Выбрать главу

47

Es schneite den ganzen Sonntag, mal mehr, mal weniger. Susan Tucker fuhr Montag morgen langsam zu Harry hinaus, um sie zur Arbeit abzuholen. Der alte Jeep, mit aufgezogenen Schnee­ketten, war beladen mit Harry, Mrs. Murphy und Tucker. Auf der Fahrt in die Stadt staunte Harry über die vielen Fahrzeuge, die am Straßenrand liegengeblieben oder abgerutscht waren und jetzt am Fuß der Böschung lagen. Die Besitzer der meisten Wa­gen kannte sie.

»Gesegnete Zeiten für die Autowerkstatt«, bemerkte Harry.

»Und gesegnete Zeiten für Art Bushey. Die meisten Leute werden so wütend sein, daß sie ihr Auto so bald wie möglich abschleppen lassen und bei ihm in Zahlung geben werden. Ein Wagen mit Allradantrieb ist zwar teurer im Unterhalt, aber in dieser Gegend unentbehrlich.«

»Ich weiß«, sagte Harry bekümmert.

Susan, über den ständigen Geldmangel ihrer besten Freundin im Bilde, lächelte. »Eine Freundin mit Allradantrieb ist so gut, als hättest du selbst einen.«

Harry verlagerte Tuckers Gewicht auf ihrem Schoß, weil die Pfote des kleinen Hundes ihr auf die Blase drückte. »Ich brauch unbedingt einen Nebenjob. Das Gehalt bei der Post reicht hinten und vorne nicht.«

»Schlechte Zeiten, um ein Geschäft aufzumachen.«

»Meinst du, wir stehen kurz vor einer Depression? Vergiß den Rezessionsquatsch. Die Politiker finden für alles beschönigende Worte.«

»Man erkennt immer, wann ein Politiker lügt. Jedesmal, wenn er den Mund aufmacht.« Susan ging mit dem Tempo noch wei­ter herunter, als sie die Außenbezirke der Stadt erreichten. Die Straßen waren zwar mehrmals gepflügt worden, aber das Eis unter der Schneedecke war immer noch fest. »Ja, ich glaube, wir stehen kurz davor. Wir müssen für die Wall-Street-Skandale büßen, und mehr noch, wir müssen für den Rest unseres Lebens für das Spar- und Darlehensfiasko büßen. Die fetten Zeiten sind vorüber.« »Dann sollte ich vielleicht ein Abmagerungsberatungsinstitut gründen.« Harry war niedergeschlagen.

Susan führ vorsichtig an die Holzumzäunung vor dem Postamt heran und trat auf die Bremse. Der Jeep hatte Allradantrieb, aber keinen Allradstopp. Sie sah, daß Miranda schon bei der Arbeit war. »Ich muß nach Hause. Oh, hier, eh ich's vergesse.« Sie entnahm ihrer Handtasche einen großen goldenen Ohrring.

»Das ist doch kein echtes Gold, oder? Dann kann ich ihn nicht annehmen.«

»Vergoldet. Und ich bleibe dabei, daß ich mit deinem Plan nicht einverstanden bin.«

»Ich kann dich hören, aber ich hör nicht auf dich.« Harry öff­nete den Wagenschlag. Tucker sprang hinaus und versank kopfüber im Schnee.

Mrs. Murphy lachte.»Schwimm, Tucker.«

»Sehr witzig.« Tucker schob sich durch den Schnee und sprang bei jedem Schritt hoch, um den Kopf oberhalb des wei­ßen Pulvers zu halten.

Die Katze blieb auf Harrys Schulter. Harry half Tucker vor­wärts, und Mrs. Hogendobber öffnete die Tür.

»Ich muß Ihnen was zeigen.« Mrs. Hogendobber machte die Tür zu und schloß wieder ab. »Kommen Sie.«

Während Harry sich aus ihrer Jacke und den diversen überein­andergezogenen Schichten schälte, warf Miranda eine Handvoll Karten auf den Schalter. Sie sahen aus wie jene Werbepostkar­ten, die regelmäßig von Geschäften versandt wurden, die das Briefporto sparen wollten. Bis Harry eine las.

»Steck deine Nase nicht in Sachen, wo dich nichts angehn«, las sie laut. »Was ist das?«

»Ich weiß nicht, was das ist, ich weiß nur, daß die Grammatik nicht stimmt. Herbie und Carol haben eine bekommen, außer­dem die Sanburnes, die Hamiltons, Fair Haristeen, Boom Boom, Cabby und Taxi - kurz und gut, fast alle, die wir ken­nen.«

»Wer hat keine bekommen?«

»Blair Bainbridge.«

Harry hielt die Karte ins Licht. »Guter Druck. Haben Sie She­riff Shaw angerufen?« »Ja. Und Charlottesville Press, Papercraft, Kammer und Thompson, King Lindsay, sämtliche Druckereien in Charlottes­ville. Niemand hat Unterlagen über so eine Bestellung.«

»Könnte ein Computer mit Grafikprogramm so was machen?«

»Da fragen Sie mich? Dafür sind Kinder da, die spielen mit Computern.« Mrs. Hogendobber stemmte die Hände in die Hüf­ten.

