Mrs. Murphy kletterte vom Baum herunter und berichtete Tucker, daß nicht viel los sei. Sie drehten eine Runde um das Haus. Die Sträucher waren zurückgestutzt, der Garten gemulcht, die toten Zweige von den Bäumen geschnitten. Mrs. Murphy öffnete das Fliegengitter vor der Hintertür. Auf der Veranda davor standen zwei Regiestühle; eine Apfelsinenkiste diente als Tisch. Der alte schmiedeeiserne Fußabtreter in Form eines Dackels lag immer noch gleich links neben der Tür. Weder Katze noch Hund konnten sich hoch genug recken, um zum Hintertürfenster hineinzusehen.
»Laß uns in den Stall gehen«, schlug Tucker vor.
Der Stall - sechs Boxen und in der Mitte ein kleiner Wirtschaftsraum - hatte nichts Außergewöhnliches zu bieten. Die Böden in den Boxen sahen aus wie Mondkrater; sie mußten aufgefüllt und geebnet werden. Blair Bainbridge würde sich an dieser Arbeit die Zähne ausbeißen. Boxen festzustampfen war schlimmer, als mit Lehm und Steinstaub beladene Schubkarren zu schleppen. Überall hingen Spinnweben, ein paar Spinnen beendeten soeben ihre Wintervorbereitungen. Mäuse räumten mit den Körnern auf, die in der Futterkammer übriggeblieben waren. Mrs. Murphy bedauerte, daß sie nicht die Zeit hatte, mit ihnen Fangen zu spielen.
Sie verließen den Stall und inspizierten den Transporter und den Anhänger, beides nagelneu. Wer konnte sich gleichzeitig einen neuen Transporter und einen Anhänger leisten? Mr. Bainbridge lebte offensichtlich nicht von Sozialhilfe.
»Viel haben wir nicht herausbekommen«, seufzte Tucker. »Außer der Tatsache, daß er Geld hat.«
»Ein bißchen mehr wissen wir schon.« Mrs. Murphy spürte einen Biß in der Schulter. Sie duckte sich erbost.»Er ist unabhängig und schuftet schwer. Er will, daß der Besitz anständig aussieht, und er will Pferde. Und es ist keine Frau in der Nähe, es scheint in seinem Leben überhaupt keine zugeben.«
»Das kann man nie wissen.« Tucker schüttelte den Kopf.
»Da ist keine Frau. Sonst würden wir sie riechen.«
»Ja, aber wir können nicht wissen, ob nicht eine zu Besuch kommt. Vielleicht bringt er hier alles auf Vordermann, um ihr zu imponieren.«
»Nein. Ich kann 's nicht beweisen, aber ich spüre es. Er will allein sein. Er hört besinnliche Musik. Ich glaube, er befreit sich von jemand oder von etwas.«
Tucker fand, daß Mrs. Murphy voreilige Schlüsse zog, aber sie hielt den Mund, sonst hätte sie einen Vortrag über sich ergehen lassen müssen, wie mysteriös Katzen seien und daß Katzen Dinge wüßten, von denen Hunde nichts verstünden. Einfach zum Kotzen.
Auf dem Heimweg kamen die beiden am Friedhof vorbei. Der schmiedeeiserne Zaun, der das Gelände abgrenzte, war mit Lanzenspitzen gekrönt. Eine Seite war eingefallen.
»Laß uns reingehen.« Tucker lief hinüber.
Der Friedhof war fast zweihundert Jahre lang von Jones und MacGregors benutzt worden. Auf dem ältesten Grabstein war zu lesen CAPTAIN FRANCIS EGBERT JONES, GEBOREN 1730, GESTORBEN 1802. Einst hatte am Bach eine kleine Blockhütte gestanden, aber dann waren die Jones zunehmend wohlhabender geworden und hatten das Fachwerkhaus gebaut. Das Fundament der Blockhütte am Bach war noch erhalten. Auf den diversen Grabsteinen, kleinere für die Kinder, von denen zwei gleich nach dem Bürgerkrieg von Scharlach dahingerafft worden waren, waren Gravuren und Sprüche. Nach jenem entsetzlichen Krieg hatte eine Jones-Tochter, Estella Lynch Jones, einen MacGregor geheiratet, und so kam es, daß hier MacGregors begraben lagen, einschließlich der letzten Bewohner von Foxden.
