»Der König von Sherwood,« sprach er, »mißgönnt dem König von England seinen Wein und sein Wildbret. Doch du hast wohl getan, kühner Robin! – Aber wenn du mich einmal in dem heitern London besuchst, so sei überzeugt, daß ich kein so knickriger Wirt sein werde. Demungeachtet hast du recht, guter Bursche. – Laß uns darum zu Pferde steigen und forteilen. Wilfried ist diese ganze Zeit über ungeduldig gewesen. Sag' mir, kühner Robin, hattest du nie einen Freund in deiner Gesellschaft, der, nicht zufrieden, dein Ratgeber zu sein, auch durchaus deine Handlungen lenken will und eine erbärmliche Miene macht, wenn du selbständig handelst?«
»Solch einer,« sagte Robin, ist mein Leutnant, der kleine Johann, der eben an Schottlands Küsten mit einer Expedition beschäftigt ist, und ich will Euer Majestät gestehen, daß mich sein kühner Rat oft unwillig macht. Wenn ich es aber überlege, so kann ich nicht lange mit ihm zürnen, der für seine Zudringlichkeiten keinen andern Grund haben kann, als den Wunsch für mein Wohl.«
»Du hast recht, guter Yeoman,« antwortete Richard; »und hätte ich Ivanhoe an der einen Seite, um ernsten Rat mit düstrer Stirne zu erteilen, und dich an der andern, um mich zu meinem Besten zu zwingen, so würde ich ebenso wenig Freiheit haben, als irgend ein König im Christen- oder Heidentum. Doch kommt, meine Herren, laßt uns fröhlich nach Conningsburgh eilen und nicht mehr daran denken.«
Robin Hood versicherte, daß er eine Abteilung seiner Leute auf dem Wege, den sie nehmen wollten, vorangeschickt habe, die jeden Hinterhalt entdecken würden, und daß er nicht an der Sicherheit der Wege zweifle; wo nicht, so könnten die Ritter die Gefahr zeitig genug entdecken, um einen Trupp Bogenschützen zu rufen, mit denen er selbst ihnen auf demselben Wege folgen wollte. Diese weisen Vorsichtsmaßregeln für Richards Sicherheit rührten diesen, und verscheuchten den leichten Groll über den Betrug, den ihm der Hauptmann der Geächteten gespielt hatte. Er reichte Robin Hood noch einmal seine Hand, versicherte ihn gegenwärtiger Verzeihung und zukünftiger Gunst; auch daß es sein fester Entschluß sei, die tyrannische Ausübung des Forstrechts und anderer harter Gesetze zu beschränken, weil dadurch die englischen Yeomen in einen Zustand der Empörung versetzt würden. Die Anordnung des Geächteten erwies sich als richtig, und der König, von Ivanhoe, Gurth und Wamba begleitet, kam auf dem Schlosse Conningsburgh ohne allen Unfall an, als die Sonne noch am Horizont stand.
Fünfunddreißigstes Kapitel
Es gibt wenige so schöne und reizvolle Landschaften wie die Umgebung dieses alten Sachsenschlosses. Der liebliche Fluß schlängelt sich durch amphitheatralisch aufgebaute Äcker und Waldungen. Auf einem Berge, der sich bis zu dem Flusse herabzieht, und mit Wällen und Gräben wohl verteidigt ist, erhebt sich das alte Gebäude, das, wie schon sein Name besagt, vor der Eroberung ein Residenzschloß der Könige von England war. Die Außenwerke sind vermutlich durch die Normannen aufgebaut worden, aber das Innere trägt die Spuren hohen Alters. Ein Winkel des inneren Hofes liegt auf dem Berge selber und bildet einen Kreis von etwa fünfundzwanzig Fuß im Durchmesser. Die Mauer ist außerordentlich dick und durch sechs wuchtige Strebepfeiler verstärkt, die aus dem Kreise herausspringen und sich an den Turm lehnen, wie um ihn zu stützen. Diese massiven Säulen waren an der Spitze ausgehöhlt und endeten in einer Art Türmchen, die mit dem Inneren des Hauptgebäudes in Zusammenhang standen. Das große umfangreiche Gebäude mit seinen wunderlichen Nebengebäuden gewährte einen höchst malerischen Anblick.
Als Löwenherz und sein Gefolge sich diesem rauhen, doch erhabenen Bau näherten, war er noch nicht wie jetzt mit Befestigungen umgeben. Die Kunst des sächsischen Baumeisters hatte nur das Hauptgebäude in Verteidigungszustand gesetzt, und mit einer rohen Schutzwehr von Pallisaden war seiner Kunst schon genug getan. Eine große schwarze Fahne, die vom Turme herabwehte, verkündete, daß das Leichenbegängnis des letzten Besitzers gefeiert wurde. Über dem Tore wehte eine zweite Fahne, auf der ein weißes Roß dargestellt war. Um das Schloß herum war alles in geschäftiger Bewegung, denn solche Leichenfeiern waren verschwenderische Gastfeste, zu denen jeder, der irgendwie mit dem Verstorbenen bekannt gewesen war, erscheinen konnte, auch jeder, der gerade vorüberreiste, er mochte sein, wer er wollte, durfte sich als gern gesehener Gast betrachten. Bei dem Reichtum und dem Ansehen des verstorbenen Athelstane führte diese Gepflogenheit eine unzählige Menge herbei.
