Am entgegengesetzten Ende der Schranken war ein Pfahl errichtet, um den ein Stoß Reisig aufgehäuft war. Der Pfahl war tief in den Boden gerammt und in der Mitte war für das Opfer Platz gelassen. Das Reisig, dessen Flammen es verzehren sollten, war so geschichtet, daß ein Weg bis zum Pfahle offen lag. Die Ketten, mit denen die Unglückliche festgeschlossen werden sollte, hingen vom Holze herab. Neben dieser Stätte des Todes standen vier schwarze Sklaven, deren afrikanische Gesichtsfarbe Furcht einflößte, weil sie den Leuten zu jener Zeit noch nicht vertraut genug war, um sie als etwas alltägliches zu betrachten.
Das Volk erblickte in diesen Menschen Teufel, die im Begriffe waren, ihre höllischen Werke vorzuführen. Einer darunter, der der oberste zu sein schien, gab ihnen Weisungen, nach denen sie das Stroh und Brennholz ordneten und zurecht legten. Sie sahen auch nicht nach der Menge hin und schienen völlig gefühllos und teilnahmslos zu sein und nur bedacht darauf, ihren gräßlichen Dienst zu tun. Wenn sie miteinander flüsterten, öffneten sie die schwulstigen Lippen und fletschten ihre weißen Zähne, als freuten sie sich schon auf das bevorstehende Trauerspiel. Die Leute ringsum sahen daher in ihnen böse Geister, mit denen die Hexe einst im Bunde gestanden habe und die nun, da die Zeit der gottlosen Frau gekommen sei, die furchtbare Strafe an ihr vollziehen wollten. Die Glocke der Kirche zum heiligen Michael in Templestowe erklang und gab das Zeichen zum Beginn der feierlichen Handlung. Mit Grausen vernahm alles Volk das Geläut. Aller Augen wandten sich nach dem Präzeptorium, denn nun mußten der Großmeister, der Kämpfer und die Verbrecherin bald erscheinen.
Endlich wurde die Zugbrücke heruntergelassen, die Tore taten sich auf und ein Ritter, der die große Ordensstandarte trug, kam angeritten. Vor ihm her ritten sechs Trompeter, hinter ihm zu zweien und zweien die Präzeptoren, dann auf einem stolzen, aber äußerst einfach gezäumten Pferde der Großmeister. Hinter diesem kam Brian de Bois-Guilbert, vom Kopf bis zu den Füßen in glänzender Rüstung. Lanze, Schild und Schwert trugen die beiden Knappen, die ihm folgten. Sein Gesicht war zum Teil verdeckt durch eine lange Feder, die von seinem Barett herniederwallte, aber man sah darin das Spiel heftiger Leidenschaften und den Widerstreit von Stolz und Unentschlossenheit. Er war gespenstisch bleich, wie einer, der mehrere Nächte nicht geschlafen hat, doch lenkte er sein Roß mit der Grazie und Gewandtheit, die die beste Lanze im Orden der Templer auszeichneten.
Zu beiden Seiten des Kämpfers ritten Mont-Fitchet und Albert von Malvoisin. Hinter ihnen kamen andere Mitglieder des Ordens und ein langes Gefolge von Servienten und Knappen. Hinter diesen wiederum kam eine Wache zu Fuß, gleichfalls in schwarzer Tracht. In ihrer Mitte sah man die Gestalt der blassen Angeklagten, die langsamen, doch furchtlosen Schrittes ihrem Schicksal entgegen ging. An Stelle ihrer orientalischen Kleider trug sie ein grobes, weißes Gewand von einfachstem Schnitt, aber in ihrem Antlitz lag Ergebung und Mut, und dieser Ausdruck rührte selbst in dieser Tracht, in der sie jedes andern Schmuckes als ihrer langen schwarzen Flechten entbehrte, aller Augen zu Tränen.
Eine Schar von Leuten niederen Standes, die zum Präzeptorium gehörten, schritten hinter dem Opfer her. Alle gingen gemessenen Schrittes in Reih und Glied und hatten die Arme gekreuzt und den Kopf gesenkt. Dieser langsame Zug schritt den anmutigen Hügel hinan, auf dessem Gipfel der Turnierplatz lag, zog in die Schranken ein, schwenkte herum und machte Halt, als sich der Kreis gebildet hatte. Dann stiegen der Großmeister und seine Begleiter von ihren Pferden, die sofort von bereitstehenden Servienten hinausgeführt wurden.
