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»Die Brücke ist doch weggespült.«

»Ach ja, das hatte ich vergessen. Sobald das Wasser zurück­geht, wird sie wohl eine Furt zum Durchwaten finden.«

»Zum Glück sind wenigstens die Telefonleitungen in Ord­nung. Ich hab heute morgen mit ihr gesprochen. Sie hat eine furchtbare Migräne. Du weißt ja, wie niedriger Luftdruck ihr zusetzt.«

»Ganz zu schweigen von Knoblauch.«

»Genau.« Fair erinnerte sich, wie Boom Boom einmal eilends ins Krankenhaus geschafft worden war, nachdem sie den verbo­tenen Knoblauch zu sich genommen hatte.

»Und wir dürfen an diesen kaltfeuchten Tagen auch ihr Rheuma im Rücken nicht vergessen. Oder ihre Neigung zu Hitzschlag, vor allem wenn irgendeine Art von Arbeit ansteht.« Harry lächelte übers ganze Gesicht, das Lächeln des Sieges.

»Mach dich nicht lustig über sie. Du weißt, wie schwer sie es in ihrer Familie hatte. Der Vater war Alkoholiker, und die Mut­ter hatte eine Affäre nach der anderen.«

»Tja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« Harry langte mit ihrem Kugelschreiber hinüber, stieß ein Loch in den Styropor­becher und drehte ihn so herum, daß die Flüssigkeit auf Fairs Kordhose tropfte. Dann stand sie auf und schritt hinaus. Mrs. Murphy und Tucker spurteten hinterher.

Fair blieb wutentbrannt sitzen und wischte sich mit der linken Hand den Kaffee von der Hose, während er mit der rechten versuchte, den Strom aus dem Becher aufzuhalten.

9

Der Bach umwirbelte die größeren Steine, kleine Strudel bilde­ten sich und lösten sich auf. Tucker ging am Ufer auf und ab, das glitschig war vom Schlamm, der sich abgelagert hatte. Das Wasser war zurückgegangen und floß wieder innerhalb seiner Ufer, aber der Wasserstand war immer noch hoch und die Strömung reißend. Nebel hing über den Weiden und den Bäu­men, die nun kahl waren, denn die schweren Regengüsse hatten das leuchtende Herbstlaub fast vollständig heruntergefegt.

Hoch auf dem Heuboden beobachtete Mrs. Murphy durch eine Ritze in den Brettern ihre Freundin. Als sie Tucker aus den Augen verlor, brach sie ihre Unterhaltung mit Simon ab und eilte die Leiter hinunter. Leise fluchend ließ sie die Hoffnung, trocken zu bleiben, fahren und rannte über die Felder. Wasser bespritzte ihren sahnegelben Bauch, was ihre schlechte Laune noch verschlimmerte. Tucker konnte die dämlichsten Sachen anstellen. Als Mrs. Murphy beim Bach anlangte, war die Corgi­hündin mittendrin und wippte auf der Spitze eines riesigen Ge­steinsbrockens.

»Komm da raus«, forderte Mrs. Murphy sie auf.

»Nein«, weigerte sich Tucker.»Riech mal.«

Mrs. Murphy hielt die Nase in die Luft.»Ich rieche Schlamm, Harz und abgestandenes Wasser.«

»Es ist ein ganz schwacher Hauch. Süßlich. Und dann ist es plötzlich wieder weg. Ich muß es finden.«

»Was meinst du mit süßlich?« Mrs. Murphy schlug mit dem Schwanz.

»Verdammt, jetzt ist es wieder weg.«

»Tucker, du hast kurze Beine - in dieser Strömung zu schwim­men ist keine gute Idee.«

»Ich muß den Geruch wiederfinden. « Damit stieß sie sich von dem Stein ab, sprang ins Wasser und ruderte mit aller Kraft. Das schlammige Wasser schlug über ihrem Kopf zusammen. Sie tauchte auf und schwamm schräg hinüber zum anderen Ufer.

Mrs. Murphy schrie, was das Zeug hielt, aber Tucker achtete nicht auf sie. Als die Corgihündin das Ufer erreichte, war sie so erschöpft, daß sie sich einen Moment ausruhen mußte. Aber der Geruch war jetzt etwas stärker. Auf wackligen Beinen schüttelte sie sich und erklomm mühsam den Schlammhang, zu dem die Böschung am Bach geworden war.

»Alles klar?« rief die Katze.

»Ja.«

»Ich bleib hier, bis du zurückkommst.«

»Okay« Tucker kletterte über die Böschung und witterte. Sie fand die Richtung und trottete über Blair Bainbridges Gelände. Der Geruch wurde mit jedem Schritt intensiver. Vor dem klei­nen Friedhof blieb Tucker stehen.

