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»Man soll nicht nach den Gründen fragen. Man soll nur ja und Amen sagen.«

Just in diesem Moment kam Susan zum Hintereingang herein­geschlendert.»>Sechshundert Mann ritten ins Tal des Tode<«, beendete sie das Zitat.

»Blair Bainbridge hat sie gerade gebeten, ihn morgen abend zu einem Essen bei den Hamiltons zu begleiten, und er will mit ihr zu ein paar Versteigerungen gehen.«

»Juhuu!« Susan klatschte in die Hände. »Gut gemacht, Mäd­chen.«

»Ich hab gar nichts gemacht.«

»Susan, helfen Sie mir. Sie hätte ihm fast gesagt, daß sie keine Verabredung für den Krebsball hatte. Sie wird ihre Jeans für das Essen aufbügeln und glauben, sie ist gut angezogen. Wir müs­sen etwas unternehmen.«

Miranda und Susan sahen sich an, dann sahen sie beide Harry an. Ehe sie sich's versah, hatten sie je einen Arm von ihr ge­packt, und sie wurde zum Hintereingang hinausbugsiert und in Susans Wagen verfrachtet.

»He, he, ich kann die Arbeit nicht im Stich lassen.«

»Ich halte die Stellung, meine Liebe.« Miranda schlug die Tür zu, und Susan ließ den Motor an.

30

Die Allied National Bank unternahm nichts wegen Benjamin Seiferts Verspätung. Niemand rief Cabell Hall an, um ihn von Bens Abwesenheit in Kenntnis zu setzen. Wenn Ben von einem solchen Anruf erfahren hätte, hätte der Missetäter seinen Job die längste Zeit gehabt Benjamin, der oft unterwegs war und im Büro nicht viel auf Organisation hielt, hatte vielleicht einen Vormittagstermin verabredet, ohne der Sekretärin Bescheid zu sagen. Ben, ein großes Licht bei Allied National, durfte sich darauf freuen, die riesige neue Zweigstelle zu übernehmen, die an der Route 29N in Charlottesville gebaut wurde, und deshalb wollte es sich niemand mit ihm verderben. Den schlaueren An­gestellten war klar, daß seine Ambitionen über die neue Zweig­stelle an der 29N hinausreichten.

Daß er sich nach der Mittagspause nicht meldete, fand das kleine Team sonderbar. Um drei Uhr war Marion Molnar so beunruhigt, daß sie bei ihm zu Hause anrief. Niemand ging ans Telefon. Benjamin, der geschieden war, war oft bis in die frü­hen Morgenstunden unterwegs. Aber so lange hielt kein Kater an.

Gegen siebzehn Uhr machten sich alle ernsthafte Sorgen. Sie riefen Rick Shaw an. Er versprach, sich umzuhören. Fast um dieselbe Zeit wie Marion rief Yancey Mills, der Besitzer der kleinen Tankstelle, bei Shaw an. Er habe Benjamins Wagen erkannt. Er habe angenommen, mit dem Auto sei etwas nicht in Ordnung und daß Benjamin im Laufe des Tages anrufen würde. Aber jetzt sei es kurz vor Geschäftsschluß, er habe noch nichts gehört, und bei Ben zu Hause gehe keiner ans Telefon.

Rick schickte Cynthia Cooper zu der Tankstelle. Sie sah sich den Wagen an. Schien in Ordnung zu sein. Weder sie noch Rick sahen Grund zur Panik, aber sie tätigten doch die Routineanru­fe. Cynthia rief Bens Eltern an. Inzwischen hatte sie ein etwas mulmiges Gefühl. Wenn sie bis morgen früh keine Spur von ihm fanden, wollten sie sich auf die Suche machen. Was, wenn Ben einen Kredit nicht bewilligt oder die Bank eine Zwangs­vollstreckung durchgeführt hatte und jemand ihn dafür hatte bezahlen lassen wollen? Es schien weit hergeholt, aber schließ­lich war ja nichts mehr normal.

31

Es war ihr Gesicht, das ihr aus dem Spiegel entgegensah, aber Harry mußte sich erst daran gewöhnen. Der neue Haarschnitt betonte die hohen Wangenknochen, die vollen Lippen und das kräftige Kinn, die so stark an die Hepworths, die Familie ihrer Mutter, erinnerten. Auch die klaren braunen Minor-Augen blickten sie an. Wie jedermann in Crozet vereinte Harry die Züge der Eltern in sich, ein genetisches Zeugnis für das Roulet­te der menschlichen Fortpflanzung. Das Glück blieb Harry ge­wogen. Für andere, darunter manche Freunde, galt das nicht. In einer Familie in Crozet wurde eine nach der anderen von Mul­tipler Sklerose heimgesucht; andere konnten den Zangen des Krebses nicht entkommen, wieder andere hatten einen ausge­prägten Hang zu Alkohol oder Drogen geerbt. Je älter Harry wurde, desto mehr fühlte sie sich vom Glück begünstigt.

