»Stimmt«, bekam er kurz und bündig zur Antwort.
»Die sind nicht so individuell wie Schreibmaschinen. Cabell wurde langsam nervös, und da sind wir auf die Idee mit den Postkarten gekommen. Er meinte, das würde den Verdacht noch mehr auf Blair lenken, weil er keine Karte bekam. Obwohl damals kaum jemand wirklich glaubte, daß Blair die Morde begangen hatte. Cabell wollte die Masche mit dem schuldigen Neuankömmling inszenieren und Sie von der Spur ablenken. Obwohl ich mir wegen der Spur keine Sorgen gemacht habe. Ihr wart alle so weit von der Wahrheit entfernt, aber Cabell wurde unruhig. Ich hab's zum Vergnügen getan. Es war lustig, an einer Schnur zu ziehen und euch hüpfen zu sehen. Und dann der Klatschbetrieb.« Er lachte wieder »Verquer - ihr Leute seid absolut verquer. Die einen denken an Rache. Die anderen denken an Dämonenkult. Ich habe bei dieser Geschichte mehr über Menschen erfahren als jeder Psychiater.«
»Was haben Sie erfahren?« Harrys rechte Augenbraue wölbte sich aufwärts.
»Vielleicht habe ich nur die Bestätigung dafür gefunden, was ich schon wußte.« Der Krankenwagen bog in die Zufahrt ein. »Die Leute sind so verdammt egozentrisch, daß sie kaum etwas sehen, wie es wirklich ist, weil sie ständig alles auf sich beziehen. Deswegen sind sie so leicht zu täuschen. Denken Sie mal darüber nach.« Und damit verließen ihn die Kräfte. Er konnte den Kopf nicht mehr aufrecht halten. Die Schmerzen besiegten am Ende auch seine beachtliche Willenskraft.
Als der Krankenwagen Tommy Norton abtransportierte, wußte Harry, daß sie die nächsten Jahre damit verbringen würde, darüber nachzudenken.
64
Das Feuer knisterte, die Flammen loderten in den Schornstein empor. Draußen zog der vierte Sturm dieses denkwürdigen Winters zu den Berggipfeln hinauf.
Blair, den Arm in der Schlinge, Harry, Orlando, Mrs. Hogendobber, Susan und Ned, Cynthia Cooper, Market und Pewter, Reverend Jones und Carol hatten sich am Kamin versammelt.
Während Blair im Krankenhaus lag und über sich ergehen ließ, wie mit einer Sonde nach der Kugel gesucht wurde, hatte Cynthia bei Susan und Miranda angerufen, um ihnen zu berichten, was vorgefallen war, und sie aufzufordern, zu Harry zu kommen und etwas zum Essen mitzubringen. Dann schickte sie einen Beamten zu Florence Hall, er sollte ihr die Komplizenschaft ihres Mannes so schonend wie möglich beibringen. Die Leute von der Bundespolizei würden Cabell vielleicht heute nacht nicht finden, aber wenn der Sturm vorbei wäre, würden sie ihn aus seinem Bau scheuchen.
Harry war dem Krankenwagen in Blairs Explorer gefolgt. Orlando war auf der Farm geblieben und hatte Nudeln gekocht, während die Freunde nach und nach eintrafen Morgen würde er Zeit haben, sich mit Boom Boom zu treffen.
Rick organisierte Wächter für Norton, während die Ärzte ihn zusammenflickten. Rick und Cynthia erzählten sodann den Reportern und Fernsehteams genüßlich, wie sie diesen gefährlichen Verbrecher dingfest gemacht hatten. Anschließend entließ Rick Cynthia zu ihren Freunden.
Während die Frauen das Essen richteten, erklärte sich Reverend Jones zum männlichen Chauvinisten und ging nach draußen, um den Zaun zu reparieren. Sein Verständnis von männlichem Chauvinismus äußerte sich darin, daß er die Arbeiten übernahm, die er für schwer und schmutzig hielt, was dazu führte, daß die Frauen ihn hinter seinem Rücken »Chauvinistenmieze« nannten. Market ging ihm zur Hand, und in einer Dreiviertelstunde hatten sie die Latten erneuert und die Verwüstung beseitigt. Dann nahmen sie sich der Pferde an. Glücklicherweise hatten die Decken mögliche Verletzungen abgefangen. Tomahawk und Gin Fizz waren unversehrt und warteten bei geöffneten Türen geduldig in ihren Boxen - in der Eile, Blair und Tommy ins Krankenhaus zu schaffen, hatte niemand daran gedacht, die Pferde in ihre Boxen zu bringen und die Türen zu schließen.
Auf dem Fußboden sitzend, die Teller auf dem Schoß, versuchte die Schar der Freunde zu ergründen, wie so etwas hatte geschehen können. Mrs. Murphy, Pewter und Tucker umkreisten wie Haie die sitzenden Menschen; vielleicht würde ja mal ein Krümel von einem Teller fallen.
