»Nein.« Tuckers Stimme war kehlig und rauh.»Wir müssen Mutter retten.«
»Sieh zu, ob du Tomahawk und Gin Fizz zur Scheune holen kannst.«
»Ich werd's versuchen.« Die Corgihündin rannte zur Weide.
Zum Glück hatte der Frost die Schneedecke gefestigt, so daß Tucker auf der Oberfläche laufen konnte. Ein paarmal sank sie in das Pulver ein, aber sie rappelte sich wieder hoch.
Simon saß neben Mrs. Murphy und zitterte ängstlich.
Unten schlich Fitz zu den Boxen. Die Katze spähte wieder hinunter. Sie sah, daß er gleich unter der Leiter sein würde.
Harry rief: »Fitz, warum haben Sie die Leute ermordet?« Sie versuchte Zeit zu gewinnen.
Mrs. Murphy hoffte, ihre Mutter könnte ihn hinhalten, denn sie hatte eine rettende Idee.
»Ben war unersättlich, Harry. Er wollte immer mehr.«
Während Fitz sprach, rückte Orlando, flach gegen die Wand gedrückt, näher zur Sattelkammertür.
»Warum haben Sie ihm überhaupt was bezahlt?«
»Tja nun, das ist eine lange Geschichte.« Er ging einen Schritt näher zur Heubodenluke.
Die keuchende Tucker erreichte Tomahawk zuerst.»Komm in die Scheune, Tommy. Da drin ist die Hölle los. Fitz-Gilbert will Mom umbringen.«
Tomahawk schnaubte, rief nach Gin, und sie stürmten zur Scheune. Tucker folgte ihnen, so gut sie konnte.
Drinnen hörte die Tigerkatze den Hufschlag. Die Pferdeweide lag an der Westseite der Scheune. Mrs. Murphy sprang über Heuballen und rief durch eine Ritze in der Seitenwand:»Könnt ihr über den Zaun springen?«
Gin antwortete:»Mit unseren Außendecken geht das in dem vielen Schnee nicht.«
Simon rang seine rosa Pfoten.»Oh, es ist furchtbar.«
»Dann zertrümmert den Zaun. Macht soviel Lärm, wie ihr könnt, aber sammelt euch zuerst und zählt bis zehn.« Tucker holte die Pferde ein.»Tucker«, rief Mrs. Murphy,»hilf ihnen bis zehn zu zählen. Geht's? Langsam.« Sie drehte sich um und rief Simon über die Schulter zu:»Hilf mir, Simon.«
Das graue Opossum huschte, so flink es konnte, über Timotheusheu und Luzerne zu Mrs. Murphy an der Südseite der Scheune. Überall flog Heu herum, als die Katze mit den Krallen an einem Ballen zerrte.
»Was machst du da?«
»Ich hol die Kletternatter. Sie ist im Winterschlaf und wird sich nicht um uns ringeln und zischen und beißen.«
»Aber sie wird aufwachen!« Simon hob die Stimme.
»Darüber mach dir später Gedanken. Komm, hilf mir, sie hier rauszukriegen.«
Simon wich zurück.»Ich faß sie nicht an!«
In diesem Moment sehnte sich Mrs. Murphy nach ihrer Corgi- Freundin. Auch wenn Tucker in Mrs. Murphys Gegenwart noch so oft griente und greinte, sie hatte die Tapferkeit eines Kriegers. Tucker hätte die Schlange ohne zu zögern gepackt.
»Harry hat so gut für dich gesorgt«, flehte die Katze.
Simon schnitt eine Grimasse.»Uff!« Er haßte die Schlange.
»Simon, wir dürfen keine Minute verlieren!« Mrs. Murphys Pupillen waren so groß, daß Simon die herrliche Farbe ihrer Iris kaum sehen konnte.
Ein dumpfer, erstickter Laut über ihnen erschreckte sie. Die Eule ließ sich auf dem Heuballen nieder. Draußen konnte man die Pferde einen weiten Kreis beschreiben hören. In wenigen Sekunden würden sie den Bretterzaun bei der Scheune in Stücke schlagen. Die Eule befahl mit ihrer tiefen, opernhaften Stimme.»Geht zur Leiter, ihr zwei. Beeilt euch!«
Luzernenfetzen wehten in die Luft, als Mrs. Murphy zur Luke wetzte. Simon, der nicht so flink auf den Beinen war, folgte ihr. Die Eule hüpfte herunter und schloß ihre mächtigen Klauen um die schlafende, 1,20 Meter lange Schlange. Dann breitete sie die Flügel aus und erhob sich in die Luft.
