»Bitte nennen Sie mich doch Blair.«
»Und als Krönung des Ganzen kam dann der Chorleiter von meiner Kirche in die Bank marschiert, um mir mitzuteilen, daß er glaube, Boom Boom Craycroft hätte Fair Haristeen gebeten, sie zu heiraten, oder vielleicht war's auch andersrum.«
»Er kriegt sie vielleicht auch anders rum.« Blair lächelte. Seine strahlend weißen Zähne ließen ihn noch attraktiver wirken.
»Ja, genau. Wie sich herausstellte, hatte es gar keinen Heiratsantrag gegeben.« Mrs. Hogendobber faltete die Hände. Sie ließ sich nicht gern bei ihren Geschichten unterbrechen, aber sie erblühte unter Blair Bainbridges Aufmerksamkeit - und ihr war doppelter Genuß beschieden, denn Susan Tucker und Harry konnten sehen, daß Blair seinen schwarzen Transporter vor Mrs. Hogendobbers Haus geparkt hatte. Natürlich würde sie mit ihm durch ihren Garten spazieren, ihn mit Tips überschütten, wie man zu gigantischen Kürbissen kam, und ihn dann mit den Gaben ihres gärtnerischen Könnens beglücken. Sie könnte dabei vielleicht sogar etwas über ihn herausbekommen. Vor einiger Zeit hatte sich Mrs. Hogendobber bei Ned Tucker ein paar Nummern desNew York Magazine geliehen, wegen der Kreuzworträtsel. Nachdem sie Blair neulich kennengelernt hatte, war ihr eingefallen, weshalb ihr sein Name bekannt vorgekommen war: Sie hatte in einer der Zeitschriften etwas über ihn gelesen. Es war ein Artikel über eine Romanze in der Modebranche. Als Blair sich ihr vorstellte, konnte sie sich nur vage an die Geschichte erinnern. Sie hoffte, heute mehr über seine unglückliche Liebe zu einem schönen Model namens Robin Mangione herauszufinden, um die es in jenem Artikel gegangen war.
Die Türglocke läutete und machte ihr Vorhaben zunichte. Mrs. Hogendobber öffnete, und Reverend Herbert Jones marschierte durch die Tür.
Dies ließ gleichsam die Milch in ihrem hervorragenden Kaffee gerinnen. Mrs. Hogendobber wähnte sich im Wettstreit mit allen konkurrierenden Verkündern des Christentums. Der ehrwürdige Reverend Jones war Pastor der lutheranischen Kirche. Seine Gemeinde, größer als die ihre in der Kirche zum Heiligen Licht, spornte ihre Bekehrungsbemühungen nur um so mehr an. Die Kirche hatte früher Heiliglichtkirche geheißen, aber vor zwei Monaten hatte Miranda den Priester und die Gemeinde bewogen, sie in Kirche zum Heiligen Licht umzutaufen. Ihre Gründe, wenngleich stichhaltig, waren weniger überzeugend als ihr entnervender Enthusiasmus, daher der Namenswechsel.
Reverend Jones bekam eine Tasse Kaffee und frische Hörnchen serviert, und zu dritt setzten sie die Unterhaltung fort.
»Mr. Bainbridge, ich möchte Sie in unserer kleinen Gemeinde willkommen heißen und Ihnen danken für die Instandsetzung meines Familienfriedhofs. Wegen Bandscheibenbeschwerden war ich nicht in der Lage, meinen Verpflichtungen gegenüber meinen Vorfahren so nachzukommen, wie sie es verdienen.«
»Es war mir ein Vergnügen, Reverend.«
»Nun, Herbie.« - Miranda verfiel in einen vertraulichen Ton - , »Sie können Mr. Bainbridge nicht in den Schoß Ihrer Kirche locken, bevor ich Gelegenheit hatte, ihm von unserer Kirche zum Heiligen Licht zu erzählen.«
Blair guckte auf sein Hörnchen. Mrs. Hogendobbers Worten schien eine Schwefelwolke zu entschweben.
»Der junge Mann wird seinen Weg finden. Alle Wege führen zu Gott, Miranda.«
»Versuchen Sie nur nicht, mich mit Ihrer Toleranz abzulenken«, fauchte sie.
Reverend Jones steckte den Seitenhieb ein. »Das würde ich nie tun.«
»Ich weiß Ihre Besorgnis um meine Seele zu schätzen.« Blairs Bantonstimme schmeichelte Mrs. Hogendobbers Ohren. »Aber ich muß Sie leider beide enttäuschen. Ich bin nämlich katholisch, und wenn ich auch nicht sagen kann, daß ich meinen Glauben so überzeugt ausübe, wie der Papst es wünschen würde - immerhin gehe ich doch gelegentlich zur Messe.«
Der Reverend legte sein Hörnchen hin. Es triefte vor Orangenmarmelade, die Mrs. Hogendobbers geschickte Hände gekocht hatten. »Ein Lutheraner ist nichts anderes als ein Katholik ohne Weihrauch.«
Das brachte Blair und seine Gastgeberin zum Lachen. Der Reverend ließ das Dogma niemals zwischenmenschlicher Zuneigung im Weg stehen, und mitten in dunkler Nacht konnte auch er bei der Starrheit der Lehre oft wenig Trost finden. Reverend Jones war ein aufrechter Hirte seiner Herde. Sollten sich die Intellektuellen Gedanken machen um Wandlung und jungfräuliche Geburt - er hatte Babys zu taufen, Paare zu beraten, Kranken beizustehen und Begräbnisse zu vollziehen. Letztere Aufgabe haßte er besonders, aber er betete im stillen, daß die Seelen seiner Herde in den Himmel kämen, selbst die der erbärmlichsten Tröpfe.
