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Als Delia mehrere Stunden später in die Werkstatt kam, saß Archimedes auf dem Boden, hatte den Kopf gegen den Schemel gelehnt und betrachtete liebevoll den Abakus. »Liebster?« sagte sie zärtlich.

Er hob den Kopf und strahlte sie an. »Es beträgt drei zu zwei!« erklärte er ihr.

Sie kam herüber, kniete sich neben ihn und legte ihm einen Arm um die Schultern. Seit Januar waren sie verheiratet, und inzwischen hatte sie allmählich das Gefühl, als ob sie die Verwaltung ihres Besitzes sehr gut bewältigen könnte. Aber Geometrie würde sie wohl nie verstehen. »Du meinst das Verhältnis?« fragte sie und versuchte, wenigstens etwas Interesse zu zeigen.

Er nickte und deutete mit der Hand auf das Gewirr aus Rechnungen. »Am Ende ist alles ganz perfekt«, staunte er. »Nach all dem -eine rationale Zahl. So genau, so. perfekt!«

Er war so glücklich, daß sie ihn nur schweren Herzens stören wollte, aber nach einer Weile sagte sie dann doch: »Ich habe gehört, vor kurzem wären zwei Römer hier gewesen. Was haben sie gewollt?«

Das Glücksgefühl verschwand. Aufgeregt blickte er sich um. »Bei den Göttern! Und ich habe gesagt, ich wäre in einer Minute bei ihnen. Sind sie.?«

»Sie sind schon vor längerer Zeit gegangen«, sagte Delia knapp. »Melais hat erzählt, sie hätten mit dir geredet, aber dann wärest du hinter deinem Abakus verschwunden. Also hat er ihnen etwas zu trinken gegeben, und dann sind sie gegangen. Was haben sie gewollt?«

Traurig erzählte er es ihr und zeigte ihr die mißhandelte Flöte. »Gaius Valerius hat zwar nur einiges über seinen Bruder wissen wollen«, fügte er zum Abschluß hinzu, »aber ich habe ihn trotzdem gemocht. Er war ganz wie Marcus, sehr offen und ehrenwert. Der andere, Fabius, war ein echter Römer. Er dachte, der Weg von Katapulten zur Musik wäre ein Abstieg!« Wütend rieb er an einem Rostfleck auf der Rohrblattklemme herum. »Marcus hat mir einmal erzählt, Musik wäre für die Römer kein Thema, mit dem man sich ernsthaft auseinandersetzen sollte. Er meinte, sein Vater hätte ihn verprügelt, wenn er um Flötenunterricht gebeten hätte. Trotzdem wollte er es lernen, aber sie haben ihm nicht die Gelegenheit dazu gegeben.«

Wieder legte sie den Arm um ihn und dachte dabei an den Sklaven, der damals im dunklen Garten gesessen war und der Musik gelauscht hatte. Sie konnte sich nicht an sein Gesicht erinnern, aber es tat ihr leid, daß er tot war. Am meisten tat es ihr für Archimedes leid, aber ein wenig auch um des Sklaven selbst willen. »Ich bete, daß die Erde leicht auf ihm ruhen möge«, sagte sie.

Er drehte sich zu ihr, legte beide Arme um sie und küßte sie. Danach hielt er sie fest und spürte ihre warme Gestalt an seiner Brust -ein Trost gegen jeden Kummer. Als er bei Hieron um sie angehalten hatte, hatte er nicht gewußt, daß man für eine Frau so empfinden konnte, wie er es jetzt tat. Vom ersten Tag ihrer Ehe an hatte sie ihn erstaunt. Und inzwischen kam es ihm so vor, als wäre sie in all jenen Dingen am besten, wo er versagte, als wäre sie seine zweite Hälfte, wie das zweite Bein eines Zirkels oder ein zweites Flötenpaar.

Selbst im Krieg und während der Belagerung waren sie so glücklich gewesen, sogar trotz aller Katapulte.

Voll Schmerz dachte er an den toten Marcus und wie man ihn verbrannt hatte. Er dachte an den Rauch, der vom Scheiterhaufen hoch in den Himmel über Syrakus stieg. Vielleicht hatte er ihn sogar gesehen und nicht gewußt, was es war. Er hatte ja sogar zu Lebzeiten Marcus’ nicht sehr viel wahrgenommen.

Marcus hatte sein Bestes gegeben, um allen seinen Verpflichtungen ehrenhaft nachzukommen, und er war an ihren Widersprüchen klaglos gestorben. Dagegen stand ihm, der auch kein besserer Mensch war, alles offen, um sich selbst glücklich zu machen. Welche Formel konnte diese Figuren ins Gleichgewicht bringen? Seufzend warf Archimedes einen Blick auf das kleine Rätsel hinunter, das er gelöst hatte - das perfekte Verhältnis, das ihm schon gar nicht mehr so überragend erschien.

Und doch, das Verhältnis war noch immer perfekt. Perfekt und -bekannt. Es blieb als Ganzes in seinem Kopf zurück. Ohne jeden unmittelbaren Nutzen ruhte es in seiner bloßen Existenz. Wie die Seele. Aber im Gegensatz zur Seele hatte man es verstanden.