»Noch nie habe ich es vor normännischem Blute gebeugt,« erwiderte Cedric.
»So schiebt Eure Huldigung auf, bis ich bewiesen habe, daß mir das Recht zusteht, sowohl Engländer wie Normannen zu beschützen. Und nun eine Bitte an dich! Ich verlange von dir auf dein Manneswort, daß du dem guten Ritter von Ivanhoe verzeihst. – Diese Versöhnung geht mich selber an, das wirst du zugeben, denn sie betrifft das Glück meines Freundes und beseitigt zugleich die Zwietracht unter meinem treuen Volke.«
»So ist dies dort Wilfried?« fragte Cedric, auf seinen Sohn zeigend.
»Mein Vater! Mein Vater!« rief Ivanhoe. »Verzeiht mir!«
»Dir ist verziehen, mein Sohn!« sagte Cedric und hob ihn auf. »Der Sohn Herewards weiß sein Wort zu halten, selbst wenn er es einem Normannen gegeben hat. Aber komm mir nur in der Tracht und den Waffen unserer englischen Ahnen vor Augen. Nichts von kurzen Röcken, luftigen Mützen und phantastischen Federbüschen in meinem einfachen Hause – Du willst reden,« setzte er ernst hinzu, »und ich ahne, worum du bitten willst. Aber Rowena muß zwei Jahre wie um einen angetrauten Gemahl trauern. Es kann nicht die Rede sein von einer neuen Verbindung, ehe sich noch das Grab über dem, der durch seine Abkunft ihrer Hand am meisten würdig war, geschlossen hat. Athelstanes Geist selber würde aus seinen blutigen Grabtüchern auferstehen und uns von einer solchen Entweihung seines Andenkens zurückhalten.«
Fast schien es in der Tat, als hätten Cedrics Worte ein Gespenst erweckt, denn kaum hatte er gesprochen, da ging die Türe jäh auf, und herein in seinen Totenkleidern kam Athelstane, blaß, abgezehrt, wie ein aus dem Grabe auferstandener Leichnam.
Sechsunddreißigstes Kapitel
Beim Anblick dieser Erscheinung befiel die Anwesenden Staunen und Entsetzen. Cedric wankte bis an die Wand zurück, lehnte sich dort an, und starrte wie jemand, der nicht mehr imstande ist, sich aufrecht zu halten, mit stierem Auge und aufgerissenem Munde die Gestalt seines Freundes an. Ivanhoe bekreuzte sich und murmelte bald sächsische, bald normannische Gebete, wie sie ihm gerade einfielen, und Richard ließ bald ein Benedicte hören, bald fluchte er: Mort de ma vie! Inzwischen hörte man unten ein Geschrei: »Nehmt die verräterischen Mönche fest! – Werft sie in den Kerker! – Stürzt sie von den höchsten Zinnen herunter!«
Endlich redete Cedric die Erscheinung seines abgeschiedenen Freundes an: »Im Namen Gottes! So du ein Sterblicher bist, rede! So du aber ein Geist bist, sprich, warum erscheinst du hier und was können wir tun, damit deine Seele Ruhe findet? – Ob du lebst oder tot bist, edler Athelstane, sprich mit Cedric!«
»Das will ich auch,« antwortete das Gespenst in ganz ruhigem Tone, »sobald ich nur Atem geschöpft habe und Ihr mir Zeit laßt. Ob ich lebe, fragst du. Ich lebe, soweit noch Leben sein kann in einem, der drei Tage lang, die endlos waren wie Jahrhunderte, von Brot und Wasser gelebt hat. Ja! von Wasser und Brot, Vater Cedric! Beim Himmel und allen Heiligen! Eine bessere Kost ist volle drei Tage lang nicht über meine Zunge gekommen, und nur der Fügung Gottes danke ichs, daß ich jetzt hier bin und Euch das erzählen kann!«
»Wie, edler Athelstane,« sprach der schwarze Ritter, »ich habe es doch mit eigenen Augen gesehen, wie Euch der stolze Templer nach dem Fall von Torquilstone niederstreckte, und wie ich selber glaubte und wie auch Wamba erzählte, war Euch der Schädel bis an die Zähne gespalten.«
