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»Liebe oder Geld«, flüsterte Harry vor sich hin.

»Was?« Mrs. Hogendobber wollte alles wissen.

»Liebe oder Geld. Dafür töten die Menschen.« Harrys Stimme verlor sich.

»Ja, das Thema hatten wir schon mal.« Mrs. Hogendobber nahm sich noch eine Portion Makkaroni mit Käse. Es schmeck­te sündhaft gut. »Vielleicht ist der Weg zur Hölle mit Dollar­scheinen gepflastert.«

»Sofern wir sie zum Mittelpunkt unseres Lebens machen«, setzte Blair hinzu. »Wissen Sie, ich habe viele Geschichtswerke gelesen. Es ist ein schöner, tröstlicher Gedanke, daß andere Menschen vor mir hier gelebt haben. Jedenfalls, Marie Antoi­nette und Ludwig XVI sind zu besseren Menschen geworden, nachdem sie ihre Macht und ihr Geld verloren hatten. Vielleicht wird der eine oder die andere tatsächlich ein besserer Mensch, wenn er oder sie einmal Geld gehabt hat, ich weiß es nicht.«

Der Reverend dachte darüber nach. »Ich nehme an, einige rei­che Leute werden Philanthropen, aber meistens erst am Ende ihres Lebens, wenn der Himmel als nächste Adresse noch nicht gesichert ist.«

Während die Gruppe diskutierte und über diese oder jene Ein­zelheit oder über das wenige rätselte, was sie von dem Mann wußten, den sie als Fitz kannten, stand Harry auf und zog ihren Parka an. »Bin gleich wieder da. Ich hab vergessen, das Opos­sum zu füttern.«

»In einem früheren Leben waren Sie Noah«, gluckste Herbie.

Mrs. Hogendobber warf dem lutheranischen Pastor einen vor­wurfsvollen Blick zu. »Aber Reverend, Sie glauben doch nicht an Reinkarnation, oder?«

Bevor sich das Thema entzünden konnte, war Harry zur Hin­tertür hinaus. Mrs. Murphy und Tucker zockelten mit. Pewter zog es vor, in der Küche zu bleiben.

Harry schob das Scheunentor nur so weit auf, daß sie sich hindurchquetschen und Licht machen konnte. Es war kaum zu glauben, daß sie erst vor ein paar Stunden in dieser Scheune beinahe den Tod gefunden hatte, in diesem Raum, wo sie immer glücklich gewesen war.

Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie sich von Spinnenfaden befreien. Vor allem aber wollte sie sich vergewissern, daß sie lebte. Mrs. Murphy bildete die Vorhut, und Harry kletterte mit Tucker unterm Arm die Leiter hinauf und brachte Simon das Futter. Simon war überwältigt.

Mrs. Murphy rieb sich an dem kleinen Kerl»Gutgemacht, Si­mon.«

»Mrs. Murphy, das war das Schlimmste, was ich je gesehen habe. Mit den Menschen stimmt was nicht.«

»Zumindest mit einigen«, entgegnete die Katze.

Harry beobachtete die beiden Tiere und wunderte sich über ihre Fähigkeit, sich zu verständigen. Sie wunderte sich außer­dem darüber, wie wenig wir eigentlich von der Welt der Tiere wissen. Wir verwenden soviel Zeit darauf, sie zu zähmen, abzu­richten, ihnen Gehorsam beizubringen, wie können wir sie da wirklich kennen? Haben die Herren auf den Plantagen die Skla­ven je gekannt, und kennt ein Mann seine Frau, wenn er sich für überlegen hält - oder umgekehrt? Harry setzte sich ins Heu, atmete den Duft ein, und eine Woge der Dankbarkeit durch­strömte sie. Sie wußte nicht viel, aber sie war froh, am Leben zu sein.

Mrs. Murphy kletterte auf ihren Schoß und schnurrte.

Tucker lehnte sich feierlich an Harrys Seite.

Die Katze reckte den Hals nach oben und rief:»Danke!«

Die Eule schrie zurück:»Nicht der Rede wert.«

Tucker bemerkte:»Ich dachte, du kannst Menschen nicht lei­den.«

»Kann ich auch nicht. Aber zufällig kann ich die Kletternatter noch weniger leiden als die Menschen. « Sie breitete triumphie­rend ihr Gefieder aus und lachte.

Die Katze lachte mit.»Du magst Harry - gib's zu.«

»Sag ich nicht. « Die Eule erhob sich von ihrem hohen Sitz in dem Kuppelgewölbe und schwebte hinunter, direkt vor Harry, die erschrak. Dann nahm sie Höhe auf und flog aus dem hohen Oberlicht am Scheunenende hinaus zum nächtlichen Jagen, zumindest so lange, bis der Sturm losbrach.

