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»Ich mache mir Sorgen wegen der Reporter. Es wird morgen in der Zeitung stehen. Haarklein. Und wenn die Leiche erst identifiziert ist, werden sie über uns hereinbrechen wie Fliegen­schwärme.« Herb wünschte, er hätte das nicht gesagt; denn es erinnerte ihn an die Beine und Hände.

»Reverend Jones.«

»Herbie«, wurde Blair unterbrochen.

»Herbie, warum hassen die Leute Marilyn Sanburne? Ich bin ihr erst einmal begegnet. Sie hat sich über Stammbäume ausge­lassen, aber schließlich hat jeder eine Schwäche.«

»Einen Snob kann keiner leiden, Blair. Nicht mal ein anderer Snob. Stellen Sie sich so ein Leben vor, Jahr ein, Jahr aus von Mim taxiert, bei jeder Gelegenheit von ihr in die Schranken gewiesen werden. Sie arbeitet hart für wohltätige Einrichtun­gen, das läßt sich nicht leugnen, aber sogar während sie gute Werke tut, schikaniert sie andere Leute. Ihr Sohn Stafford hat eine Schwarze geheiratet, und das hat das Schlechteste in Mim und, darf ich hinzufügen, das Beste in allen anderen zum Vor­schein gebracht. Sie hat ihn enterbt. Er lebt mit seiner Frau in New York Sie sind gewissermaßen der Ausgleich zu Little Ma­rilyns Ehe. Ich weiß nicht, die meisten Leute schauen bei ande­ren nicht hinter die Fassade, und Mims Fassade ist kalt und hart.«

»Aber Sie denken anders von ihr, nicht?«

Der junge Mann war ein genauer Beobachter. Herb mochte ihn mit jeder Minute lieber. »Ja, ich denke anders von ihr.« Er zog sich ein Polster für die Füße heran, machte Blair ein Zei­chen, sich auch eins zu holen, und faltete die Hände vor der Brust. »Sie müssen wissen, Marilyn Sanburne ist eine geborene Marilyn Urquhart Conrad. Die Urquharts, schottischen Ur­sprungs, waren eine der ersten Familien, die hierher in den fer­nen Westen kamen. Kaum zu glauben, noch während des Un­abhängigkeitskrieges war dies eine rauhe Gegend, Grenzgebiet. Davor, um 1720, 1730, riskierte man sein Leben, um zu den Blue Ridge Mountains zu gelangen. Marilyns Mutter, Isabelle Urquhart Conrad, setzte ihren drei Kindern Flausen in den Kopf, weil sie königlichen Geblüts waren. Die amerikanische Version. Ihr Mann, Jimp Conrad, der keinen so erlauchten Stammbaum aufweisen konnte wie die Urquharts, war zu sehr damit beschäftigt, Land zu kaufen, um sich groß darum zu kümmern, wie seine Kinder erzogen wurden. Ein Männerpro­blem, würde ich sagen. Jedenfalls stieg Marilyns zwei Brüdern die Sache mit dem Adel zu Kopf, und sie befanden, daß sie sich ihren Lebensunterhalt nicht mit so etwas Ordinärem wie Arbeit sichern dürften. James wurde Rennjockey und starb bei einem gräßlichen Unfall in Culpeper. Das war direkt nach dem Zwei­ten Weltkrieg. Das Pferd hat ihn zu Tode geschleift. Ich hab's mit eigenen Augen gesehen. Theodore, der jüngere Bruder, ebenfalls ein guter Reiter, hat sich schlicht und einfach tot ge­soffen. Der Kummer brachte Jimp um und machte Isabelle zu einer verbitterten Frau. Sie fühlte sich, als sei sie die einzige, die jemals Söhne verloren hatte. Sie vergaß, daß Hunderttau­sende von amerikanischen Müttern erst vor kurzer Zeit ihre Söhne im Schlamm von Europa und im Sand des Südpazifiks verloren hatten. Die Verbitterung der Mutter färbte auf Mim ab. Da sie nun das einzige Kind war, wurde ihr die Pflege ihrer Mutter aufgebürdet, als Isabelle alt wurde. Gesellschaftliche Überheblichkeit wurde vielleicht ihre Zuflucht.«

Er schwieg einen Moment, dann fuhr er fort: »Sehen Sie, ich erlebe viele Menschen, die in einer Krise stecken. Und im Laufe der Jahre habe ich festgestellt, daß zweierlei passieren kann. Entweder öffnen sich die Menschen und erlangen Größe; der Schmerz führt zu Mitgefühl für andere und zu einer Einsicht in sich selbst, zum Empfinden der Liebe Gottes, wenn Sie wollen. Oder sie verschließen sich durch Alkohol, Rauschgift, Promis­kuität oder Verbitterung. Verbitterung ist, wie jede Form von selbstzerstörerischen Verhalten, eine Beleidigung Gottes. Das Leben ist ein Geschenk, das man genießen und mit anderen teilen muß.« Er verfiel in Schweigen.