»Da wart Ihr im Irrtum, Herr Ritter,« versetzte Athelstane, »und Wamba hat gelogen. – Meine Zähne sind in trefflicher Ordnung, das soll meine Abendmahlzeit verspüren! – Ich bin dem Templer deswegen keinen Dank schuldig, denn sein Schwert drehte sich in seiner Hand, und infolgedessen traf er mich mit der flachen Klinge. Hätte ich die Sturmhaube aufgehabt, so hätte ich mich den Teufel drum geschert und ihm wieder eins versetzt, daß ihm der Rückzug erspart gewesen wäre. Aber da ich den Helm nicht hatte, so fiel ich zwar betäubt, doch unversehrt zu Boden. Von beiden Seiten stürzten Tote und Verwundete auf mich, und so kam ich nicht wieder zur Besinnung. Als ich endlich das Bewußtsein wieder erlangte, ward ich inne, daß ich vor dem Altar der Kirche zum heiligen Edmund in einem Sarge, zum Glück in einem offenen, lag. Ich mußte ein paarmal niesen, dann stöhnte ich, und dann ermunterte ich mich und wollte herausklettern, aber da kamen der Sakristan und der Abt, die bei dem Geräusch stutzig geworden waren, herzugelaufen. Sie schienen sehr erstaunt und durchaus nicht erbaut darüber zu sein, daß sie einen Mann, den sie doch gar zu gern beerbt hätten, wieder am Leben sahen. Ich verlangte Wein und sie gaben mir den auch, aber es muß wohl ein Schlaftrunk gewesen sein, denn ich versank in einen noch festeren Schlaf als zuvor und wachte erst nach mehreren Stunden wieder auf. Jetzt waren mir die Arme und die Beine so fest eingewickelt, daß mich die Gelenke noch schmerzen. Ich lag in einem finstern Loche, einer Art von Totengruft, wie ich aus der Moderluft schloß, die um mich her war. Seltsame Betrachtungen, was sich wohl mit mir zugetragen haben mochte, erwachten in mir, da ging die Tür mit Krachen auf, und zwei schurkische Mönche kamen herein. Sie wollten mir weismachen, ich sei im Fegfeuer, aber die keuchende kurzatmige Stimme des Vater Abtes war mir nur zu wohl bekannt. Heiliger Jeremias, wie anders aber war jetzt sein Ton, als wenn er mich noch um ein Stück Braten bat! Himmel und Hölle! Und dieser Hund hat sich von Weihnachten bis Neujahr hier bei mir dick und fett gefressen!«
»Faßt Euch, edler Athelstane,« sagte der König. »Verschnauft Euch und nehmt Euch Zeit zu Eurer Erzählung. Es läßt sich ihr wahrhaftig besser lauschen als einem Roman.«
»Beim Kreuz von Bromeholm, mir war anders zu Mute dabei – ein Gerstenbrot und ein Glas Wasser – das gaben mir die filzigen Schurken, die mein Vater und ich selber reich gemacht haben, als sie noch weiter keine Einkünfte hatten, als die Häppchen Schinken und die Metzen Korn, die sie armen Sklaven und Leibeigenen für ihre Gebete abnahmen. So eine undankbare Schlangenbrut! So ein Otterngezücht! Brot und Wasser einem, der es so gut mit ihnen gemeint hat! – Aber ich will sie aus ihrem Neste ausschwefeln, und sollte ich auch deshalb exkommuniziert werden!«
»Um unserer lieben Frau willen, wie bist du dieser Gefahr entronnen, edler Athelstane?« fragte Cedric, seinen Freund bei der Hand ergreifend. »Beschlich Mitleid ihre Herzen?«
»Ob Mitleid ihre Herzen beschlich?« versetzte Athelstane. »Schmelzen Felsen am Sonnenlicht? Ich wäre noch dort, wenn nicht ein Geräusch entstanden wäre, das, wie ich nun inne wurde, von dem Zuge herrührte, der zu meinem Leichenbegängnis kam. Da war denn der Schwarm mit einem Male ausgeflogen, und sie wußten doch recht gut, daß ich lebendig begraben war. Ich hörte, wie sie ihre Totenpsalmen brummten, und ich dachte bei mir, da singen nun die Hunde für meine Seele und hungern meinen Leib dabei aus. Sie waren also weg, und ich wartete lange, daß sie mir etwas zu essen bringen sollten. Kein Wunder, der gichtische Sakristan war viel zu sehr in seine eigne Fresserei vertieft, als daß er daran hätte denken können, daß ich auch was zu essen bekommen müßte. Endlich kam er wankenden Schrittes hereingetaumelt und stank gewaltig nach Wein und Gewürzen. Bei der guten Kost war sein Herz aufgetaut, er brachte mir ein Stück Pastete und eine Flasche Wein. Ich aß und trank und fühlte mich neu gestärkt, und zum Glück war der Sakristan so besoffen, daß er die Tür nicht richtig zuschloß, so daß sie nur angelehnt war. Da ich gegessen und getrunken hatte und Licht durch die Türspalte hereinfiel, wurde mein Erfindungsgeist wach. Der Ring, an den meine Ketten geschlossen waren, war vom Rost fast ganz zerfressen, das hatte freilich der schurkische Abt und ich selber auch nicht vermutet. Selbst das Eisen hatte den Dünsten in diesem höllischen Loche nicht widerstehen können.«