»Ich will Euch nicht täuschen, Herr Middlemas,« sagte Hartley, »obgleich ich befürchten muß, Euch Kummer zu verursachen. Ich habe gestern eine lange Unterredung mit Eurer Mutter gehabt, sie hat Euch zwar als ihren Sohn anerkannt, aber eingestanden, daß Ihr vor der ehelichen Verbindung zur Welt gekommen wäret. Diese ausdrückliche Erklärung vernichtet alle Euere Hoffnungen. Wenn Ihr wollt, will ich Euch den Inhalt ihrer Erklärung mitteilen, die sie mir in ihrer eigenen Handschrift überreicht hat.«
Hartley begann nun die Ereignisse zu erzählen, die der Geburt Richards vorausgingen und die ihr folgten, und Middlemas, auf seiner Schiffskiste sitzend, hörte mit unnachahmlicher Fassung diesen Bericht mit an, der all seine blühenden Hoffnungen auf Reichtum in der Wurzel ausrodete.
Vierzehntes Kapitel
Zilia von Moncada war das einzige Kind eines sehr reichen jüdischen Kaufmannes aus Portugal, der sich in London niedergelassen hatte. Unter den wenigen Christen, die in seinem Hause verkehrten, war auch Richard Tresham, ein Mann aus hohem northhumbrischen Hause, der eine Zeitlang Offizier im Heere des Königs von Portugal gewesen war.
Das angenehme Äußere des Herrn, sein vornehmes Wesen, seine ausgezeichnete Kenntnis der portugiesischen Sprache gewannen ihm die Freundschaft des alten Herrn und das Herz seiner jungen, schönen Tochter.
Tresham hielt bei Moncada um die Hand der Zilia an. Der Handelsherr verweigerte seine Einwilligung und verbot ihm sein Haus. Er konnte aber nicht verhindern, daß die Liebenden sich heimlich sahen.
Der junge Mann nutzte die Gelegenheiten, die ihm die unschuldige Zilia bot, in unehrenhafter Weise aus, und die Folge war die Verführung des Mädchens. Der Verehrer hatte aber die beste Absicht, sein Unrecht wieder gutzumachen. Es wurde beschlossen, nach Schottland zu fliehen. Die eilige Flucht, die ständige Angst führten zu einer vorzeitigen Entbindung, sodaß die junge Mutter die Hilfe des Doktor Gray in Anspruch hatte nehmen müssen.
Das Paar war kaum ein paar Stunden in Middlemas gewesen, als Tresham durch einen scharfsichtigen Freund den Wink erhielt, ein Haftbefehl wegen Hochverrats sei gegen ihn ausgestellt, der auf das Gesuch Moncadas hin gleichzeitig auch auf den Namen seiner Tochter lautete.
Der Vater ereilte sein Kind, nahm es mit sich und verurteilte es zu strengster Einsamkeit.
Tresham flüchtete, verbarg sich in den Hochlanden, bis die Geschichte von seinem heimlichen Briefwechsel mit Karl Eduard von Portugal vergessen war, und trat dann nach mehreren Jahren in den Dienst der Ostindischen Gesellschaft unter seinem mütterlichen Namen Witherington.
Seine militärische Begabung verschaffte ihm bald ein hohes Amt und bedeutenden Reichtum. Sein Ruhm, sein Reichtum und die Erkenntnis, daß Zilia doch keinen andern heiraten werde als den Mann ihrer ersten Liebe, bekehrten den alten Moncada von seiner hartnäckigen Abneigung, und nach einer Trennung von vierzehn Jahren wurden die Liebenden endlich durch die Ehe miteinander verbunden.
General Witherington war bereitwillig mit dem Wunsche seines Schwiegervaters einverstanden, daß jede Erinnerung an vergangene Zeiten getilgt sein sollte und daß der Sohn – das Kind ihrer frühen und unglücklichen Liebe für immer fern und in fremden Händen, obwohl von ihnen mit allem nötigen versehen, bleiben sollte.
Die Mutter freilich dachte anders. Sie sehnte sich nach ihrem ersten Kinde, aber sie wagte nicht, sich dem Willen ihres Vaters und der Entscheidung ihres Mannes zu widersetzen. Die vielen Jahre lang schrie ihr Herz nach ihrem Kinde.
Und diese so lange unterdrückten Gefühle, mit Innigkeit gehegt, brachen nun bei der unvermuteten Entdeckung ihres Sohnes im vollen Strome hervor, als sie ihn, aus größter Not und dringendster Lebensgefahr errettet, plötzlich vor sich sah.
