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Anmerkung zur Geschichte

Archimedes von Syrakus gilt allgemein als der größte Mathematiker und Erfinder der Antike, über den zahlreiche Anekdoten im Umlauf sind, aber nur wenig beweisbare Fakten. Üblicherweise wird das Jahr 287 v. Chr. als sein Geburtsjahr angesetzt. Der Grund dafür ist die Behauptung, er wäre zum Zeitpunkt seines Todes im Jahre 212 fünfundsiebzig gewesen. Daß sein Vater ein Astronom namens Phidias war, wissen wir von Archimedes selbst, der sich in seiner Monographie »Der Sandrechner« auf eine der Berechnungen seines Vaters bezieht. Cicero berichtet, Archimedes habe aus einfachen Verhältnissen gestammt, dagegen bezeichnet ihn Plutarch als Verwandten von König Hieron. Es ist nicht bekannt, mit wem Archimedes verheiratet war, aber aller Wahrscheinlichkeit nach war er tatsächlich mit einer Frau verheiratet. Denn nach der Eroberung von Syrakus durch die Römer wurde sein »Haushalt« von dem römischen General Marcellus gut behandelt. Die alten Griechen haben in ihren Werken dem Thema Frau und Familie nur wenig Platz eingeräumt, ja, es galt sogar als respektlos, wenn man über eine anständige Ehefrau auch nur sprach. Kein Wunder also, daß wir über das Privatleben von Archimedes nichts wissen. Zugegeben, seine Ehe mit einer Verwandten von König Hieron klingt sehr nach schriftstellerischer Phantasie, aber ganz von der Hand zu weisen ist sie wiederum auch nicht.

Für alle, die sich ein wenig in antiker Geschichte auskennen, möchte ich betonen, daß dieses Buch während des Ersten Punischen Krieges spielt, also 264 v. Chr. und nicht während der weitaus berühmteren Belagerung von Syrakus im Zweiten Punischen Krieg 212. Zum damaligen Zeitpunkt verfügte Rom über keine Flotte und stand noch am Anfang seiner Expansionszüge außerhalb von Italien. Trotzdem wurde es immer mehr als ernsthafte Großmacht in Betracht gezogen.

Ich habe mich nicht an der üblichen - römischen - Darstellung des Krieges orientiert, wie sie bei Polybios steht. Denn selbst Polybios weist klar darauf hin, daß es eine griechische Gegendarstellung gab, in der die Römer wesentlich weniger heroisch ausfielen und auch Niederlagen einstecken mußten. Meistens versuchen moderne Historiker, die sich auf diese Epoche spezialisiert haben, bei der Rekonstruktion der damaligen Ereignisse beide Versionen des Geschehens zu berücksichtigen. Diesem Vorgehen habe ich mich angeschlossen.

Leider bin ich keine Mathematikerin. Bei meinen Recherchen zu diesem Buch habe ich mich mühsam durch einige Werke von Archimedes gekämpft, aber meistens hatte ich nicht den leisesten Schimmer, wovon der Mann eigentlich sprach. Trotzdem habe ich mich bemüht, die Art von Berechnungen nachzuvollziehen, die ihn fasziniert haben. Darüber hinaus habe ich versucht, alles, womit sich die griechischen Ingenieure der damaligen Zeit beschäftigt haben, exakt wiederzugeben. Alle Maschinen, die in diesem Buch vorkommen, hat es tatsächlich gegeben. Die Hydraulis oder Wasserorgel wurde zum Namensgeber für die Wissenschaft der Hydraulik. Ihr Erfinder, Ktesibios von Alexandria, hat auch noch die Pneumatik begründet. Die griechische Artillerie war tatsächlich so wirksam und damit für die Kriegsführung bedeutend, wie ich es geschildert habe. Weil die Menschen in jeder Epoche zur Übertreibung neigen, ist mir diesbezüglich sogar ein Fehler unterlaufen. Ich habe die Dimension der großen Katapulte noch viel zu vorsichtig eingeschätzt. Auch die Geschichte, wie Archimedes das Schiff bewegt hat, habe ich mit äußerster Vorsicht wiedergegeben. Allein aus der Antike werden dazu drei Versionen überliefert: In der ersten verwendet er eine Art Hebel, in der anderen eine Maschine namens barulkos, bei der Winden und Zahnräder eine Rolle spielen. Die dritte Version mit einem Verbundssystem aus Flaschenzügen fand ich am glaubhaftesten. Allerdings ist in allen drei Versionen von einem weitaus größeren Schiff die Rede - »das größte Handelsschiff der königlichen Flotte« -, und außerdem wird es auch noch mit voller Ladung an Land gezogen. Das kam mir dann doch ein wenig unwahrscheinlich vor, obwohl ich Archimedes fast alles zutraue. Schließlich hat dieser Mensch eine Art von Integralrechnung erfunden, die nur deshalb keine Auswirkung auf den Verlauf der Welt genommen hat, weil sie ihrer Zeit zweitausend Jahre voraus war.