Die unglückliche Rebekka wurde zu dem schwarzen Sitze an dem Pfahle geführt. Als sie den ersten Blick auf die grausige Stätte warf, wo ihr ein Tod drohte, der ebenso furchtbar für das Gemüt wie qualvoll für den Leib war, da sah man, daß sie erbebte, von Schauern geschüttelt wurde und die Augen schloß. Es schien, als spräche sie bei sich selber ein Gebet, denn ihre Lippen bewegten sich.
Aber gleich darauf sah sie festen Blickes nach dem Pfahle hin, wie um sich an den Anblick zu gewöhnen, und dann senkte sie wieder das Haupt.
Inzwischen hatte sich der Großmeister auf seinen Platz begeben, und als sich die Ritterschaft um ihn her auch dem Range und der Stellung gemäß geordnet hatte, meldete ein langer lauter Trompetenstoß, daß der Gerichtshof zur Stelle sei. Malvoisin ritt vor und legte den Handschuh der Jüdin, der das Pfand des Kampfes war, dem Großmeister zu Füßen.
»Tapfrer Gebieter und hochwürdiger Vater,« sprach er, »hier steht der gute Ritter Brian de Bois-Guilbert, Präzeptor des Templerordens. Er hat das Pfand angenommen, das zu Füßen Eurer Hochwürden liegt, und sich damit verpflichtet, im Kampfe des heutigen Tages seine Schuldigkeit zu tun und zu beweisen, daß die Jüdin Rebekka das Todesurteil verdient, das das Kapitel des heiligen Ordens vom Tempel Zions über sie als über eine Hexe und Zauberin gefällt hat.«
»Hat er den Eid geleistet, daß dieser Kampf gerecht und ehrenvoll sei?« fragte der Großmeister.
»Herr und hochwürdiger Vater, unser Bruder hat in die Hände des guten Ritters Konrad von Mont-Fitchet beschworen, daß seine Anklage auf Wahrheit beruhe. Auf andere Weise kann er nicht schwören, da seine Gegnerin eine Heidin ist.«
Zu Malvoisins Freude wurde diese Erklärung angenommen, der schlaue Ritter hatte vorausgesehen, daß es schwer, ja unmöglich wäre, Bois-Guilbert zu einer solchen Eidesleistung vor versammelten Volke zu bewegen. Er hatte sich daher diese Entschuldigung ausgedacht, um diese Notwendigkeit zu umgehen. Der Großmeister hatte die Einwendung Malvoisins gelten lassen und ließ nun einen Herold vortreten, der in die Trompete blies und mit lauter Stimme rief: »Hört! Hört! Hier steht der gute Ritter Brian de Bois- Guilbert. Er ist bereit mit jedem freigeborenem Ritter den Kampf zu bestehen, der von der Jüdin als Kämpfer gestellt wird!«
»Es erscheint kein Kämpfer für die Angeklagte,« sagte der Großmeister. »Geh Herold, und frage sie, ob sie einen erwartet.«
Der Herold ging zu ihr hin und trotz dem Winke Malvoisins wandte auch Bois-Guilbert sein Roß herum und kam zugleich mit dem Herold bei Rebekka an.
Der Herold wandte sich mit folgenden Worten an Rebekka: »Mädchen, der hochwürdige Großmeister läßt dich fragen, ob du einen Kämpfer hast, der heute für dich streiten wird, oder ob du das über dich gefällte Urteil als gerecht anerkennst?«
»Antworte dem Großmeister,« erwiderte Rebekka, »daß ich meine Unschuld behaupte und mich nicht für zu Recht verurteilt bekenne. Sage ihm, daß ich Aufschub begehre, wie er gesetzlich statthaft ist, damit ich sehen kann, ob mir Gott in der höchsten Not Rettung schickt. Wenn dann auch diese letzte Frist verstreicht, ohne daß Hilfe kommt, so möge sein Wille geschehen.«
»Gott verhüte,« rief Lukas Beaumanoir, »daß uns Jude oder Heide der Ungerechtigkeit sollten zeihen können! Bis die Schatten von Westen nach Osten reichen, wollen wir warten, ob sich ein Streiter für dieses unglückliche Weib stellt. Ist der Tag soweit zur Rüste gegangen, so mag sie sich zum Tode bereiten.«
Der Herold überbrachte Rebekka diesen Bescheid des Ordensmeisters. Sie neigte in Demut das Haupt, faltete die Hände und blickte zum Himmel, von ihm eine Hilfe erhoffend, die fast von Menschen nicht mehr zu erwarten war. Während dieser furchtbaren Pause vernahm sie die Stimme Bois-Guilberts, es war nur ein Flüstern, aber doch erschrak sie darüber mehr als über die laute Anrede des Herolds. »Rebekka,« sagte der Templer, »hörst du mich?«