Vergeblich versicherte ihr Gemahl, er werde sich des jungen Mannes annehmen und mit Geldmitteln und seinem Einfluß für sein Wohlergehen sorgen, sie war nicht eher beruhigt, als bis sie selber etwas getan hatte, das Los der Verbannung zu mildern, zu dem ihr Erstgeborener verurteilt war. Sie war dazu um so fester entschlossen, als sie sich durch die langen Jahre geheimen Leidens völlig gebrochen fühlte.
Es lag nahe, daß sie sich an Hartley, den Kameraden ihres Sohnes wandte, dem sie ohnehin die Rettung ihrer jüngeren Kinder verdankte. Sie übergab ihm die Summe von 2000 Pfd. – ihr unangefochtenes Privateigentum – und bat ihn mit den zärtlichsten und liebevollsten Worten, er möchte das Geld in derjenigen Weise, die er für die förderlichste halte, zum besten ihres armen Sohnes verwenden.
Sie gab ihm die Versicherung, daß sie ihn weiterhin unterstützen werde, sobald das erforderlich sein werde, und gab Hartley ein Schreiben, das er ihrem Sohne überreichen sollte, wenn er es für angebracht hielte.
Das Schreiben hatte folgenden Inhalt:
»O Benoni, Kind meines Kummers! Warum soll Deine unglückliche Mutter Dich mit Augen schauen dürfen, während es doch ihren Armen versagt bleibt, Dich an den Busen zu drücken? Möge der Gott der Juden und Heiden Dich beschützen! Daß er doch zu seiner Zeit die Finsternis aufhöbe, die zwischen mir und dem Geliebten meines Herzens besteht – der ersten Frucht meiner unglücklichen und ach! unheiligen Liebe! Denke nicht, mein geliebtes Kind, Du seist ein einsamer Verbannter, denn Deiner Mutter Gebet steigt auf für Dich bei Sonnenaufgang und Untergang, und fleht Segen herab auf Dein Haupt. Trachte aber nicht danach, mich zu sehen – ach! weshalb muß ich doch so etwas schreiben! – aber ich will mich neigen in den Staub und meine Sünde und Torheit anklagen! – trachte nicht danach, mich zu sehen oder mich zu sprechen – es könnte der Tod sein von uns beiden! Vertraue Deine Gedanken dem ausgezeichneten Hartley, der der Schutzengel von uns allen war, und was er Dir rät, das soll geschehen, soweit es in Deiner Mutter Macht liegt. Und die Liebe einer Mutter – können Meere sie einschließen, oder kommt je eine Wüste oder eine weite Welt ihr an Ausdehnung gleich! O Kind meines Kummers, o Benoni, sei im Geiste bei mir, wie ich bei Dir bin!
Z.M.«
»Sicherlich,« dachte Hartley, als er seinen Bericht beendet hatte, »werden bei einem solchen Zauber die Teufel des Ehrgeizes und der Habsucht ihre Klauen von dem Manne lassen, den sie jetzt als ihre Beute festgehalten haben.«
Wirklich hätte Richards Herz von Stein sein müssen, wenn ihn nicht dieses erste und letzte Zeugnis von der Liebe seiner Mutter hätte rühren sollen. Er legte den Kopf auf den Tisch, und seine Tränen flossen reichlich.
»Und nun,« schloß Hartley, »habe ich nur noch die Pflicht, Euch die Summe zu überreichen, die Eure Mutter mir anvertraut hat.«
Middlemas nahm die Banknoten und zählte sie mit kaufmännischer Genauigkeit, und obgleich er mit einer Miene tiefster Niedergeschlagenheit nach der Feder griff, faßte er doch den Empfangsschein, den er jetzt schrieb, in gut gewählten Ausdrücken ab, die wohl bezeugten, daß er seine Verstandeskräfte völlig beisammen hatte.
»Mein Geschick ist grausam,« sagte er dann mit einer Pose des Grames. »Ich freute mich schon, daß ich endlich meine Eltern gefunden hatte, ich war schon entschlossen, meine Rechte geltend zu machen und mir zu erzwingen, was mir zusteht. Meine Eltern mochten ja wohl auch selber willens gewesen sein, mich zum Erben einzusetzen. Nun hat ein Zufall alles zu nichte gemacht. – Verflucht! Wieder ist mir der Becher von den Lippen weggerissen worden!«
»Ihr müßt bedenken,« antwortete Hartley, »daß diese Mitteilungen, die freilich Eure allerdings ganz unbegründeten Hoffnungen vernichtet haben, denn Ihr seid ja vor der rechtmäßig geschlossenen Ehe geboren worden – gleichzeitig doch eine Verdreifachung Euers bisherigen Vermögens mit sich bringen, und daß viele Millionen nicht halb soviel besitzen wie Ihr, wenn auch ein paar tausende auf der Welt reicher sind. Hebt Euch also mutig über Euern Unstern hinweg und verzweifelt nicht daran, daß auch Ihr es im Leben noch zu etwas bringen könnt.«