Manche Leser finden vielleicht, König Hieron sei ein bißchen zu gut weggekommen, um wahr zu sein. Diese Meinung haben schon antike Historiker vertreten. Ich habe mich an den ziemlich ehrfürchtigen Bericht von Polybios gehalten, der ihn als Musterbeispiel jenes guten Herrschers auswählte, auf den ein Historiker sein Augenmerk richten muß. Vierundfünfzig Jahre herrschte Hieron über Syrakus und bescherte dabei seinem Stadtstaat eine einzigartige Periode von dauerhaftem Frieden und Wohlstand. 215 starb er im Alter von einundneunzig Jahren. Lange Zeit gab es eine friedliche Doppelherrschaft zusammen mit seinem Sohn Gelon, der leider vor ihm sterben mußte. Unglückseligerweise beschloß sein Enkel und Nachfolger Hieronymos, ein leicht reizbarer junger Mann, das gesamte Bündnisnetz seines Großvaters auf den Kopf zu stellen und riß so seine Stadt in einen fatalen Krieg mit Rom hinein. Während dieses Krieges wurde das uneinnehmbare Syrakus so lange belagert und blockiert, bis der Hunger einige Bürger dazu trieb, die Stadttore zu öffnen. Die Stadt wurde total geplündert. Währenddessen war Archimedes gerade wieder einmal in eine neue Berechnung vertieft. Als nun ein römischer Soldat versuchte, ihn zu verhaften, schrie er den Mann an, er solle gefälligst seine Kreise in Ruhe lassen. Der Römer hat ihn getötet, sehr zum Kummer des römischen Generals Marcellus. Als gebildeter Mann hatte er Archimedes unbedingt verschonen wollen.

1

Die Schatulle war voll Sand, voll feinem, durchsichtigem, fast weißem Sand. Man hatte ihn angefeuchtet, gepreßt und glatt gestrichen, bis seine Oberfläche so ebenmäßig und stabil wie feinstes Pergament war. Nur hier und da ließen die schräg einfallenden Strahlen der Nachmittagssonne die Ränder einzelner Körner aufleuchten und brachen sich an winzigen Facetten, die kein Auge wahrnehmen konnte. Unzählige Facetten sozusagen, und doch bildete jede für sich einen leuchtenden Punkt. Über diesem Anblick ertappte sich der junge Mann plötzlich bei der Überlegung, ob es möglich wäre, die Sandkörner zu zählen.

Es war eine alte Schatulle. Der Olivenholzrahmen hatte Schrammen und Dellen, und die bronzenen Eckbeschläge waren angelaufen. Nur an den Kratzern schimmerte das Metall wie früher glänzend durch. Der junge Mann legte seine Hand an eine verkratzte Ecke und rechnete: Die Schatulle selbst maß in der Höhe vier Fingerbreiten. Dabei mußte man aber noch eine Rille für den Deckel berücksichtigen und außerdem war sie nur halbvoll mit Sand gefüllt. Breite und Tiefe mußte er nicht mehr nachmessen. Schon vor langer Zeit hatte er am Rand entlang Markierungen im Abstand von einer Fingerbreite angebracht. Vierundzwanzig auf der einen Seite und sechzehn auf der anderen. Bewußt hatte er die Schatulle auf dem Hinterdeck plaziert, dem ruhigsten Teil des Schiffes, außerhalb der Reichweite der Seeleute. Nun kauerte er sich über die Schatulle, nahm ein Zirkelbein in die Hand und begann, Rechnungen in den Sand zu ritzen. Mal angenommen, zehn Sandkörner würden in ein einziges Mohnsamenkorn passen und auf einer Fingerbreite hätten fünfundzwanzig Mohnkörner Platz, dann befänden sich in dieser Schatulle sechstausend mal viertausend mal fünfhundert Körner Sand. Sechstausend mal viertausend ergab zweitausendvierhundert Myriaden, und diese Zahl mit fünfhundert multipliziert.

Er runzelte die Stirn und blinzelte. Seine Hände fielen leblos zur Seite, wobei ihm die Zirkelspitze das Schienbein zerkratzte. Geistesabwesend rieb er über die Wunde, dann steckte er sich den Zirkel in den Mund und lutschte am Gelenk herum. Noch immer starrte er in die Luft. Das war nun wirklich ein interessantes Problem: Die Menge der Sandkörner in der Schatulle umfaßte eine größere Zahl, als er ausdrücken konnte. Die größte Zahl für die seine Sprache eine Bezeichnung hatte, war eine Myriade, also zehntausend. Außerdem verfügte sein Zeichensystem über kein Symbol für die unendlich erweiterbare Null. Damit gab es auch keine Möglichkeit, eine Zahl aufzuschreiben, die größer war als eine Myriade Myriaden. Welchen Ausdruck könnte er dann für etwas finden, was sich nicht in Worte fassen ließ?