineingefunden, wenn ich nicht dadurch den einzigen Faden in der Hand behalten hätte, der mich noch mit meinen unnatürlichen Eltern verband, und wenn ich nicht allein auf diese Weise mir die Möglichkeit sicherte, mich ihnen aufzudrängen und mir im Notfalle die Rechte eines gesetzlichen Kindes zu erzwingen? Daß Moncada nichts mehr von sich hören ließ und dann sein Tod hat meinen Plan vereitelt, und da erst habe ich mich mit dem Gedanken an Indien ausgesöhnt.«