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Sie erreichte Rick über sein Funktelefon. Er zeigte großes In­teresse für alles, was sie in Erfahrung gebracht hatte. Er verab­redete sich mit ihr vor Fitz-Gilbert Hamiltons Haus. Sie solle einen Durchsuchungsbefehl mitbringen, sagte er.

63

Die blaß orangefarbene Sonne ging unter, und die Temperatur sank auf minus fünf Grad. Als Venus über dem Horizont auf­stieg, wirkte sie in der schneidenden Nachtluft größer als sonst. Intensiv orangerote Konturen umrahmten die Gipfel der Blue Ridge Mountains und verwandelten den Tiefschnee in goldene Wellen. Der Schnee lag so hoch, daß sogar der Ginster zuge­deckt war. Eine dünne Eiskruste überzog die Schneedecke.

Es war unmöglich, Orlando eine Rundfahrt durch ganz Crozet zu bieten, weil viele Nebenstraßen nicht geräumt waren. Blair bat seinen Freund um Nachsicht, als er nachmittags um zehn nach fünf in Harrys Zufahrt einbog. Er hatte ihr einen runden schwarzen Enteiser für den Wassertrog besorgt und fand, daß heute der richtige Abend war, um das Gerät anzuprobieren. Paul Summers im Southern-States-Laden hatte gesagt, wenn es nicht funktioniere, könne er es zurückbringen und bekäme sein Geld erstattet.

»Ich kann mich nicht erinnern, daß du ein Landleben-Typ warst.« Orlando hielt sich an der Handschlaufe fest, als der Wagen langsam über die Zufahrt ruckelte. »Ehrlich gesagt, ich kann mich nicht erinnern, daß du jemals vor elf aufgestanden wärst.«

»Die Zeiten ändern sich, und die Menschen ändern sich mit ihnen.« Blair lächelte.

Orlando lachte. »Hat nicht zufällig was mit der Posthalterin zu tun, oder?«

»Hmm«, lautete Blairs Kommentar.

Orlando wurde einen Moment ernst. »Es geht mich ja nichts an, aber sie scheint wirklich ein guter Mensch zu sein, und sie sieht nett aus. So frisch. Und nach allem, was du durchgemacht hast, verdienst du alles Glück, das du finden kannst.«

»Ich habe Robin geliebt, aber ich konnte mich ja auch immer vor ihr zurückziehen. Weißt du, wenn wir geheiratet hätten, ich glaube, es hätte nicht gehalten. Wir haben ziemlich oberfläch­lich gelebt.«

Orlando seufzte. »Ich schätze, das tu ich auch. Aber guck dir meine Branche an. Wenn du die Kunden mit dem großen Geld willst, mußt du ihnen um den Bart gehen. Ich beneide dich.«

»Warum?«

»Weil du den Mut zum Aussteigen hattest.«

»Von Zeit zu Zeit mache ich ja noch Aufnahmen, zumindest bis ich zu verknittert bin oder mich niemand mehr haben will. Du hast es schlauer angestellt als ich. Du hast dir einen Beruf ausgesucht, wo das Alter keine Rolle spielt.«

Orlando lächelte, als das Schindelhaus und der Stall in Sicht kamen. »Klare Linien.«

»Sie hat wenig Sinn für Dekoratives, also halt dich zurück, okay? Ich meine, sie ist nicht blöd oder was, aber sie hat wirk­lich kein Geld, deswegen kann sie nicht viel machen.«

»Verstehe vollkommen.«

Sie hielten vor der Scheune an und stiegen aus. Harry war ge­rade dabei, die Pferdeboxen auszumisten. Ihre Winterstiefel gaben Zeugnis von ihrer Beschäftigung. Die Türen der Boxen standen offen, während Harry die verbrauchte Streu in den Schubkarren warf. Am Ende des Ganges stand ein zweiter Schubkarren mit süß duftender Streu. Auch die Tür zur Sattel­kammer war offen. Tucker begrüßte die Männer, und Mrs. Murphy steckte den Kopf durch die Heubodenluke. Ein verirrter Strohhalm hing an ihren Schnurrhaaren. Als Harry die zwei Männer sah, winkte sie und rief »Hola!« Orlando fand das lu­stig.

»Wer ist das?« fragte Simon.

»Blair und sein Freund Orlando.«

»Sie wird sie doch nicht hier raufbringen, oder?« Das Opos­sum ging ängstlich auf und ab.»Einmal hat sie Susan mitge­bracht, das fand ich gar nicht in Ordnung.«

»Das war wegen dem Ohrring. Ein Sonderfall. Sie werden nicht die Leiter raufklettern. Der eine ist viel zu gut angezo­gen.«

»Ruhe da unten. « Die Eule plusterte sich auf, drehte sich um und setzte sich wieder zurecht, erhaben über ihrer aller Unzu­länglichkeiten.