»Ah, da kommen Rick und Cynthia. Vielleicht wissen sie was.«

Die Beamten meinten, die Postkarten könnten mit einem teu­ren Laserdrucker gedruckt worden sein, aber sie wollten sich bei Computer-Experten in der Stadt erkundigen.

Während sie langsam losfuhren, sah Cynthia im Westen neue Sturmwolken aufziehen. »Boss?«

»Ja?«

»Warum tut ein Mörder so was? Es ist dumm.«

»Einerseits ja, andererseits, also ich weiß nicht.«

Rick umfaßte das Lenkrad fester und ging auf Kriechtempo herunter. »Wir haben so gut wie nichts in der Hand. Er oder sie weiß das, aber irgendwas steckt in diesem Menschen, das auf sich aufmerksam machen will. Er will nicht erwischt werden, aber er will uns und alle anderen wissen lassen, daß er schlauer ist als wir andern alle zusammen. Ein klassischer Konflikt.«

»Er muß sich seine Macht bestätigen und sich trotzdem ver­steckt halten.« Sie winkte Fair zu, der im Schnee steckengeblie­ben war. »Wir halten am besten an. Ich denke, wir können ihn rausziehen.«

Rick verdrehte die Augen nach oben. »Hören Sie, ich weiß, es ist ungesetzlich, deshalb bitte ich Sie nicht direkt, aber wäre es nicht eigenartig, wenn diese Postkarten für einen Tag verlegt würden - nur für einen Tag?« Er machte eine Pause. »Wir ha­ben es mit jemandem zu tun, der unglaublich gerissen ist, mit jemandem, der gerne Katz und Maus spielt. Verdammt. Es ist Weihnachten!«

»Hä?«

»Im Moment habe ich Angst um jedes Weihnachtsgeschenk unter jedem Weihnachtsbaum.«

48

Eine gewaltige Douglas-Fichte reichte bis an die hohe Decke von Mim Sanburnes eleganter Villa. Die Hartholzböden schimmerten vom Widerschein der Baumlichter. Unter dem Baum, auf der Anrichte, überall waren Geschenke gestapelt, fröhliche Päckchen, in grüner, goldener, roter und silberner Folie verpackt und mit riesigen bunten Schleifen gekrönt.

An die 150 Gäste füllten die sieben Räume im Parterre des al­ten Hauses. Zion Hill, wie das Haus genannt wurde, war aus einer 1769 errichteten einräumigen Blockhütte hervorgegangen. Damals waren die Indianer herbeigestürmt und hatten die Wei­ßen getötet, und bis nach dem Freiheitskrieg war Zion Hill ohne Nachbarn geblieben. Schießscharten waren in der Wand, hinter der sich die Pioniere verschanzt hatten, um auf die angreifenden Indianer zu schießen. Die Urquharts, Mims Familie mütterli­cherseits, waren zu Wohlstand gelangt und hatten das Haus im Unionsstil vergrößert. Ein rapider wirtschaftlicher Aufschwung verlieh den Vereinigten Staaten in den 1820er Jahren Glanz. Das Land hatte wieder einen Krieg gegen Großbritannien ge­wonnen, der Westen wurde erschlossen, alles schien möglich. Captain Urquhart, der in der dritten Generation in Zion Hill lebte, investierte in Pippinäpfeln, die angeblich von Dr. Thomas Walker, dem Arzt Thomas Jeffersons, aus dem Staat New York ins Land gebracht worden waren. Der Captain kaufte Bergland zu einem Spottpreis und legte riesige Obstplantagen an. Ein Glück für den Captain, daß die Amerikaner Äpfel mochten, ob als Apfelauflauf, Apfelmost, Apfelmus, Apfeltorte oder Apfel­krapfen. Auch Pferde liebten Äpfel.

Vor dem Bürgerkrieg kaufte sich die nächste Urquhart- Generation in die Eisenbahn ein, die nach Westen fuhr, und häufte weiteres Vermögen an. Dann kam der verheerende Bür­gerkrieg, dem drei oder vier Söhne zum Opfer fielen. Von der übernächsten Generation hatten nur eine Tochter und ein Sohn überlebt. Die Tochter war so vernünftig, einen Yankee zu heira­ten. Er war zwar unbeliebt, brachte aber Geld und die für Neu­england typische Sparsamkeit mit. Der Bruder, dessen Kriegsverwundungen nie ganz heilten, arbeitete für den Ehemann seiner Schwester. Kein glückliches Abkommen, aber immer noch besser als verhungern. Das Stigma des Yankeebluts war durch den Zweiten Weltkrieg verblaßt, jedenfalls so weit, daß Mim gegen die Verwendung ihres väterlichen Familiennamens nichts einzuwenden hatte; allerdings stellte sie den Namen ihrer Mutter stets voran.