Während sie ihr Spiegelbild betrachtete, dachte sie an ihre Mutter, die vor eben diesem Spiegel gesessen hatte, die Farbtie­gel aufgestellt, die Lippenstifte in Reih und Glied wie untersetz­te Soldaten, die Puderquasten lauernd wie pfirsichfarbene Tel­lerminen. So sehr Grace Hepworth Minor ihrem einzigen Kind zuredete, schmeichelte, so sehr sie es bestach - Harry hatte sich der Verlockung femininer Künstlichkeit standhaft verweigert. Sie war damals zu jung, um ihre eiserne Ablehnung der kom­merzialisierten Weiblichkeit in Worte zu fassen. Sie wußte le­diglich, daß sie das nicht wollte, und niemand konnte sie von dieser Haltung abbringen. Im Laufe der Jahre bewährte sich diese instinktive Ablehnung. Harry fand, daß sie sauber und ordentlich, gesund und anziehend aussah. Ein Mann, der den ganzen falschen Kram brauchte, war in ihren Augen kein richti­ger Mann. Sie wollte um ihrer selbst willen geliebt werden und nicht dafür, daß sie einen Haufen Geld ausgab, um der landläu­figen Definition von Weiblichkeit zu entsprechen. Allerdings hatte Harry es auch nie für nötig befunden, zu beweisen, daß sie feminin war. Sie fühlte sich feminin, und das genügte ihr. Ihm sollte es auch genügen. Und Fair hatte es ja auch eine Weile genügt.

In dieser Hinsicht waren Boom Boom und Harry die entge­gengesetzten Pole der Philosophie der Weiblichkeit. Vielleicht war das der Grund, weshalb sie sich nicht riechen konnten. Boom Boom gab jeden Monat durchschnittlich tausend Dollar für ihre Instandhaltung aus. Sie ließ sich zupfen, färben, massie­ren. Sie war überschwemmt mit Nährstoffen, die auf ihren be­sonderen Hormonbedarf abgestimmt waren. Das stand zumin­dest auf den Flaschen. Sie hielt ständig Diät. Sie fand nichts dabei, zum Einkaufen nach New York zu fliegen. Dann trudel­ten die gepfefferten Rechnungen ein. Ein Paar Krokoschuhe von Gucci kostete 1200 Dollar. Gepflegt, hochmodisch und bestrebt, jeglichen Makel, ob echt oder eingebildet, zu überdecken, verkörperte Boom Boom den Siegeszug der amerikani­schen Kosmetik, Mode und Schönheitschirurgie. Ihre Ichbezo­genheit, durch diese Kultur genährt, wuchs sich zu hochgradiger Egozentrik aus. Boom Boom vermarktete sich als Schmuck­stück. Mit der Zeit wurde sie eins. Viele Männer machten Jagd auf dieses Schmuckstück.

Als Harry die neue Harry betrachtete, die sie Mirandas und Susans Unerbittlichkeit zu verdanken hatte, entdeckte sie er­leichtert eine Menge von der alten Harry. Okay, ein bißchen Rouge betonte die Wangen, Lippenstift verlieh ihrem Mund Wärme, aber nichts war übertrieben. Kein widerwärtiger Lid­schatten. Die Wimperntusche betonte lediglich ihre ohnehin langen schwarzen Wimpern. Sie sah aus wie sie selbst, viel­leicht sogar mehr als sonst. Sie versuchte, sich damit anzu­freunden, versuchte, sich in dem schlichten Wildlederrock und der Seidenbluse zu gefallen, die Susan sie unter Androhung der Todesstrafe zu kaufen gezwungen hatte. Geld ausgeben ist schmerzlicher als jede Strafe, dachte sie; man spürt es länger.

Zu spät. Der Scheck war ausgestellt, der Kauf nach Hause ge­tragen. Es war ohnehin keine Zeit mehr, sich darüber zu grä­men, denn Blair klopfte an die Haustür.

Harry ging öffnen.

Blair musterte sie. »Sie sind die einzige Frau, die ich kenne, die in Jeans genausogut aussieht wie im Rock. Na los, gehen wir.«

Mrs. Murphy und Tucker standen auf der Rückenlehne des Sofas und sahen den Menschen nach, wie sie die Zufahrt ent­langfuhren.

»Na, was sagst du?« fragte Tucker die Katze.

»Sie sieht scharf aus.« Mrs. Murphy zwinkerte Tucker zu. »Bist du nicht froh, daß wir keine Kleider tragen müssen? Du würdest in einem Baumwollfähnchen vielleicht irre aussehen!«

»Und du müßtest vier BHs anziehen.« Tucker stupste Mrs. Murphy in die Rippen, so daß sie fast vom Sofa kippte.