Выбрать главу

Als ich neunzehn war, hat mir mein Vater Marcus gegeben, und dann sind wir beide für drei Jahre nach Alexandria gegangen. Ich war kein guter Herr. Wenn Marcus sagte: >Herr, wir haben kein Geld mehr<, dann habe ich nur >ach, ja< gesagt und die Sache vergessen. Er mußte klären, wie wir ohne Geld leben sollten. Er war sehr einfallsreich und immer erstaunlich ehrlich. Wenn er Geld aus meinem Beutel nahm - das mußte er, weil ich ständig vergaß, ihm welches zu geben -, hat er mir immer erklärt wieviel und wofür, auch wenn ich nie darauf geachtet habe. Er hat mich auch immer daran erinnert, wem ich noch Geld schuldig war. Außerdem hat er eigenhändig die Kleidung geflickt und Sandalen gebastelt. Zum Ausgleich für unsere täglichen Gebrauchsgegenstände hat er dann für die Geschäftsleute dies und jenes erledigt. Er hat sich nie beklagt, obwohl ihm Alexandria nicht gefallen hat. Zumindest hatte ich diesen Eindruck. Er hat mir immer zugeredet, wir sollten doch nach Hause gehen. Aber im letzten Jahr habe ich in Ägypten eine Maschine zum Wasserschöpfen entworfen, und da hat er mir einmal erzählt, daß ihm der Bau dieser Maschine mehr Spaß gemacht hätte als alle anderen Arbeiten, die er je getan hat.«

»Die Wasserschnecke«, sagte Gaius.

Bei diesem Wort lächelte Archimedes. Der griechische Begriff brauchte keine Übersetzung. »Es überrascht mich nicht, daß er dir davon erzählt hat. Er hat diese Maschine geliebt. Wir haben sie nicht recht lange gebaut, dann hatte ich die Nase voll davon. Er war deswegen wütend auf mich und hat mir ständig erklärt, wir könnten mit diesen gottverdammten Dingern ein Vermögen machen. Den Sinn von Geometrie hat er nie eingesehen - jedenfalls hat er es mir gegenüber nicht eingestanden.«

»Offensichtlich hat er.« Gaius zögerte. Der Satz »oft sagen müssen, was du tun sollst« lag ihm schon auf den Lippen, aber er hatte Angst, ihn zu beleidigen, und sagte statt dessen: ». dir offen seine Meinung gesagt.«

Archimedes schnaubte. »Er hat immer offen seine Meinung gesagt. Dafür ist er ja auch gestorben, oder?« Wieder wanderte sein Blick zu der Flöte, dann fuhr er fort: »Als der Krieg ausbrach, kamen wir nach Hause. Er war über den Krieg. unglücklich. Wir hatten keine Ahnung, daß er Römer war. Wenn ihn einer gefragt hat, hat er immer behauptet, er wäre Sabiner oder Marser oder Samnite oder sonst etwas, dennoch wußten wir, daß ihn einiges an Rom band. Trotzdem hat er immer wieder geschworen, daß er nie etwas tun würde, was der Stadt oder unserem Hause schaden könnte.« Archimedes hielt inne, dann fügte er hinzu: »Selbstverständlich hätte er Rom freiwillig noch weniger Schaden zugefügt. Und du weißt ja, wie schnell er sich bereit erklärt hat, euch zu helfen. Aber danach hat er immer wieder betont, wie leid es ihm täte, daß er mein Vertrauen mißbraucht hätte. Es hat ihm unendlich weh getan, daß ihr bei eurer Flucht einen Mann getötet habt - einen braven Mann und einen Freund.« Er hob den Kopf und schaute Fabius unvermittelt an. »Wenn du dieser Fabius bist, der in jener Nacht bei ihm war, so sollst du folgendes wissen: Er hat gesagt, es wäre falsch gewesen, daß er dir ein Messer gegeben hat. Und außerdem hat er gesagt, er hätte geglaubt, daß du mich getötet hättest, wenn du gewußt hättest, wer ich bin.«