Blair spießte eine Gabel scharfen Hühnersalat auf. »Was war mit den Spuren hinter meinem Haus?«
Cynthia sagte. »Wir haben in Fitz' - ich meine Tommy Nortons - Range Rover Schneeschuhe gefunden. Er hat den Ohrring dort hinten verloren. Ein Mißgeschick, für das er nichts konnte, und wegen des Ohrrings ist er erst richtig nervös geworden, nachdem der echte Fitz ihm zuvor schon einen Schock versetzt hatte. Jedenfalls, er wollte ausprobieren, wie schnell er im Schnee wieder herkommen könnte, wenn er müßte, falls Sie oder Orlando Schwierigkeiten machten, womit zu rechnen war. Ich denke, er hat einen Probelauf gemacht, oder er hoffte, Sie abzufangen, bevor Orlando herkam. Er muß ganz schön zappelig geworden sein, als er hörte, daß Orlando zu Besuch kommen würde. Das zu verhindern hätte jedes Risiko gelohnt.«
»Was glaubte er denn, was ich tun würde?« fragte Orlando.
»Das wußte er nicht genau. Bedenken Sie, sein ganzes Leben, der Plan vieler Jahre, war gefährdet, als der echte Fitz auftauchte. Ben Seifert nutzte das aus, um mehr Geld von ihm zu erpressen. Er wurde langsam nervös. Wenn Sie nun etwas gemerkt hätten? So unwahrscheinlich Ihnen das vorkommen mag, für ihn war es durchaus nicht unwahrscheinlich. Das Unmögliche war möglich geworden«, erklärte Cynthia. »Wie sich zeigte, haben Sie dann ja auch wirklich Schwierigkeiten gemacht. Sie haben das Gesicht auf dem Foto erkannt. Das Gesicht, für das ein plastischer Chirurg ein Vermögen kassieren konnte.«
Carol war neugierig. »Und der Ohrring?«
»Das werden wir nie genau wissen«, antwortete Harry. »Aber Little Marilyn hat gesagt, er muß Abgegangen sein, als sie ihren Pullover im Auto auszog, in dem Range Rover Tommy hatte die Leiche in einem Plastiksack vorne auf den Boden gelegt, und der Stift hat sich vermutlich in dem Sack verhakt oder ist in eine Falte des Sackes geraten. In seiner Hast hat Fitz es nicht gemerkt. Wir wissen nur, daß Little Marilyns Ohrring dann in einem Opossumnest aufgetaucht ist kilometerweit von der Stelle entfernt, wo sie meinte, ihn zuletzt getragen zu haben. Das Tier konnte unmöglich die sechs Kilometer bis zu ihrem Haus gewandert sein.«
»Weiß Little Marilyn es schon?« Mrs. Hogendobber hatte Mitleid mit der Frau.
»Ja«, sagte Cynthia. »Sie kann es noch nicht glauben. Mim glaubt es natürlich, aber sie denkt ja über jeden nur Schlechtes.«
Darüber mußten alle lachen.
»Hat irgend jemand von Ihnen auch nur im entferntesten daran gedacht, daß es Fitz sein könnte?« fragte Mrs. Hogendobber. »Tommy. Ich kann mich nicht daran gewöhnen, ihn Tommy zu nennen. Ich hatte jedenfalls nicht die leiseste Ahnung.«
Die anderen auch nicht.
»Er war auf seine Weise genial.« Orlando schnitt ein leckeres Biskuit auf und bestrich es mit Butter. »Er hat sehr früh gemerkt, daß die Menschen auf Äußerlichkeiten achten, genau, wie er gesagt hat. Sobald er merkte, daß Fitz den Verstand verlor, heckte er den teuflisch schlauen, aber simplen Plan aus, Fitz zu werden. Als er sein Studium in Princeton begann,war er Fitz-Gilbert Hamilton. Er war mehr Fitz-Gilbert Hamilton als der echte Fitz-Gilbert Hamilton. Als ich nach Yale ging, sagte mein Bruder, jetzt könne ich ein neuer Mensch werden, wenn ich wollte. Es war ein Neubeginn. Tommy hat das wortwörtlich genommen.«
Blair sann darüber nach, dann sagte er: »Ich glaube nicht, daß ihm je der Gedanke kam, jemanden umbringen zu müssen, ich glaube es einfach nicht.«
»Damals nicht«, sagte Cynthia.
»Geld verändert die Menschen.« Carol sprach aus, was offensichtlich war, nur daß viele das Offensichtliche nicht wahrnehmen wollten. »Er hatte sich an die Macht gewöhnt, an materielle Vergnügungen, und er hat Little Marilyn geliebt.«