Der heftige Sturm hatte die Grabsteine umgeworfen, die Blair aufgerichtet hatte, und der schadhafte Teil des schmiedeeiser­nen Zauns war wieder umgestürzt. Vorsichtig bahnte sich die Hündin einen Weg durch den Schutt auf dem Friedhof. Der Geruch war jetzt kristallklar und verlockend, äußerst verlockend.

Die Nase am Boden, ging sie zu dem Grabstein mit dem ge­meißelten harfespielenden Engel. Vor dem Stein wiesen die Finger einer Menschenhand zum Himmel. Die Gewalt von Wind und Regen hatte den lockeren Mutterboden abgedeckt; ein Stückchen Grasnarbe war aufgerollt wie ein kleiner Tep­pich. Tucker beschnüffelte auch dies. Als sie letzte Woche mit Mrs. Murphy an dem Friedhof vorbeigekommen war, hatte sie keinen verlockenden Geruch, keine sichtbare Veränderung des Bodens wahrgenommen. Der Verwesungsgestank, der jeden Hund belebte, vertrieb ihre Verwunderung über die Grasnarbe. Sie begann die Hand auszugraben. Bald war die ganze Hand zu sehen. Tucker biß in den fleischigen, geschwollenen Ballen und zerrte. Die Hand ließ sich mühelos aus der Erde ziehen. Dann sah Tucker, daß die Hand am Gelenk abgetrennt war, fein säu­berlich, und daß die Fingerkuppen fehlten.

Vor lauter Begeisterung über ihren Fund vergaß Tucker ihre Erschöpfung und raste durch den Morast zum Bach. Sie blieb stehen, weil sie sich nicht traute, ins Wasser zu tauchen, aus Furcht, ihre pikante Beute zu verlieren.

Mrs. Murphy war sprachlos.

Tucker legte die Hand vorsichtig ab.»Ich hab 's gewußt! Ich hab gewußt, ich rieche was köstlich Totes.«

»Tucker, kau da nicht drauf rum.« Mrs. Murphy ekelte sich.

»Warum nicht? Ich hab sie gefunden. Ich hab die Arbeit ge­macht. Sie gehört mir!« Sie bellte in hoher Tonlage, weil sie so aufgeregt war.

»Ich will die Hand nicht, Tucker, aber sie ist ein böses Omen.«

»Ist nicht wahr. Weißt du noch, wie Harry uns von dem Hund vorgelesen hat, der Vespasian, als er General war, eine Hand brachte, und die Seher haben daraufhin prophezeit, daß er Kai­ser von Rom werden würde, und dann ist er es tatsächlich ge­worden. Es ist ein gutes Zeichen.«

Mrs. Murphy erinnerte sich vage, daß Harry diese Geschichte einmal aus einem ihrer vielen Geschichtsbüchern vorgelesen hatte, aber das war jetzt kaum ihr Hauptinteresse.»Hör zu. Die Menschen packen ihre Toten in Kisten. Wenn du eine Hand gefunden hast, heißt das, die Leiche war nicht verpackt.«

»Na und? Die Hand gehört mir!« Tucker heulte, was ihre Lungen hergaben, obgleich sie in einem Moment der Besinnung einsah, daß Mrs. Murphy recht hatte. Menschen zerstückelten ihre Toten nicht.

»Tucker, wenn du die Hand vernichtest, dann vernichtest du ein Beweisstück. Du wirst ganz schön in der Scheiße sitzen, und außerdem bringst du Mutter in die Bredoullie.«

Tucker hockte sich niedergeschlagen neben die kostbare Hand, ein grausiger Anblick.»Sie gehört aber mir.«

»Tut mit leid. Aber da stimmt was nicht, siehst du das nicht ein?«

»Nein« Ihre Stimme war jetzt schwächer.

»Wenn ein toter Mensch nicht in einer Kiste ist, bedeutet das entweder, daß er oder sie krank war und weit entfernt von an­deren gestorben ist oder daß er oder sie ermordet wurde. Die anderen Menschen müssen es erfahren. Du weißt, wie sie sind, Tucker. Manche töten zum Vergnügen. Das ist gefährlich für die übrigen.«

Tucker setzte sich auf.»Warum sind sie so»Ich weiß es nicht, sie wissen es ja selbst nicht. Es ist eine Krankheit in der Gattung. So ähnlich, wie wenn Hunde einen Verwesungsgeruch nicht wittern. Bitte, Tucker, mach kein Hackfleisch aus dem Beweisstück. Laß mich versuchen, Mutter zu holen. Versprich mir, daß du wartest.«