Fabius erwiderte stumm seinen Blick. Den letzten Zusatz übersetzte er nicht. »Es war unsere Pflicht, wenn möglich zu entfliehen«, sagte er schließlich. »Und was das andere betrifft, ja, ich hätte dich getötet. Wir hatten von deinen Katapultbauten gehört, und ich habe mir schon gedacht, daß du den Römern teuer zu stehen kommen wirst. Wie es ja dann auch war. Wegen dir und deinen Katapulten sind viele Männer tot, und der Friede, den wir erreicht haben, hat uns wenig gebracht. Ich will damit nicht sagen, es sei falsch gewesen, daß du deine Stadt verteidigt hast, aber genauso richtig wäre es gewesen, wenn ich meine verteidigt hätte.«

»Niemand hatte Rom angegriffen«, wies ihn Archimedes kalt zurecht. »Dein Argument stellt den Rüpel auf dieselbe Stufe wie das Opfer, das zurückschlägt. Das ist meiner Meinung nach ein Trugschluß. Genausowenig begreife ich, wie dein Konsul das Todesurteil über einen tapferen und loyalen Mann damit rechtfertigen konnte, daß er lediglich frei seine Meinung geäußert hat.«

Gaius hatte diesem unverständlichen Wortwechsel angespannt zugehört, jetzt räusperte er sich nervös. Fabius übersetzte wieder, ab der Klage gegen den Konsul. Gaius Valerius ließ betreten die Schultern hängen und schaute weg, eine Geste, die Archimedes plötzlich schmerzhaft an seinen Bruder erinnerte.

»Der Konsul war ein schwacher, wütender Mann«, sagte Gaius. »Sobald er herausgefunden hatte, wer Marcus war, hat er ihn verhaften und vor Gericht stellen lassen. Er selbst war Richter und oberster Ankläger in einer Person. Niemand hätte Marcus für den Vorfall bei Asculum zum Tode verurteilt, nicht einmal damals. Zu diesem Zeitpunkt war er sechzehn und erst seit drei Wochen bei der Legion! Aber unser Vater hatte uns beigebracht, harte Strafen zu erwarten, und Marcus ist sich selbst gegenüber immer hart gewesen. Er war überzeugt, daß er den Tod verdient hatte, also war er auch darauf gefaßt. Aber selbst Claudius konnte sich nach so vielen Jahren nicht mehr auf Asculum berufen. Sein Hauptanklagepunkt lautete, Marcus habe den römischen Namen entehrt. Weil er die Sklaverei akzeptiert und weil er gesagt hatte, die Römer hätten Syrakus zu Unrecht angegriffen.«

»Und er wollte nicht lügen und sagen, sie hätten recht gehabt?« fragte Archimedes resigniert.

Gaius nickte matt. »Ich glaube, er hatte es vor, aber als es dann soweit war, wurde er wütend und hat es doch nicht gesagt. Der Konsul hatte ihm auch noch andere üble Dinge unterstellt.«

Als ihn Archimedes mit gerunzelter Stirn anschaute, fuhr Gaius zögernd fort: »Er hätte sich den Griechen als Strichjunge verkauft. König Hieron und, unter anderem, auch dir.« Archimedes lief vor Zorn rot an. Hastig fuhr Gaius fort: »Alles dumme Anschuldigungen, aber seine Wut war der einzige Weg, um sie zu widerlegen. Also ist er wütend geworden und hat nicht gelogen, und dann hat ihn der Konsul zum Tode verurteilt.«

Gaius streckte die Hand nach der Flötenschatulle aus und holte etwas daraus hervor: einen dicken, schwarzen Flakon von der Größe einer Kinderfaust. Er war leer. »Ich war sehr froh, daß er das gehabt hat«, fuhr er ganz leise fort. »Die Legionen wußten, daß Marcus unschuldig war, keiner wollte zuschlagen. Da aber die Prügelstrafe vollzogen werden mußte, hätte alles nur noch länger gedauert. Als sie ihn morgens aus dem Zelt holen wollten, wo sie ihn eingesperrt hatten, war er bereits tot. Er hatte das hier bei sich, das und die Flöte. Beides Geschenke von dir?«

Archimedes schüttelte den Kopf. »Nur die Flöte«, sagte er nüchtern. »Das da kam von Hieron. Er hat mir erzählt, daß er es Marcus gegeben hatte, für alle Fälle.«

Gaius schaute ihn verblüfft und zweifelnd an, dann fuhr er mit einem Finger über den Flakonrand. »Ein Geschenk vom König von Syrakus? Dafür bin ich dem König zu Dank verpflichtet. Trotzdem begreife ich nicht, woher König Hieron Marcus gekannt hat und warum er sich die Mühe gemacht hat.«