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Harry wunderte sich, wo Mrs. Hogendobber blieb, die sonst immer übertrieben pünktlich war. Sich eine halbe Stunde zu verspäten, das paßte einfach nicht zu ihr. Die Postsäcke ver­stopften das Postamt, und Harry geriet in Rückstand. Norma­lerweise wäre Harry zu Miranda nach Hause gegangen. Weil aber Weihnachtszeit war, telefonierte sie herum. Niemand hatte Miranda gesehen.

Als die Hintertür aufging, überkam Harry eine Welle der Er­leichterung. Der Emotionsstrom kam augenblicklich zum Erlie­gen, als Mrs. Hogendobber ihr die Neuigkeit mitteilte.

Fünfzehn Minuten nach Mirandas Ankunft - eine halbe Stun­de bevor die Türen für den Publikumsverkehr geöffnet wurden - klopfte Rick Shaw an die Hintertür.

Er ging zwischen den Postsäcken hindurch zum Schalter, warf einen Blick auf das Bild von dem rekonstruierten Kopf. »Von wegen, hilfreich. Kein Pieps! Kein Hinweis! Null!« Er schlug mit der Hand auf den Schalter, worauf Mrs. Murphy aufsprang und Tucker zu bellen anfing.

»Schscht, Tucker«, gebot Harry dem Hund.

Rick schlug sein Notizbuch auf. »Mrs. Hogendobber, ich mochte Ihnen ein paar Fragen stellen. Nicht nötig, Mrs. Hall noch mehr aufzuregen.«

»Ich bin gerne behilflich.«

Rick sah Harry an. »Sie können ruhig dableiben. Sie wird Ih­nen sowieso alles erzählen, sobald ich draußen bin.« Er zückte seinen Bleistift. »Ist Ihnen an Cabell Halls Verhalten irgend etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

»Nein. Ich glaube, er ist überanstrengt, aber er war nicht ge­reizt oder so was.«

»Haben Sie eheliche Spannungen bemerkt?«

»Hören Sie mal, Rick, Sie wissen genau, daß Florence und Cabby eine vorbildliche Ehe führen. Kommen Sie mir nicht mit solchen Fragen.«

Rick klappte sein Notizbuch zu. Verärgerung, Enttäuschung und Erschöpfung prägten seine Gesichtszüge. Er sah alt aus heute morgen. »Verdammt, Miranda, ich tu, was ich kann!« Er riß sich zusammen. »Verzeihung. Ich bin völlig aufgelöst. Ich hab noch kein einziges Weihnachtsgeschenk für meine Frau und meine Kinder gekauft.«

»Kommen Sie, setzen Sie sich.« Harry lotste den genervten Mann an einen kleinen Tisch im Hintergrund. »Wir haben Kaf­fee von Miranda und ein paar Muffins.«

Er zögerte, dann zog er sich einen Stuhl heran. Mrs. Hogen­dobber schenkte ihm Kaffee ein, mit Milch und zwei Stück Zucker. Nach ein paar Schlucken ging es ihm etwas besser. »Ich möchte nicht unverschämt sein, aber ich muß alle Aspekte prü­fen, das wissen Sie.«

»Ja, das wissen wir.«

»Schön, dann sagen Sie mir, woher eine Ehefrau weiß, was ihr Mann tut, wenn sie schläft.«

Miranda leerte ebenfalls eine Tasse Kaffee. »Sie weiß es nicht. Mein George hätte nachts nach Richmond und zurück fahren können, ich habe so einen festen Schlaf, aber man weiß nun mal bestimmte Dinge über seinen Partner und über andere Leute. Cabell war Taxi treu. Sein Verschwinden hat nichts mit einer Affäre zu tun. Und woher sollen wir wissen, daß er den Brief aus freien Stücken geschrieben hat?«

»Wissen wir nicht«, bestätigte Rick. Danach blieb es lange still.

»Ich muß Ihnen was gestehen.« Harry schluckte und erzählte Rick von dem verbogenen Ohrring.

»Harry, ich könnte Ihnen den Hals umdrehen! Ich muß sofort los.«

»Wohin wollen Sie?« fragte Harry unschuldig.

»Was glauben Sie denn, Sie Schwachkopf? Zu Little Marilyn. Hoffentlich komme ich noch rechtzeitig, bevor sie den Ohrring nach New York schickt. Wenn Sie noch mal so einen Murks machen, zieh ich Ihnen das Fell über die Ohren! Verstanden?«

»Ja«, sagte eine kleinlaute Stimme.

Rick stürmte aus dem Postamt.

»Mann o Mann, ich glaube, bei dem bin ich unten durch«, flü­sterte Harry.

Rick öffnete die Tür und brüllte den beiden zu: »Ach ja, und daß Sie mir keine fremden Geschenke auspacken.« Er knallte die Tür wieder zu.

