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Also kamen sie tüchtig und perfekt voran, um durchzuhalten, aber auch normal genug, um hinzukommen. Sie waren alt genug, um eine Menge gelernt zu haben, aber jung genug, um die physischen Härten der Arbeiten durchzustehen. Sie waren hinreichend motiviert, um sich auszuzeichnen, aber genügend entspannt, um gesellig zu sein. Und sie waren verrückt genug, um die Erde für immer verlassen zu wollen, aber vernünftig genug, um diese fundamentale Verrücktheit zu verbergen und sie in der Tat als reine Rationalität, wissenschaftliche Wissbegier oder etwas Derartiges zu verteidigen — was der einzig akzeptable Grund für diesen Wunsch zu sein schien. Somit behaupteten sie, die wissenschaftlich neugierigsten Leute in der Geschichte zu sein. Aber natürlich musste noch mehr daran sein. Sie mussten irgendwie entfremdet sein, entfremdet und einsam genug, um sich nicht darum zu kümmern, jeden für immer hinter sich zu lassen, den sie gekannt hatten — und dennoch verbunden und sozial genug, um mit allen ihren neuen Bekanntschaften in Wright Valley auszukommen, mit jedem Mitglied des kleinen Dorfes, welches die Kolonie bilden würde. Oh, die doppelten Bindungen waren endlos!

Sie mussten gleichzeitig sowohl außergewöhnlich sein und extra-außergewöhnlich. Ein unmögliches Unterfangen, aber doch eine Aufgabe, die ein Hindernis für ihren größten Herzenswunsch darstellte und zu einer Quelle von Besorgnis, Furcht, Groll und Wut machte. All diesen Stress zu besiegen …

Aber auch das war ein Teil der Prüfung. Michel konnte nicht umhin, mit großem Interesse zu beobachten. Manche versagten, auf die eine oder andere Weise zerbrochen. Ein amerikanischer Thermalingenieur wurde zunehmend introvertiert, zerstörte dann einige ihrer Rover und musste mit Gewalt in Gewahrsam genommen und entfernt werden. Ein russisches Paar verliebte sich ineinander und hatte dann einen so heftigen Streit, dass sie einander nicht mehr ausstehen konnten und beide ausschieden. Dieses Melodram erläuterte die Gefahren einer schief gehenden Romanze und machte alle anderen in dieser Hinsicht sehr vorsichtig. Es entwickelten sich immer noch Beziehungen; und bis sie Antarctica verließen, hatte es drei Heiraten gegeben. Und diese glücklichen sechs konnten sich in gewisser Weise ›sicher‹ fühlen. Aber die meisten waren so darauf versessen, auf den Mars zu kommen, dass sie diesen Teil ihres Lebens im Zaum hielten und höchstens diskrete sexuelle Partnerschaften pflegten, die in manchen Fällen jedermann verborgen blieben, sonst aber nur vor dem Auswahlkomitee geheim gehalten wurden.

Und Michel wusste, dass er nur die Spitze des Eisbergs sah. Er wusste, dass in Antarctica hinter seinem Rücken kritische Sachen passierten. Beziehungen hatten ihren Anfang. Und bisweilen bestimmt der Anfang einer Beziehung, wie der Rest laufen wird. In den kurzen Stunden von Tageslicht könnte jemand das Lager verlassen und nach Lookout Point trampen. Ein anderer würde ihm folgen. Und was da draußen geschah, könnte seine Spur für immer hinterlassen. Aber Michel würde es nie erfahren.

Und dann verließen sie Antarctica, und das Team war ausgesucht. Es waren fünfzig Männer und fünfzig Frauen — fünfunddreißig Amerikaner, fünfunddreißig Russen und dreißig aus gemischten internationalen Verbündeten, je fünfzehn von einem der zwei großen Partner eingeladen. Es war schwierig gewesen, eine so vollkommene Symmetrie einzuhalten, aber das Auswahlkomitee hatte darauf bestanden.

Die Glücklichen flogen nach Cape Canaveral oder Baikonur, um in die Umlaufbahn aufzusteigen. Inzwischen kannten sie sich recht gut und zugleich doch nicht so gut. Sie waren ein Team, dachte Michel, mit festen Freundschaften und etlichen Gruppenzeremonien, Ritualen, Bräuchen und Tendenzen. Und zu diesen Tendenzen gehörte ein Instinkt, sich zu verstecken, eine Rolle zu spielen und das wahre Selbst zu verkleiden. Vielleicht war das einfach die Definition von dörflichem oder sozialem Leben. Aber Michel schien es noch schlimmer zu sein. Niemand hatte sich zuvor derart streng bemühen müssen, sich in ein Dorf einzufügen. Und die radikale Trennung von öffentlichem und privatem Leben war neu und fremd. In ihnen war jetzt ein gewisser konkurrierender Unterstrom eingeprägt, ein ständiges subtiles Gefühl, dass jeder für sich allein war und dass jeder im Fall einer Schwierigkeit von den übrigen verlassen und aus der Gruppe verbannt werden könnte.