Unten bewunderte Orlando die Architektur der Scheune. Sie war Ende der 1880er Jahre gebaut worden; die massiven Balken würden noch jahrhundertelang als Stützen dienen.

Tucker bellte:»Da kommt wer.«

Ein weißer Range Rover hielt neben Blairs Explorer. Fitz­Gilbert Hamilton öffnete die Tür und eilte in die Scheune.

»Orlando, ich habe dich bei Blair gesucht, und dann habe ich mir schon gedacht, daß ihr hier sein könntet.«

»Fitz, bist du es wirklich?« Orlando blinzelte. »Du siehst verändert aus.«

»Dicker, älter. Ein paar Haare weniger.« Fitz lachte. »Du siehst noch genauso aus, nur besser. Erstaunlich, was die Jahre mit den Menschen anstellen - innerlich und äußerlich.«

Während die zwei Männer sich die Hände schüttelten, be­merkte Harry in Fitz' Fliegerjacke auf Brusthöhe eine Ausbuch­tung. Es war keine gewöhnliche Fliegerjacke - sie war mit Gän­sedaunen gefüttert, so daß sie Fitz warm hielt und er gleichzei­tig flott aussah.

Tucker hob die Nase und schnupperte.»Murphy, Murphy!«

»Was?«

»Fitz riecht nach Angst.«

Mrs. Murphy witterte. Menschen, die Angst hatten, verström­ten einen kräftigen, beißenden Geruch. Dieser Geruch war un­verkennbar, so stark, daß sogar Menschen mit einer - für ihre Verhältnisse - guten Nase ihn wahrnehmen konnten, wenn sie erst einmal gelernt hatten, ihn zu erkennen.»Du hast recht, Tucker.«

»Da stimmt was nicht«, bellte Tucker.

Harry bückte sich und tätschelte der Corgihündin den Kopf. »Ruhig, Kleine.«

Mrs. Murphy rief hinunter.»Vielleicht hat er wieder eine Lei­che gefunden.« Sie stockte. Wenn er eine Leiche gefunden hat­te, hätte er es gleich gesagt.»Tucker, stell dich hinter ihn.«

Der kleine Hund schlich sich hinter Fitz, der sich munter mit Orlando, Blair und Harry unterhielt. Dann wechselte er die Tonart. »Wie bist du auf die Idee gekommen, daß der Mann auf dem Bild Tommy Norton ist?«

Orlando legte den Kopf schief. »Sah für mich eindeutig so aus. Wieso hast du ihn bloß nicht erkannt?«

Fitz zog den Reißverschluß seiner Jacke auf und holte eine tödliche, schimmernde .45er hervor. »Ich hab ihn sehr wohl erkannt. Ihr drei stellt euch jetzt da drüben an die Wand. Ich hab keine Zeit für lange Abschiedszeremonien. Ich muß auf die Bank und zum Flugplatz, bevor Rick Shaw merkt, daß ich hier draußen bin, und ich will verdammt sein, wenn ihr mir die Sa­che verpatzt, also.«

Während Orlando noch verwundert dastand, grub Tucker ihre Zähne bis zum Zahnfleisch in Fitz' Bein. Er kreischte und dreh­te sich herum, aber der zähe Hund ließ nicht locker. Die Men­schen stoben auseinander. Harry rannte in eine Box, Orlando verschwand in der Sattelkammer und machte die Tür zu, und Blair stürzte zum Wandtelefon im Gang, aber Fitz faßte sich und feuerte.

Blair stöhnte und taumelte in Gins Box.

»Alles in Ordnung mit Ihnen?« rief Harry. Sie hatte nicht ge­sehen, ob Blair getroffen worden war.

»Ja«, sagte der verdatterte Blair mit zusammengebissenen Zähnen. Wenn man von einer Kugel getroffen wird, ist die Wucht genauso schmerzhaft wie das Eindringen des Bleis ins Fleisch. Blairs Schulter pulsierte und brannte.

Tucker ließ Fitz' Bein los und sauste zum Scheunentor, wäh­rend Kugeln hinter ihr herflogen. Sobald sie sich aus der Scheune gezwängt hatte, schlich sie seitlich an dem Gebäude entlang. Tucker wußte nicht, was sie tun sollte.

Mrs. Murphy, die vom Heuboden heruntergespäht hatte, rann­te an die Seitenwand und lugte durch eine Ritze in den Brettern. »Tucker, Tucker, dir ist doch nichts passiert?«