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Am Morgen nach dem Fall von Torquilstone verbreitete sich das unklare Gerücht, de Bracy und seine Verbündeten Bois-Guilbert und Front-de-Boeuf seien gefangen genommen oder getötet worden. Waldemar Fitzurse erzählte dies dem Prinzen und bemerkte dabei, seiner Meinung nach sei das Gerücht leider wahr, denn die Ritter seien mit einem kleinen Gefolge ausgezogen und hätten den Sachsen Cedric und sein Gefolge überfallen und gefangen nehmen wollen. Zu jeder andern Zeit hätte Prinz Johann diese Gewalttat als einen launigen Streich angesehen. Da aber jetzt damit seine eigenen Pläne durchkreuzt wurden, so verurteilte er die Tat als einen Frevel an dem Gesetz und eine Störung der öffentlichen Ordnung in einer Art und Weise, wie sie selbst dem König Alfred wohl angestanden hätte.

»Räuber ohne Ordnung und Gesetz!« rief er. »Bin ich erst König von England, so lasse ich solche Missetäter an den Zugbrücken ihrer eignen Schlösser aufhängen.«

»Um aber König von England zu werden,« sagte sein Ahitophel kalt, »muß Euer Hoheit nicht nur die Missetaten solcher dem Gesetz Hohn sprechenden Räuber dulden, sondern bei allem Eifer für die Wahrung von Recht und Gesetz auch noch die Missetäter in Schutz nehmen. Es würde uns schlecht gehen, wenn die kühnen Sachsen etwa den Einfall Eurer Hoheit verwirklichten und Zugbrücken in Galgen umwandelten. Cedric wäre das wohl zuzutrauen, wie ich ihn kenne. Euer Hoheit begreift, wie gefahrvoll es wäre, ohne de Bracy und den Templer zu handeln, und dennoch sind wir schon zu weit gegangen, um nun noch zurück zu können.«

Prinz Johann schlug sich voller Ungeduld gegen die Stirn und schritt im Gemach auf und ab. »Die Schurken! Die niedrigen verräterischen Schurken!« rief er aus: »Mich in solcher Not im Stich zu lassen!«

»Nennt sie lieber leichtsinnige unbesonnene Narren, daß sie sich mit solchen Kindereien abgeben, wo so wichtige Dinge auf dem Spiele stehen.«

»Was ist zu tun?« fragte der Prinz und trat dicht an Fitzurse heran.

»Ich wüßte nicht, was zu machen wäre,« versetzte sein Ratgeber. »Abgesehen von dem, was ich schon in voraussehender Umsicht getan habe. Ich bin zu Eurer Hoheit gekommen, über dieses Mißgeschick zu klagen, aber nicht ohne schon Schritte dagegen getan zu haben.«

»Ihr seid immer mein guter Engel, Waldemar,« sagte der Prinz. »Wenn ich immer einen solchen Kanzler habe, so wird König Johanns Regierung in der Geschichte des Reiches mit Ruhm dastehen. Was für Anordnungen habt Ihr getroffen?«

»Ich habe Ludwig Winkelbrand, den Leutnant de Bracys, veranlaßt, zum Sammeln zu blasen und sein Banner zu entfalten, damit er ohne Verzug nach dem Schlosse Front-de- Boeufs aufbrechen und uns Gewißheit darüber verschaffen soll, ob wir unsern Freunden nicht noch Hilfe bringen können.«

Das Angesicht des Prinzen erglühte wie das eines Kindes, dem eine Kränkung zugefügt wird.

»Beim Himmel!« rief er. »Viel nehmt Ihr auf Euch, Waldemar Fitzurse! Es ist mehr als Fürwitz, in einer Stadt, wo wir uns augenblicklich auch aufhalten, das Signal zum Sammeln blasen und das Banner entfalten zu lassen.«

»Ich bitte Euer Hoheit um Verzeihung,« entgegnete Fitzurse, bei sich selber die hohle Eitelkeit seines Herrn verwünschend. »Indessen drängte die Zeit, jede Minute war kostbar, und so habe ich das auf mich genommen, da die Sache Eurer Hoheit keinen Aufschub duldet.«

»Wir gewähren Euch Verzeihung, Fitzurse,« sagte der Prinz in gravitätischem Tone. »Euer guter Wille entschuldigt Eure Unbesonnenheit. Doch wer kommt dort? – De Bracy selber, und wie er aussieht!«

In der Tat war es de Bracy, seine Sporen waren blutig, er dampfte vor Eile. Seine Rüstung war zerbrochen, von Blut befleckt und vom Staub bedeckt, und zeugte von vor kurzem bestandenem Kampfe. Er nahm den Helm ab, legte ihn auf den Tisch und stand ein Weilchen still, wie um sich zu sammeln, ehe er Bericht erstattete.