Die schwere Schlange behinderte sie stärker, als sie erwartet hatte. Ihre kräftigen Brustmuskeln trugen sie, und ruhig glitt sie zu der Stelle, wo die Katze und das Opossum warteten. Sie ließ die Flügel zum Landen ausgebreitet, schlug sie einmal, um zu steuern, und landete dann sanft neben Mrs. Murphy. Sie legte der Katze die benommene Schlange vor die Pfoten, öffnete dann ihre Flügel zu voller Spannweite und entschwebte aufwärts in ihren Horst. Mrs. Murphy hatte keine Zeit, ihr zu danken. Draußen splitterte Holz, sie hörte Wiehern und gedämpften Hufschlag im Schnee und wußte, daß sie handeln mußte. Tucker bellte, was ihre Lungen hergaben.
»Faß das Ende, das bei dir liegt.« befahl Mrs. Murphy Simon streng. Er tat wie geheißen. Er hatte jetzt mehr Angst vor Mrs. Murphy als vor der Schlange.
Fitz, durch den Tumult draußen einen Moment abgelenkt, drehte seinen Kopf in Richtung des Lärms. Er war nahe an der Heubodenluke. Die Katze, den vorderen Teil der schweren Schlange im Maul, während Simon das Schwanzende hielt, warf Fitz die Schlange auf die Schultern. Inzwischen war die Schlange wach genug, um sich für einen Moment um seinen Hals zu ringeln. Sie versuchte verzweifelt, sich zurechtzufinden, und Fitz kreischte, was das Zeug hielt.
Währenddessen ließ sich Mrs. Murphy von der Heubodenluke fallen und landete auf Fitz' Rücken.
»Tu's nicht!« schrie Simon.
Der Katze blieb keine Zeit zu einer Antwort. Sie rangelte mit der Schlange unter ihr, während Fitz brüllte und versuchte, sich von seinen Peinigerinnen zu befreien. Mrs. Murphy zerfetzte ihm mit ihren Krallet gnadenlos das Gesicht. Während sie Fitz zerfleischte, sah sie aus dem Augenwinkel Blair aus der Box sausen.
»Orlando!« rief Blair.
Kaum hatte er nach seinem Freund gebrüllt, als Harry, die ihren Winterparka ausgezogen hatte, wie der Blitz aus Tomahawks Box geschossen kam.
Mrs. Murphy krallte nach Fitz' rechtem Auge.
Er gab gerade einen Schuß in die Luft ab, als die Katze ihn blendete. Instinktiv hielt er sich die rechte Hand, die die Waffe hielt, vor das verletzte Auge, und im selben Moment trat Harry ihn gegen die Knie. Mit einem »Umpf« ging er zu Boden. Die Schlange landete mit ihm auf der Erde. Mrs. Murphy sprang erlöst ab. Tucker zwängte sich wieder in die Scheune.
»Nimm dir seine rechte Hand vor!« kreischte Mrs. Murphy.
Tucker raste zu dem um sich schlagenden Mann. Fitz versetzte Harry einen Tritt, und sie taumelte mit einem Plumps gegen die Wand. Blair mühte sich ab, Fitz unten zu halten, aber sein einer Arm baumelte nutzlos herunter. Orlando schlich aus der Sattelkammer, überblickte die Situation, schluckte fest und stürzte sich ebenfalls in den Kampf.
»Herrgott!« brüllte Fitz, als der Hund ihm das Handgelenk durchbiß und ein paar Knöchelchen zerkleinerte. Seine Finger ließen die Pistole los.
»Greifen Sie die Pistole!« Blair knallte Fitz seine gesunde Faust in die Magengrube. Wäre die Daunenjacke nicht gewesen, Fitz hätte gestöhnt.
Harry robbte auf dem Bauch über den Gang zu der Pistole. Sie packte sie, während Fitz Blair in die Leisten trat. Orlando hing wie eine Zecke auf seinem Rücken. Fitz hatte die Kräfte eines Wahnsinnigen oder einer in die Enge getriebenen Ratte. Er stürmte rückwärts und quetschte Orlando an die Wand. Tucker biß ihn unaufhörlich in die Hacken.
Fitz drehte sich um und sah Harry, die die Pistole auf ihn richtete. Blut und klare Flüssigkeit strömten aus seinem blinden rechten Auge. Er bewegte sich auf Harry zu.
»Das trauen Sie sich nicht, Mary Minor Haristeen.«