Ella schnurrte, während sie lauschte. Sie liebte Herbies Stim­me, das tiefe, männliche Dröhnen, aber sie liebte auch, was er sagte. Den Menschen fiel es so schwer zu erkennen, daß das Leben eine Lust ist, solange man genug zu fressen, ein warmes Lager und jede Menge Katzenminze hat. Sie war sehr froh über Herbs Überzeugung, daß das Leben meistens wunderbar war.

Lange Zeit saßen die beiden Männer in stillem Einverständnis nebeneinander.

Schließlich sprach Blair. »Herbie, ich gebe mir Mühe, mich zu öffnen. Aber ich habe nicht viel Übung dann.«

Da Herb spürte, daß Blair ihm irgendwann in Zukunft, wenn er sich sicher fühlte, seine Geschichte erzählen würde, hakte er klugerweise nicht nach. Er versicherte ihm statt dessen, was er selbst aufrichtig glaubte: »Vertrauen Sie auf Gott. Er wird Ihnen den Weg weisen.«

15

Sowenig der Sheriff und Officer Cooper über die aufgefunde­nen Leichenteile wußten, es war ihnen immerhin bekannt, daß ein Landstreicher, und zwar kein alter Mann, vor kurzem in der Stadt gewesen war.

Unermüdliche Laufereien, Telefongespräche und Befragungen führten die beiden schließlich zur Allied National Bank.

Marion Molnar erinnerte sich lebhaft an den Kerl mit dem Bart. Auf seine königsblaue Baseballjacke waren die orangefar­benen Buchstaben METS aufgestickt gewesen. Als fanatische Anhängerin der Onoles hatte dies Marion ebenso empört wie sein Benehmen.

Sie führte Rick und Cynthia in Ben Seiferts Büro.

Strahlend schüttelte Ben ihnen die Hände und bat sie, sich zu setzen.

»O ja, der ist in mein Büro stolziert und hat sich wahnsinnig aufgespielt. Hat mir eine irrsinnige Geschichte über seine Geld­anlagen aufgetischt. Er wollte auf der Stelle mit Cabell Hall sprechen.«

»Haben Sie den Direktor geholt?« fragte Rick.

»Nein. Ich habe gesagt, ich bringe ihn zu unserer Hauptstelle im Einkaufscenter von Charlottesville. Mir ist nichts anderes eingefallen, um ihn hier wegzubekommen.« Ben ließ seine Knöchel knacken.

»Und was dann?« fragte Cynthia.

»Ich habe ihn bis zum östlichen Stadtrand gefahren. Schließ­lich habe ich ihm seine verrückte Idee ausgeredet, und er ist bereitwillig ausgestiegen. Danach habe ich ihn nicht wiederge­sehen.«

»Danke, Ben. Wir rufen Sie an, wenn wir Sie brauchen«, sagte Rick.

»Freut mich, wenn ich Ihnen behilflich sein konnte.« Ben be­gleitete sie zum Haupteingang.

Kaum war der Streifenwagen außer Sicht, schloß Ben seine Bürotür und griff zum Telefon. »Hör zu, du Arschloch, die Bul­len waren hier wegen diesem Penner. Das gefällt mir nicht!« Ben, ein Junge vom Lande, hatte sich im Laufe der Zeit ver­wandelt und seine rauhen Kanten abgeschliffen. Er war jetzt ein aalglatter Schöntuer und ein großes Tier in der Handelskammer. In seiner pomadigen neuen Inkarnation war fast nichts von dem alten Ben übriggeblieben, aber die Sorge ließ ihn wiederaufer­stehen.

16

Unter dem Vorsitz von Miranda Hogendobber trat das Festko­mitee für die Ernteausstellung zusammen, um sich eiligst über die Veranstaltungen und den anschließenden Ball zu beraten. Das beliebte Erntefest und der Ball, die mit Halloween zusam­menfielen, wurden von Jung und Alt voll Ungeduld erwartet. Die ganze Stadt fand sich zu dem Fest ein. Die Kinder wettei­ferten um die schönste und die schaurigste Verkleidung, sie konkurrierten in Apfelhüpfen, Kostüm-Wettlaufen und in ande­ren Belustigungen, die in den frühen Abendstunden stattfanden. Diese Spiele hatten den Vorteil, daß die Kinder von der Straße weggehalten wurden und allen das Trick-or-Treat- Süßigkeitenbestechungssyndrom erspart blieb, das die Erwach­senen ja immer veranlaßte, soviel zu vertilgen wie die Kleinen. Die Kinder, vom Essen so angestrengt wie von den Belustigun­gen, schliefen auf dem Ball ein, während die Erwachsenen tanz­ten. Schlafsäcke waren so zahlreich vertreten wie Kürbisse.