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Das Bücherzimmer in Waverley-Würden, ein großer, im gotischen Stile gehaltener Saal, barg eine Bibliothek aus der Zeit von zwei Jahrhunderten, also eine jener Sammlungen, wie sie immer in Familien entstehen, die Mittel genug haben, ihre Schränke durch die Erscheinungen des Tages auf dem Büchermarkte zu füllen, denen es jedoch an Verständnis und Einsicht gebricht, die richtige Auswahl zu treffen.... Dieses weite Reich nach allen Richtungen und auf allen Gebieten zu durchstreifen, war Edward vollständig frei gestellt. Sein Hauptlehrer lag seinen eignen schriftlichen Arbeiten mit Eifer ob, theologische Streitfragen und Kirchenpolitik nahmen ihn stark in Anspruch und ließen es ihm ganz erwünscht erscheinen, auf einige Stunden am Tage von dem Unterricht des Knaben frei zu kommen, wiewohl er nicht unterließ, die Fortschritte des Erben seines Gönners aufmerksam und eifrig im Auge zu behalten. Sir Everard, der selbst nie studiert hatte, teilte die Ansicht seiner Schwester, daß es vollauf genüge, wenn man nur hin und wieder läse, und daß es gar nicht notwendig sei, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob es richtiger und schöner gewesen sei, den einen Gedanken so und den andern anders auszudrücken. Edward durchjagte also, einzig und allein durch das Verlangen bestimmt, sich gut zu unterhalten, eine Unmenge von Büchern, genau so wie ein Fahrzeug ohne Steuermann und Ruderknecht auf den Wellen eines Wassers treibt.

Aber keine andre Gewohnheit reißt beim Menschen schneller ein, als die einer planlosen Lektüre, zumal dann, wenn sie so reiche Gelegenheit zur Befriedigung findet, wie ihr hier auf dem Schlosse Waverley geboten wurde. Und die nächste unausbleibliche Folge hiervon ist die Uebersättigung. Ehe es aber bei Edward hierzu kam, hatte er eine große Menge wissenswerter Dinge in sich aufgenommen und in seinem Gedächtnis, das eine ungewöhnliche Treue aufwies, aufgespeichert, wenn auch ohne Ordnung und Plan. In der englischen Literatur hatte er Shakespeare und Milton ziemlich fest inne, etwa wie unsre Schauspieldichter früherer Zeiten, die sich an den malerischsten und anziehendsten Stellen ihrer Vorgänger auf belletristischem Schaffensgebiet, wie vor allem Spencer, Drayton und andrer, so lange begeisterten, bis sie die richtige Stimmung für eigenes Schaffen gefunden hatten.

Ein dankbares Feld eröffneten ihm die Dichter Italiens, und wahren Genuß fand er an den herrlichen Novellen, die diese großen Geister des zweitältesten Kulturlandes der Menschheit beschert haben. Eine unerschöpfliche Sammlung von Memoirenwerken bot ihm die französische Literatur. Am liebsten las er hier Froissarts Werke, die mit ihrem Gemisch von Schauer und Fröhlichkeit seiner Gemütslage am meisten entsprachen. Aus Brantome und de la Noue lernte er den wilden, zügellosen und dabei bigotten und abergläubischen Charakter der Ligue kennen, aber die Vergleiche, die er hierbei zu ziehen Veranlassung fand, fielen wesentlich zu gunsten der Hugenottenpartei aus. Was ihm die Spanier an Rittergeschichten und erotischen Heldendichtungen boten, war ihm ein unvergleichlicher Schatz. Aber tiefer noch drang er in die uralten Dichtungen der nordischen Völker ein, die seiner Phantasie die schönste Befriedigung schufen und seinen Geist am energischsten förderten.

Obgleich nun Edward auf diese Weise vieles wußte, was wenigen bekannt war, so war er im Grunde genommen doch ein Nichtswisser, weil er nur wenig von jenem Wissen besaß, das dem Menschen die wahre Würde verleiht, das ihn befähigt, einen höhern Standpunkt in der Gesellschaft einzunehmen und zur Freude und zum Nutzen seiner Mitmenschen auszufüllen.

Hätten seine Eltern regere Gelegenheit genommen, seine Bildung zu überwachen, so wäre dies wohl ein heilsames Gegenmittel gegen die Zersplitterung gewesen, in die sein Geist zufolge dieser planlosen Bücherwut geraten mußte. Aber seine Mutter starb sieben Jahre später, als die Aussöhnung der Brüder erfolgt war, und sein Vater, der seit dem Hinscheiden seiner Frau fast immer in London weilte, war zu lebhaft in Anspruch genommen von seinem Ringen nach Ehren und Reichtümern, um mehr an seinem Sohne zu finden, als daß er eine solche Bücherliebe besäße, daß ihm eine Bischofsmütze dereinst sicher sein müsse.

Aber zu einem ganz andern Schlusse auf seines einzigen Sohnes Zukunft wäre er gekommen, wenn er die Fähigkeit und Möglichkeit besessen hätte, die in dem Gemüte desselben aufdämmernden Träume zu erraten und zu beurteilen.