»Reverend, darf ich fragen, woher Sie wissen, daß der Friedhof gemäht ist?« wunderte sich Blair.
»Harry hat es mir heute morgen auf dem Weg zum Dienst erzählt. Ihr Hund ist hingeflitzt, sagte sie, als sie draußen zu tun hatte, und sie hat das Tier auf dem Friedhof eingefangen.«
»Sie geht zu Fuß zur Arbeit?« Blair war fassungslos. »Das müssen mindestens drei Kilometer sein. Für eine Strecke.«
»O ja. Sie liebt die Bewegung. Wenn sie zum Postamt kommt, hat sie schon gut zwei, drei Stunden auf der Farm gearbeitet. Die geborene Farmerin, unsere Harry. Sie hat es in den Knochen. Sie wird Ihnen eine gute Nachbarin sein.«
»Das erinnert mich daran, daß Sie Ihren Besitz in Yellow Mountain Farm umbenannt haben.« Mrs. Hogendobber war auf eine weitschweifende Begründung gefaßt.
»Er liegt am Fuß des Yellow Mountain, und da habe ich natürlich...«
Sie unterbrach ihn. »Er heißt seit Beginn des 18. Jahrhunderts Foxden, und ich muß mich sehr wundern, daß Jane Fogleman Sie nicht aufgeklärt hat, wo sie doch eigentlich eine Fontäne der Informationen ist.«
Der Reverend hielt sich diesmal klugerweise zurück, obwohl das betreffende Stück Land einst seinen Vorfahren gehört hatte. Er besaß weder das Geld, es zu kaufen, noch die Neigung, es zu bebauen, und so fand er, daß er kaum das Recht hatte, dem Mann zu sagen, wie er seine neue Errungenschaft nennen sollte.
»So lange?« Blair überlegte einen Moment. »Kann sein, daß Jane es erwähnt hat.«
»Haben Sie Ihren Vertrag gelesen?« fragte Mrs. Hogendobber.
»Nein, das habe ich den Anwälten überlassen. Dafür habe ich mich bemüht, auf dem Grundstück ein bißchen zu roden.«
»Hartriegel«, sagte der Reverend ruhig, während er das nächste Hörnchen vertilgte.
»Heißt das Zeug so?«
»Klingt nicht gerade vornehm, ich weiß.« Herbie lachte.
»Herbert, Sie lenken vorsätzlich vom Thema ab. Ich führe dieses Gespräch im Auftrag der Historischen Gesellschaft von Groß-Crozet.«
»Mrs. Hogendobber, wenn Ihnen und der Historischen Gesellschaft so viel daran liegt, werde ich den Namen Foxden selbstverständlich beibehalten.«
»Oh.« Mrs. Hogendobber hatte nicht mit einem so leichten Sieg gerechnet. Sie war regelrecht enttäuscht.
Reverend Jones kicherte vor sich hin: Die Historische Gesellschaft von Crozet verwandle sich manchmal in eine hysterische Gesellschaft, aber er sei froh, daß die alte Farm ihren Namen behalten würde.
Die beiden Herren erhoben sich, denn sie wollten gehen, und Miranda vergaß, Blair einen Kürbis zu schenken, einen von den weniger gelungenen, weil sie den Riesenkürbis für die Ernteausstellung zurückbehielt.
Blair begleitete Reverend Jones zu seiner Kirche. Dann verabschiedete er sich von ihm, kehrte um und ging zum Postamt. Er überholte einen Landstreicher in alten Jeans und einer Baseballjacke, der an den Bahngleisen entlangging. Der Mann schien alterslos, er hätte dreißig oder fünfzig sein können. Blair erschrak. Mit so etwas hätte er in Crozet nicht gerechnet.
Als Blair die Tür zum Postamt aufstieß, sauste Tucker heraus, um ihn zu begrüßen. Mrs. Murphy hingegen zögerte mit ihrem Urteil. Hunde brauchten dermaßen viel Beachtung und Zuwendung, daß sie sich nach Mrs. Murphys Einschätzung viel leichter reinlegen ließen als eine Katze. Hätte sie aber eine Minute nachgedacht, hätte sie zugeben müssen, daß sie ihrer besten Freundin unrecht tat. Tuckers Instinkt für Menschen traf meistens ins Schwarze. Mrs. Murphy gestattete sich ein Rekeln auf dem Schalter, und Blair ging zu ihr und kraulte ihr die Ohren.