Damit hatte das Auswahlkomitee eines der größten Probleme geschaffen, die es gehofft hatte zu verhindern. Einige Leute waren sich dessen bewusst; und natürlich sorgten sie dafür, dass zu den Kolonisten der bestqualifizierte Psychiater gehörte, den sie sich vorstellen konnten.

Also schickten sie Michel Duval.

Zuerst war es wie ein Druck auf der Brust. Dann wurden sie in ihren Sesseln nach hinten geschoben, und eine Sekunde lang war der Druck recht vertraut: Ein G, die Schwerkraft, die sie nie wieder erleben würden. Die Ares hatte die Erde mit 28000 Kilometern in der Stunde umkreist. Einige Minuten lang beschleunigten sie. Der Schub der Raketen war so stark, dass ihre Sicht unscharf wurde, als sich die Hornhaut abflachte und das Atmen anstrengend wurde. Bei 40000 Stundenkilometern war Brennschluß. Sie waren von der Erdanziehung frei und nur noch im Sonnenorbit.

Die Kolonisten saßen in den Beschleunigungssesseln und zwinkerten, ihre Haut rötete sich, und sie hatten Herzklopfen. Maya Katarina Toitovna, die offizielle Leiterin des russischen Kontingents, schaute sich um. Die Leute wirkten benommen. Wenn man Besessenen das Objekt ihrer Begierde gibt, was fühlen sie dann? Das ist wirklich schwer zu sagen. In gewissem Sinne war ihr Leben zu Ende. Aber etwas anderes, irgendein anderes Leben, hatte endlich, endlich begonnen … Auf einmal voll so vieler Emotionen war es unmöglich, nicht verwirrt zu sein. Es war eine Interferenzerscheinung, manche Gefühle waren verschwunden, andere verstärkt. Maya schnallte sich von ihrem Sitz los und merkte, dass ihr Gesicht durch ein Grinsen verzerrt wurde. Und auf den Gesichtern ringsum sah sie dasselbe hilflose Grinsen — bei allen außer Sax Russell, der gleichgültig wie eine Eule war und blinzelte, als er die Datenangaben auf den Computerschirmen des Raums überflog.

Sie schwebten gewichtslos in der Kabine herum. 21. Dezember 2026: Sie bewegten sich schneller als sich je ein Mensch bewegt hatte. Sie waren unterwegs. Es war der Beginn einer neunmonatigen Reise — oder einer Reise, die den Rest ihres Lebens dauern würde. Sie waren auf sich allein gestellt.

Die für die Steuerung der Ares Verantwortlichen zogen sich an die Kontrollkonsolen und gaben Anweisung, seitliche Haltungsraketen zu feuern. Die Ares fing an, sich um ihre Achse zu drehen und stabilisierte sich bei vier Umdrehungen pro Minute. Die Kolonisten sanken zu Boden und standen in einer Pseudoschwerkraft von 0,38 G, sehr nahe der, die sie auf dem Mars fühlen würden. Viele Mannjahre an Tests hatten gezeigt, dass man dabei recht gesund würde leben können, und so sehr viel vorteilhafter als Gewichtslosigkeit, dass man die Rotation des Schiffs der Mühe für wert erachtet hatte. Und es war ein großartiges Gefühl, dachte Maya. Es gab genug Zug, um ziemlich leicht die Balance halten zu können, erzeugte aber kaum irgendeinen Eindruck von Gepreßtsein. Es entsprach vollkommen ihrer Stimmung. Sie stolperten durch die Korridore in den großen Speisesaal im Torus D, ungehemmt und fröhlich, wie auf Luft wandelnd.

In dem Speisesaal mischten sie sich zu einer Art Cocktailparty und feierten den Abflug. Maya ging umher, nippte ungezwungen an einem Glas Champagner und fühlte sich unreal und höchst glücklich, eine Mischung, die sie an ihre Hochzeitsfeier vor vielen Jahren erinnerte. Sie hoffte, dass es jetzt besser gehen würde als damals, weil es jetzt für immer währen müsste. In dem Saal war es laut. Gespräche wurden geführt. »Es ist eine nicht so sehr soziologische als vielmehr mathematische Symmetrie. Eine Art ästhetischer Balance.« — »Wir hoffen, in den Bereich von eins zu einer Milliarde zu gelangen, aber das dürfte nicht leicht sein.« Maya lehnte das Angebot nachzuschenken ab, da sie sich schwindlig genug fühlte. Außerdem war das hier Arbeit. Sie war sozusagen Mit-Bürgermeister dieses Dorfes und verantwortlich für Gruppendynamik, die kompliziert werden dürfte. Antarktische Gewohnheiten machten sich selbst in diesem Moment des Triumphs geltend, und sie horchte und beobachtete wie ein Anthropologe oder Spion.