Drittes Kapitel

Edward stand in seinem sechzehnten Jahre, als sein Hang zur Einsamkeit und Zurückgezogenheit so offenbar wurde, daß Sir Everard sich ängstlicher Besorgnis hingab. Er suchte ihm nun Zerstreuung dadurch zu schaffen, daß er ihn zu Jagdpartien heranzog, die für ihn als Jüngling die schönste Zerstreuung gewesen waren.

Aber wenngleich sich Edward eine Zeitlang diesem Sport mit großem Interesse widmete, so dauerte dies doch im Grunde kaum länger, als bis er meinte, sich die notwendigste Befähigung dafür angeeignet zu haben.

Nun gab sich der alte Isaak Walton die erdenklichste Mühe, aus ihm einen echten Angelbruder zu machen. Aber von allen Zerstreuungen, die sich der menschliche Geist machen kann, ist wohl diejenige des Angelns am allerwenigsten geeignet, einem ungeduldigen Charakter zuzusagen.

Geselliger Verkehr hätte unserm Jüngling wohl noch am ehesten behagt, aber die Umgegend von Schloß Waverley war im Grunde genommen schwach bewohnt, und die Landjunker derselben gehörten kaum zu derjenigen Klasse, wie sie für Edward passend gewesen wäre. Hierzu kam, daß Sir Everard nach dem Tode der Königin Anna auf seinen Sitz im Parlament verzichtet und sich zufolgedessen auch von allen gesellschaftlichen Verpflichtungen frei gemacht hatte, er war eben auch mit den Jahren an Vermögen reicher, aber an Freunden ärmer geworden, wie es den meisten Menschen in geordneten Verhältnissen zu gehen pflegt, wenn sie in ein höheres Alter hinauf rücken. Eine Folge für Edward hieraus war, daß er sich, wenn ihn der Zufall einmal mit jungen Leuten seines Standes zusammen führte, linkisch und unbeholfen vorkam, und zwar weniger infolge von Mangel an Bildung und Kenntnissen; als infolge von Mangel an Befähigung, sie zu beherrschen und von sich zu geben.

Hieraus entwickelte sich nun bei Edward eine steigende Abneigung gegen allen gesellschaftlichen Verkehr, und hieraus wieder entstand ein hoher Grad von Empfindlichkeit, und der Gedanke, einen Verstoß gegen die gewöhnlichen Umgangsregeln zu begehen, war ihm im höchsten Grade peinlich. Daher darf es nicht Wunder nehmen, wenn sich in Edward die Meinung bildete, er sei für die Gesellschaft ein unverwendbarer Faktor, der am gescheitesten täte, sich ganz von ihr fern zu halten. Dagegen waren ihm die Stunden ein Genuß, die er bei Onkel und Tante verbringen konnte, und die mit Erzählungen aus der guten Zeit ausgefüllt wurden, wobei sich freilich nicht umgehen ließ, daß sehr oft Dinge zum dritten und vierten Male, vielleicht auch noch häufiger, wiederholt wurden.

Die Heldentaten Wiliberts von Waverley im gelobten Lande, seine lange Abwesenheit von der Heimat und seine gefahrvollen Abenteuer auf der Aus- und auf der Einfahrt, sein vermeintlicher Tod und seine endliche Wiederkehr an jenem Abend, als seine Braut demjenigen die Hand gereicht hatte, der sie in seiner Abwesenheit gegen Kränkung und Anfeindung geschützt hatte, der Edelmut, mit dem dann der Kreuzfahrer seinen Ansprüchen entsagte und im nahen Kloster den Frieden für seine Seele suchte, solchen und ähnlichen Geschichten und Mären konnte Edward stundenlang lauschen. Und nicht weniger bewegt wurde er, wenn ihm Tante Rachel von den Leiden und dem kühnen Mute der Lady Alice Waverley erzählte während des langen und schweren Bürgerkriegs. Das freundliche Gesicht der alten Dame nahm einen Ausdruck gar hoher Würdigkeit an, wenn sie erzählte, wie König Karl nach der Schlacht bei Worcester einen Tag lang Zuflucht gesucht habe auf dem Schlosse Waverley-Würden, und wie Lady Alice beim Nahen einer feindlichen Reiterschar ihren jüngsten Sohn mit einer Handvoll Diener aus ihrem Hause ausgesandt habe, um eine Stunde Zeit durch Einsetzung seines Lebens zu gewinnen, die dem König den nötigen Vorsprung zur Flucht verschaffte. »Und Gott schenke ihr die ewige Ruhe,« schloß Miß Rachel die Erzählung, indem sie die Augen auf das Bildnis der Heldenfrau heftete. »Teuer genug hat sie die Rettung unsres Königs erkauft, indem sie das Leben ihres Liebsten dafür opferte. Tödlich verwundet brachten sie ihn wieder aufs Schloß, und noch kannst Du die Blutstropfen zählen, die er auf dem Transporte durch das Schloßtor über die kleine Galerie nach der Halle vergossen hat, wo sie ihn neben das Leichenlager der Mutter betteten.«