Harry kletterte rückwärts von der Leiter, Tucker unter dem Arm. In der Mitte des Ganges blieb Harry einen Moment ste­hen. »Ich weiß nicht, was in euch beide gefahren ist«, sagte sie zu den Pferden, »aber ich bin schrecklich froh. Danke.«

Sie sahen sie aus ihren sanften braunen Augen an. Tomahawk blieb in einer Ecke seiner Box, während Gin zutraulich den Kopf über die obere Hälfte der quergeteilten Boxtür steckte.

»Und Mrs. Murphy, ich weiß immer noch nicht, wie die Klet­ternatter vom Heuboden geflogen kam und du hinterher. Ich schätze, ich werde es nie erfahren. Ich schätze, ich werde vieles nie erfahren.«

»Bring sie zurück an ihren Platz«, riet Mrs. Murphy ihr, »sonst erfriert sie noch.«

»Sie weiß nicht, wovon du sprichst.« Tucker kratzte an der Tür von Tomahawks Box und winselte.»Hat sie sich hier drin ver­steckt?« fragte der Hund die Katze.

»Irgendwo unter der Streu. « Die Schnurrhaare der Tigerkatze schnellten nach vorn, als sie Tucker beim Türkratzen Gesell­schaft leistete.

Harry wußte, daß die Schlange da war, trotzdem fuhr sie je­desmal zusammen, wenn sie eine sah. Neugierig öffnete sie die Tür. Jetzt wußte sie, warum Tomahawk sich in eine Ecke seiner Box drückte. Er konnte Schlangen nicht ausstehen und verbarg es nicht.

»Hier ist sie.« Tucker stellte sich über die Schlange.

Harry sah die teils von Streu bedeckte Schlange. »Lebt sie?« Sie kniete sich hin und faßte mit der Hand hinter den Hals des Reptils. Vorsichtig hob sie es hoch, und erst jetzt merkte sie, wie groß die Schlange war. Harry hatte keine besonders große Angst vor Schlangen, aber sie konnte auch nicht behaupten, daß sie sie gern anfaßte. Trotzdem, sie fühlte sich irgendwie für diese Kletternatter verantwortlich. Das Tier bewegte sich ein bißchen. Tomahawk beschwerte sich, und so verzogen sie sich aus der Box.

Mrs. Murphy kletterte die Leiter hoch.»Ich zeig's dir.«

Harry überlegte fieberhaft, wo ein warmes Fleckchen für die Schlange war. Außer den Rohren unter ihrem Küchenspülstein fiel ihr nur der Heuboden ein, also kletterte sie wieder hinauf.

Die Katze lief zu ihr hin und wieder weg. Harry sah ihr amü­siert zu. Mrs. Murphy mußte diese Vorstellung viermal wieder­holen, ehe Harry so vernünftig war, ihr zu folgen.

Simon brummte, als sie an ihm vorbeikamen:»Steck die alte Hexe bloß nicht in meine Nähe.«

»Stell dich nicht so an«, schimpfte die Katze. Sie führte Harry zum Nest der Schlange.

»Sieh mal einer an!« rief Harry. Vorsichtig legte sie die Schlange in ihr Winterschlafquartier und deckte sie mit losem Heu zu. »Der Herr ist wunderbar in seinen Werken«, sagte sie laut. Das hatte ihre Mutter immer zu ihr gesagt. Heute hatte Gott seine oder ihre wunderbaren Werke mit Hilfe einer Schlange, einer Katze, eines Hundes und zweier Pferde gewirkt. Harry ahnte nicht, daß sie noch viel öfter Hilfe von Tieren ge­habt hatte, aber sie wußte, daß sie dank der Gnade Gottes hier war. Tommy Norton hätte sie durchlöchert wie einen Schweizer Käse.

Als sie die Scheune zuschloß und durch ein paar Schneeflocken zum Haus zurückging, wurde ihr klar, daß sie es nicht be­reute, den Mann in die Kniescheibe geschossen zu haben. Sie hätte ihn notfalls auch getötet. In dieser Hinsicht gehörte sie zur Welt der Tiere. Menschliche Moral und Natur scheinen oft im Widerspruch zu stehen.

Fair Haristeens Lieferwagen schlitterte knatternd in die Zu­fahrt. Fair stieg rasch aus und riß Harry in seine Arme. »Ich hab's gerade gehört. Alles in Ordnung mit dir?«