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Frank sagte: »Bald kommt der Vertrag zur Erneuerung. Und Boones Koalition umgeht mich.« Er knirschte mit den Zähnen. »Ich kenne ihre Pläne nicht, werde das aber heute Abend herausfinden. Du kannst dir immerhin vorstellen, wie sie sein werden. Sicher westliche Tendenzen. Er könnte seine Zustimmung für einen neuen Vertrag hinausschieben, bis er garantiert, dass alle neuen Siedlungen nur mit den Unterschriften der ursprünglichen Signatare zustande kommen.« Selim erschauerte, und Frank drängte: »Das ist es, was er will. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass er es bekommen könnte; denn seine neue Koalition macht ihn noch mächtiger denn je. Das könnte ein Ende für Besiedlungen ohne Nichtsignatare bedeuten. Ihr würdet zu Gastwissenschaftlern. Oder zurückgeschickt.«

Im Fenster wirkte die Spiegelung von Selims Gesicht wie eine Art wütender Maske. »Battal, battal«, murmelte er. Sehr schlimm, sehr schlimm. Er rang die Hände wie außer Kontrolle und brummte etwas über den Koran oder Camus, Persepolis oder den Pfauenthron — nervöse Hinweise ohne logischen Zusammenhang. Er stammelte.

Chalmers sagte rau: »Reden bedeutet nichts. Wenn es so weit kommt, spielt nur Handeln eine Rolle.«

Das ließ den jungen Araber verstummen. Schließlich sagte er: »Ich kann mir nicht sicher sein.«

Frank knuffte ihn in den Arm und sah, wie ein Schock durch den Mann lief. »Es ist dein Volk, über das wir reden. Es ist dieser Planet, über den wir reden.«

Selims Mund verschwand unter seinem Schnurrbart. Nach einiger Zeit sagte er: »Das ist wahr.«

Frank erwiderte nichts. Sie blickten gemeinsam in das Fenster, als ob sie Stiefel beurteilten.

Endlich hob Frank die Hand und sagte ruhig: »Ich werde wieder mit Boone reden. Heute Abend. Er reist morgen ab. Ich werde versuchen, zu ihm zu sprechen und ihn zur Vernunft zu bringen. Ich bezweifle, ob das etwas bringt. Das war noch nie der Fall. Aber ich werde es versuchen. Danach … sollten wir uns treffen.«

»Ja.«

»Also im Park auf dem südlichsten Weg. Um elf Uhr.«

Selim nickte.

Chalmers durchbohrte ihn mit einem Blick. »Reden bringt nichts«, sagte er und ging fort.

Der nächste Boulevard, den Chalmers erreichte, war voller Leute, die sich vor zur Straße offenen Bars drängten oder vor Kiosken, wo es Kuskus und Bratwurst gab — sowohl arabisch wie schweizerisch. Das schien eine seltsame Kombination zu sein, vertrug sich aber gut zusammen.

An diesem Abend verteilten einige Schweizer Gesichtsmasken aus der Tür eines Apartments. Anscheinend feierten sie dieses Stadtfest als eine Fastnacht oder Mardi gras, mit Masken, Musik und jeder Art sozialer Umkehrung, genau so, wie es daheim in jenen wilden Februarnächten in Basel, Zürich und Luzern üblich war … John reihte sich impulsiv der Schlange ein. »Um jeden tiefen Geist wächst immer eine Maske«, sagte er zu zwei jungen Frauen, die vor ihm standen. Die nickten höflich und nahmen dann wieder ihre Konversation in Schwyzerdütsch auf, einem gutturalen Dialekt, der nie aufgeschrieben wurde, einem privaten Code, der sogar für Deutsche unverständlich war. Die Schweiz stellte auch eine undurchdringliche Kultur dar, in mancher Hinsicht sogar noch mehr als die arabische. So war es, dachte Frank. Sie arbeiteten gut zusammen, weil beide so insular waren, dass sie nie einen wirklichen Kontakt herstellten. Er lachte laut, als er eine Maske nahm — ein schwarzes Gesicht mit roten Stoffgemmen beklebt. Er legte sie an.

Eine Reihe maskierter Festteilnehmer schlängelte sich den Boulevard hinunter — betrunken, gelöst, fast außer Kontrolle. An einer Kreuzung öffnete sich der Boulevard auf einen kleinen Platz, wo ein Springbrunnen von der Sonne gefärbtes Wasser in die Luft sprühte. Rings um die Fontäne hämmerte eine Blechtrommelband eine Kalypsomelodie. Leute sammelten sich um sie, tanzten oder hüpften im Rhythmus des tiefen Bumm der Baßtrommel. Hundert Meter in der Höhe ergoss eine Öffnung im Zeltgerüst kalte Luft auf den Platz — Luft, die so kalt war, dass kleine Schneeflocken darin schwebten, die im Licht wie Splitter von Glimmer blitzten. Dann knatterte ein Feuerwerk direkt unter dem Zeltdach los, und bunte Funken fielen zwischen den Schneeflocken zu Boden.