»Was soll das denn heißen?« Mrs. Hogendobber trat gegen einen Postsack. Sie bereute es im selben Augenblick; denn der Sack war prall und hart durch die viele Post.

»Er scheint Angst zu haben, daß in den Geschenken Sprengla­dungen versteckt sind.«

»Keine Bange, die wittern wir vorher«, versicherte Tucker.

Harry dachte, Tucker wollte mit ihrem leisen Bellen signali­sieren, daß sie nach draußen wollte. Sie öffnete die Hintertür, aber der Hund setzte sich hin und rührte sich nicht.

»Was ist bloß in sie gefahren?« wunderte sich Harry.

»Sie hat Sie dressiert«, erwiderte Mrs. Hogendobber.

»Ihr seid vielleicht dämlich«, knurrte Tucker.

»Wird nichts mit unserem Ausflug«, sagte Mrs. Murphy zu ih­rer Freundin»Guck mal.«

Tucker sah die Sturmwolken von den Bergen heranziehen.

Harry zog einen Postsack an die Rückseite der Schließfächer. Sie fing an zu sortieren, dann hielt sie inne. »Ich kann mich überhaupt nicht konzentrieren.«

»Ich weiß, aber lassen Sie uns unser Bestes versuchen.« Mi­randa warf einen Blick auf die alte hölzerne Wanduhr. »In einer Viertelstunde kommen die Leute. Vielleicht hat ja jemand eine Idee, was dieser ganze Irrsinn soll.«

Im Laufe des Tages strömten die Leute zum Postamt herein und hinaus, aber niemand hatte neue Ideen oder irgendeine Vermutung. Es dauerte bis zum Mittag, ehe die Nachricht von Cabells Verschwinden sich herumgesprochen hatte. Einige meinten, er sei der Mörder, andere vermuteten einen Nervenzu­sammenbruch. Nicht mal die Schneefälle und die Aussicht auf weiße Weihnachten, eine Seltenheit in Mittelvirginia, vermoch­te die Stimmung zu heben. Die Schlange der Angst nagte an den Nerven der Leute.

52

Der Morgen des 24. Dezember dämmerte silbergrau herauf. Der Schnee rieselte herab, bedeckte Büsche, Häuser und Autos, die bereits zu sanften, phantastischen Schemen verwischt waren. Die Radiosender unterbrachen ihr Programm mit Wettermel­dungen und spielten dann wieder>God Rest Ye Merry Gentle­men<. Alles war in eine märchenhafte Stille gehüllt.

Als Harry Tomahawk und Gin Fizz ins Freie brachte, blieben die Pferde lange stehen und starrten in den fallenden Schnee. Dann legte der betagte Gin los und tollte wie ein Fohlen durch den Schnee.

Es gab viel zu tun. Harry nahm Tucker auf den Arm, Mrs. Murphy schmiegte sich an ihren Hals. Sie stapfte durch den Schnee. An der hinteren Verandatür lehnte eine Schneeschaufel. Harry brachte die protestierenden Tiere ins Haus und machte sich dann an das beschwerliche Schaufeln. Wenn sie wartete, bis es zu schneien aufhörte, würde die Schneemenge sich ver­doppelt haben. Lieber in Abständen schaufeln als alles später anpacken, denn der Wetterbericht verkündete noch einmal einen halben Meter Schnee. Der Weg zum Stall schien ihr anderthalb Kilometer lang. In Wirklichkeit waren es ungefähr hundert Me­ter.

»Laß mich raus, laß mich raus«, kläffte Tucker.

Mrs. Murphy saß im Küchenfenster.»Komm schon, Mom, wir können die Kälte vertragen.«

Harry gab nach, und sie flitzten auf den Weg, den sie freige­schaufelt hatte. Dann versuchten die Tiere, sich abseits des We­ges zu bewegen, was zu komisch war. Mrs. Murphy sank so tief ein, daß sie, als sie aufsprang und vorwärts hüpfte, ein Schnee­mützchen auf ihrem gestreiften Kopf hatte. Tucker wälzte vor­aus wie ein Schneepflug. Sie hatte bald genug davon und be­schloß, hinter Harry zu bleiben. Der zur Seite geschaufelte und aufgetürmte Schnee knirschte unter ihren Pfoten.

Mrs. Murphy schoß hervor und rief:»Würstchen, Würstchen, Tucker ist ein Würstchen!« »Du hältst dich wohl für besonders schlau, häh?« murrte Tu­cker.

Jetzt schlug die Tigerkatze Purzelbäume, wobei sie Schnee­klumpen aufwarf. Sie schlug nach den kleinen Bällen, dann jagte sie ihnen nach. Im Hochspringen warf sie sie mit den Pfo­ten in die Luft. Ihre Energie ermüdete Tucker, aber Harry brachte sie zum Lachen.