Der Friedhof war seit Mrs. MacGregors Tod nicht mehr gepflegt worden. Ned Tucker, Susans Ehemann und der Verwalter des Anwesens, hatte die Felder an Mr. Stuart Tapscott verpachtet. Was er nutzte, mußte er unterhalten, und das tat er. Der Friedhof jedoch barg die sterblichen Überreste der Familien Jones und MacGregor, und für die Pflege waren deren Verwandte zuständig, nicht Mr. Tapscott. Der einzige Nachkomme, Reverend Herbert Jones, belastet mit kirchlichen Pflichten und einem schlimmen Rücken, war außerstande, das Gelände instand zu halten.
Es sah ganz so aus, als ob sich diese Dinge mit Blair Bainbridge ändern würden. Die umgekippten Grabsteine waren aufgerichtet, das Gras war gemäht, und neben Elizabeth MacGregors Grabstein war ein kleiner Kamelienstrauch gepflanzt. Es würde allerdings mehr als eine Person erfordern, den Eisenzaun aufzurichten und zu reparieren.
»Sieht aus, als hätte sich Mr. Bainbridge auch hier zu schaffen gemacht«, bemerkte Mrs. Murphy.
»Hier, das ist mein Lieblingsgrab.« Tucker blieb an der Gedenktafel für Colonel Ezekiel Abraham Jones stehen, geboren 1812 und gestorben 1861, gefallen in der ersten Schlacht bei Manassas. Die Inschrift lautete: LIEBER STEHEND STERBEN ALS KNIEND LEBEN. Ein passender Spruch für einen gefallenen Konföderierten, der für seine Überzeugung bezahlt hatte; in seiner unbeabsichtigten Parallele zum Unrecht der Sklaverei aber auch ein ironischer Spruch.
»Mir gefällt dieser hier.« Mrs. Murphy sprang auf einen viereckigen Grabstein mit einem eingemeißelten Engel, der Harfe spielte. Er zierte das Grab von Ezekiels Ehefrau Martha Selena, die ihren Mann um dreißig Jahre überlebt hatte. Die Inschrift lautete: SIE SPIELT MIT DEN ENGELN.
Die Tiere zogen nun nach Hause; keines erwähnte den kleinen Friedhof auf Harrys Farm. Nicht, daß die Grabstätte von Harrys Vorfahren nicht liebevoll und gut gepflegt wäre, aber da waren auch kleine Grabsteine für die geliebten Haustiere der Familie. Für Mrs. Murphy und Tucker war das eine ernüchternde Aussicht, an die sie lieber nicht erinnert wurden.
Sie schlüpften so leise ins Haus, wie sie es verlassen hatten, und beide Tiere taten ihr Bestes, um die Tür zuzuschieben. Es gelang ihnen nicht ganz, so daß die Küche kalt war, als Harry um halb sechs aufstand. Katze und Hund mußten sich eine Flut unanständiger Wörter anhören, die sie zum Kichern brachten. Die Entdeckung, daß der Haken der Fliegentür verbogen war, rief einen weiteren Schwall von Schimpfwörtern hervor. Harry vergaß dies alles, als die Sonne aufging und der Osthimmel pfirsichfarben, golden und rosa glühte.
Diese so außergewöhnlich schönen Oktobertage und -nächte sollten Harry und ihren Freundinnen aus der Tierwelt noch zu schaffen machen. Alles wirkte so vollkommen. Niemand ist im Angesicht der Schönheit auf Böses gefaßt.
3
»Nicht nur, daß er keine Angst hat, er ist einfach skrupellos.« Mrs. Hogendobbers Altstimme vibrierte, als sie diese bedeutungsvolle Geschichte erzählte. »Ich war total erschüttert, als ich erfuhr, daß Ben Seifert, der Zweigstellenleiter unserer hiesigen Bank, unlautere Geschäfte macht. Er wollte mich doch tatsächlich überreden, eine Hypothek auf mein Haus aufzunehmen, das voll und ganz bezahlt ist, Mr. Bainbridge. Er sagte, er sei überzeugt, es müßte renoviert werden.>Renoviert? Inwiefern?< habe ich gefragt, und er fragte, ob mich eine moderne Küche und eine Mikrowelle denn nicht begeistern würden. Ich will keine Mikrowelle. Man kriegt Krebs davon. Dann kam Cabby Hall, der Direktor, in die Bank, und ich bin schnurstracks hin zu ihm. Hab ihm alles erzählt, und er hat Ben zur Rede gestellt. Ich erzähle Ihnen das bloß, damit Sie sich vorsehen. Wir sind hier zwar in einer Kleinstadt, aber unsere Bankleute versuchen genauso Geld zu verkaufen wie die Jungs in den großen Städten, Mr. Bainbridge. Seien Sie auf der Hut!« Miranda mußte innehalten, um Atem zu holen.