Der Sonnenuntergang machte es mehr als zu jeder anderen Tageszeit deutlich, dass sie auf einem fremden Planeten standen. Etwas in der Neigung und Röte des Lichts war völlig falsch und widersprach Erwartungen, die im Laufe von Jahrmillionen in das Savannengehirn eingeprägt waren. Dieser Abend lieferte ein besonders krasses und erregendes Beispiel für dieses Phänomen. Frank schritt in diesem Licht dahin und begab sich wieder zur Stadtmauer. Der ebene Süden der Stadt war mit Steinen übersät, deren jeder einen langen schwarzen Schatten warf. Niemand da. Die Tore wurden bei Festen wie diesem verschlossen, um zu verhindern, dass Betrunkene hinausgingen und zu Schaden kämen. Aber Frank hatte den Notfallcode des Feuerwehrcomputers. Und als er sicher war, dass niemand zuschaute, gab er den Code ein und eilte in die Schleuse. Er legte einen Schutzanzug, Stiefel und Helm an und schritt durch die mittlere und äußere Tür. Draußen war es wie immer sehr kalt, und das rhombusförmige Heizelement des Schutzanzugs brannte durch seine Kleidung hindurch. Er ging knirschend über Beton und Hartkruste. Loser Sand flog nach Osten, vom Wind getrieben.

Er schaute sich mürrisch um. Allenthalben Steine. Ein Planet, der milliardenfach von Trümmern getroffen worden war. Und Meteorite fielen immer noch. Eines Tages würde eine Stadt einen Treffer erhalten. Er wandte sich um und blickte zurück. Sie sah aus wie ein in der Dämmerung leuchtendes Aquarium. Es würde keine Vorwarnung geben; aber alles würde sofort in Stücke fliegen: Wände, Fahrzeuge, Bäume, Leiber. Die Azteken hatten geglaubt, dass die Welt auf eine von vier Arten enden würde: Erdbeben, Feuer, Überschwemmung oder vom Himmel fallende Jaguare. Hier würde es kein Feuer geben. Auch kein Erdbeben und keine Flut, dachte er. Die Jaguare würden kommen.

Der Dämmerungshimmel über Pavonis Mons war ein trübes Rosa. Nach Osten hin dehnte sich die Farm von Nicosia, ein langes flaches Gewächshaus, das sich von der Stadt nach unten hinzog. Aus diesem Winkel konnte man erkennen, dass die Farm größer war als die eigentliche Stadt und gedrängt voller grüner Felder. Frank trat gegen eine ihrer äußeren Schleusen und trat ein.

Im Innern der Farm war es heiß, volle dreißig Grad wärmer als in der Stadt. Er musste seinen Helm aufbehalten, da die Luft hier auf die Pflanzen abgestimmt war, reich an Kohlendioxid und arm an Sauerstoff. Er blieb bei einer Arbeitsstelle stehen und kramte in Schubladen voller kleiner Werkzeuge und Pestizidpflaster, Handschuhe und Beutel. Er suchte sich drei kleine Pflaster aus und tat sie in einen Plastikbeutel; dann schob er diesen in die Tasche des Anzugs. Die Pflaster waren raffinierte Pestizide, Biosaboteure, die dazu dienen sollten, Pflanzen mit systemeigenem Schutz zu versorgen. Er hatte darüber gelesen und wusste von einer Kombination, die bei Tieren tödlich sein würde …

In die andere Tasche tat er ein Paar Scheren. Schmale Kieswege führten ihn empor zwischen langen Beeten mit Gerste und Weizen, zurück zur eigentlichen Stadt. Er betrat die in die Stadt führende Schleuse, löste den Helm, streifte Anzug und Stiefel ab und tat den Inhalt der äußeren Taschen in seine Jacke. Dann kehrte er in das untere Ende der Stadt zurück.

Hier hatten die Araber eine Medina errichtet. Sie hatten darauf bestanden, dass eine solche Nachbarschaft für die Gesundheit einer Stadt von entscheidender Bedeutung wäre. Die Boulevards wurden enger, und zwischen ihnen lagen Labyrinthe gewundener Gassen, die den Karten von Tunis oder Algier entnommen oder willkürlich geschaffen waren. Man konnte nirgends von einem Boulevard zum nächsten sehen, und der Himmel über den Köpfen war nur in schmalen Streifen zwischen Häusern zu erblicken, die sich einander zuneigten.