»De Bracyl« sagte Prinz Johann. »Was soll das bedeuten? Sprecht, ich befehle es! Haben sich die Sachsen empört?« Fast in gleichem Atem mit seinem Gebieter rief Fitzurse: »De Bracy, sprecht! Ihr seid doch ein Mann! Wo ist der Templer? Wo ist Front-de-Boeuf?«

»Der Templer ist entflohen,« antwortete de Bracy. »Front-de-Boeuf hat ein Grab in Feuersglut unter den Trümmern seines eigenen Schlosses gefunden. Ich allein bin entkommen, Euch diese Meldung zu bringen.«

»Frösteln kann's einen bei solcher Kunde,« sagte Fitzurse, »obwohl du von Brand und Feuersglut sprichst.«

»Die schlimmste Neuigkeit kommt noch,« fuhr de Bracy fort, und er trat näher an den Prinzen heran und sagte in leisem nachdrücklichen Tone:

»Richard ist in England. Ich habe ihn gesehen und mit ihm gesprochen.«

Prinz Johann erblaßte, bebte zurück und mußte sich an der eichenen Lehne einer Bank festhalten, um nicht zu fallen, wie einer, der einen Pfeilschuß in die Brust bekommen hat.

»De Bracy, Ihr träumt, das kann nicht sein,« sagte Fitzurse.

»Es ist so gewiß wie die Wahrheit selber,« beharrte de Bracy. »Ich bin sein Gefangener gewesen und habe mit ihm gesprochen.«

»Mit Richard Plantagenet, sagt Ihr?« fragte Fitzurse abermals.

»Mit Richard Plantagenet,« antwortete de Bracy. »Mit Richard Löwenherz, mit Richard von England.«

»Und Ihr seid sein Gefangener gewesen?« fuhr Fitzurse fort. »War er denn an der Spitze einer Macht?«

»Nein, nur ein paar geächtete Yeomen standen um ihn herum, die aber wußten nicht, wer er sei. Ich hörte, wie er sagte, daß er sie wieder verlassen wollte. Er hatte sich ihnen nur zugesellt, um den Sturm auf Torquilstone mitzumachen.«

»Ja, das ist ganz Richards Art!« sagte Fitzurse. »Er ist ein echter fahrender Ritter, und im Vertrauen auf die Stärke seines Armes geht er auf Abenteuer aus, während die wichtigsten Angelegenheiten seines Reiches liegen bleiben und seine eigene Person bedroht ist. – Was wollt Ihr nun beginnen, de Bracy?«

»Ich habe ihm meine Freischar angeboten, aber er hat sie ausgeschlagen. Nun will ich nach Flandern. Im Wirrwarr der Gegenwart findet ein Mann der Tatkraft überall Beschäftigung. Wollt Ihr, Waldemar, auch Schild und Lanze ergreifen, Eure Staatsklugheit an den Nagel hängen und mit mir gehen? So es Gott gefällt, könnten wir dann Freud und Leid miteinander teilen.«

»Dazu bin ich zu alt, Moritz, auch habe ich eine Tochter,« versetzte Fitzurse.

»Die könnt Ihr mir geben, ich will sie halten, wie es ihrem Range zukommt, kraft meiner Lanze und meines Steigbügels.«

»Nicht so,« erwiderte Fitzurse. »Ich will Zuflucht suchen in der Kirche Sankt Peters – der Erzbischof ist mir durch Eid verbunden.«

Während dieses Gespräches war Prinz Johann allmählich aus seiner Erstarrung erwacht, in die ihn die unerwartete Nachricht versetzt hatte. Er hatte mitangehört, was seine Anhänger miteinander gesprochen hatten und sagte nun für sich:

»Sie fallen von mir ab wie welkes Laub vom Baume, wenn sich der Wind erhebt. Hölle und Teufel! kann ich mir nicht selber helfen, wenn mich diese Feiglinge im Stiche lassen?« Eine Weile schwieg er. Dann fiel er den andern ins Wort mit einem teuflischen Gelächter, das verbissene Wut zum Ausdruck brachte.

»Hahaha! meine Herren!« rief er. »Bei dem Augenlichte unserer lieben Frauen! Ich habe Euch für weise, tapfer und scharfsinnig gehalten und jetzt werft Ihr Reichtum, Ehre, Vergnügen und alles, wonach Ihr gestrebt habt, von Euch, und könntet es doch durch einen kühnen Handstreich gewinnen.«

»Ich kann Euch nicht verstehen,« antwortet de Bracy. »Sobald es ruchbar ist, daß Richard wieder da ist, so steht er auch sofort an der Spitze eines Heeres, und alles ist verloren. Ich kann Euch nur raten, Hoheit, flieht nach Frankreich oder begebt Euch in den Schutz der Königin-Mutter.«