Die Menschenmenge stieg den Hügel, auf dem das Schloß lag, auf und nieder. Als der König mit seinen Begleitern durch das offene Tor, an dem jetzt keine Wache stand, hereinritt, wurde ihm der Grund klar, weshalb in diesen Raum eine so zahllose Menge strömte. Köche standen hier, die riesige Ochsen und fette Schafe brieten. Dort wurden große Fässer voll Bier angezapft, und jeder, der trinken wollte, erhielt einen Becher voll. Der halbnackte sächsische Sklave, der ein halbes Jahr lang gedurstet hatte, vergaß sein Elend in einem Tage der Schwelgerei und Trunkenheit. Der wohlhabende Bürger und Zunftgenosse verzehrte seinen Bissen mit Verstand und kritisierte das Malz oder den Brauer, wenn er trank. Bettler aller Art standen zu Dutzenden herum, auch umherziehende Soldaten, die, wie sie behaupteten, aus Palästina kamen. Hausierer kramten ihre Waren aus, reisende Mechaniker hielten um Beschäftigung an, wandelnde Pilger murmelten Gebete, und Minnesänger entlockten ihren Harfen, Fibeln und Zithern unharmonische Töne. Der eine pries Athelstane in einer rührseligen Leichenrede, der andere rühmte in einem Gedicht über die sächsische Genealogie die rauhen und unverfälschten Sitten seiner Ahnen. Auch Narren und Gaukler waren da. Die Begriffe der Sachsen zeigten sich bei derlei Anlässen in ebenso naturgemäßer, wie roher Form. Wer eine durstige Betrübnis hatte, für den war gesorgt, daß er trinken konnte. Wer eine hungrige Betrübnis hatte, für den war Speise da. Wer in seiner Betrübnis beklommenen Herzens und trostlosen Geistes war, für den war Zeitvertreib und Lustbarkeit da. Die Anwesenden verschmähten diese verschiedenen Trostmittel auch nie, nur dann und wann erinnerten sie sich der Ursache, die sie zusammengeführt hatte, und dann seufzten die Männer im Chor, und die Frauen, deren auch viele da waren, riefen mit lauter Stimme: »O weh!«
So sah es im Schlosse Conningsburgh aus, als Richard mit seinem Gefolge hineinritt. Der Seneschall oder Haushofmeister, der nicht weiter auf die ab- und zuströmende Menge der niedern Gäste achtete, als nötig war, um die Ordnung aufrecht zu erhalten, war sofort aufmerksam auf den König und Ivanhoe, von denen ihm der letztere bekannt war. Die Ankunft zweier Ritter – denn als solche gab ihr Anzug sie kund – war überdies ein seltenes Ereignis bei einem sächsischen Leichenbegängnis und konnte nur als eine Ehre angesehen werden, die dem Verstorbenen und seiner Familie erwiesen wurde. In seinem schwarzen Kleide mit dem weißen Amtsstabe in der Hand, machte die wichtige Person des Haushofmeisters ihnen durch die buntscheckige Menge der Gäste Platz, und so kamen Richard und Ivanhoe zum Eingange des Turmes. Gurth und Wamba fanden Bekannte im Schloßhofe und blieben dort, um sich nicht weiter vorzudrängen, ehe sie nicht hereingerufen würden.
Der Eingang in den großen Turm des Schlosses von Conningsburgh ist sehr eigentümlich und ein treffliches Muster der rohen Einfachheit der Zeit, in der er erbaut worden ist. Eine Reihe von Stufen, die schmal sind und fast abschüssig in ihrer Steilheit, führt zu einer niedrigen Tür, von der aus eine kleine Treppe in die Dicke der Mauer hinein und zu einem dritten Stockwerk des Schlosses führte. Die beiden unteren Stockwerke enthielten Kerker und Gewölbe, die nur durch eine Leiter in Verbindung standen, Luft und Licht erhielten. Zu den oberen Gemächern des Turmes, der im ganzen aus vier Stockwerken bestand, gelangte man auf Stufen, die durch die äußeren Bogen der Mauer gelegt waren. Durch diesen beschwerlichen und komplizierten Eingang gelangte der gute König Richard, begleitet von seinem treuen Ivanhoe, in die runde Halle, die das ganze dritte Stockwerk ausmachte. Ivanhoe verbarg sein Gesicht in seinem Mantel, weil er sich nicht eher seinem Vater zu erkennen geben wollte, als bis ihm der König ein Zeichen dazu geben würde. In diesem Räume saßen um einen großen eichenen Tisch herum etwa zwölf sächsische Familienherren aus der Umgegend. Sie waren sämtlich alt, wenigstens schon bejahrt. Die niedergeschlagenen, traurigen Blicke dieser ehrwürdigen Männer, ihr Schweigen und ihre betrübte Haltung bildeten einen auffallenden Gegensatz zu der lärmenden Lustigkeit, die im Schloßhof herrschte. In dieser Stimmung, und in ihren grauen Bärten und langen Locken und ihren altertümlichen Gewändern und weiten schwarzen Mänteln – eine Tracht, die so recht zu dem schlichten, fast rohen Zimmer paßten, in dem sie saßen – hatten sie ganz das Aussehen von alten Wodansanbetern, die aus dem Totenschlaf zum Leben erwacht zu sein schienen, um über den Verfall des Nationalruhmes nachzudenken.