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Leider erinnerte sie ihre Fairneß unpassenderweise daran, daß Archimedes schon immer dünn gewesen war und Marcus untersetzt. Und wenn Archimedes in seine Mathematik vertieft war, vergaß er zu essen, es sei denn, man servierte ihm seine Mahlzeiten auf einem Abakus. Und selbst dann schob er sie einfach beiseite und rechnete weiter. Wahrscheinlich war es unfair, Marcus allzusehr die Schuld zu geben, in welchem Zustand sein Herr heimgekommen war.

Marcus goß sich das restliche Wasser aus dem Eimer über den Kopf, schüttelte sich und hob seine Tunika auf. Philyra stieß sich von der Türschwelle ab und trat in den sonnigen Hof hinaus. »Marcus!« sagte sie scharf. »Wo ist das Gepäck meines Bruders?«

Marcus zuckte zusammen und zog sich hastig die Tunika über den Kopf, bevor er antwortete. Er fühlte sich in Philyras Nähe genauso linkisch wie umgekehrt auch sie. Als er das Haus verlassen hatte, war sie noch ein Schulmädchen gewesen, aber jetzt war sie eine junge Frau. »Da«, sagte er und deutete auf die Truhe in der Hofecke. »Aber ich würde das nicht aufmachen, Herrin.«

»Warum nicht?« wollte sie wissen. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Sachen darin sauber sind! Und heute wird ein guter Tag zum Wäschetrocknen.« In der Tat war es schon heiß. Jede Wäsche wäre bis zum Abend vollständig trocken.

Er zuckte die Schultern. »Da sind Geschenke drin«, sagte er, »und eines ist für dich.« Sein Blick blieb einen Augenblick länger an der Vorderseite ihrer Tunika hängen. Sie merkte plötzlich, wie sehr der Stoff an ihrem Körper klebte, und zog ihn hoch. Sie war rot geworden.

»Aber ich habe ihm doch eben erst gesagt, daß ich mich um seine Sachen kümmern werde!« protestierte sie. »Und von Geschenken hat er keinen Ton gesagt.«

Marcus schnaubte. »Erwartest du wirklich, daß er an so etwas denkt?«

Nein, das tat sie nicht. Wahrscheinlich erinnerte sich Archimedes an die Geschenke und wußte auch genau, daß sie sich in derselben Truhe befanden wie seine Kleidung. Trotzdem würde er nie zwei und zwei zusammenzählen und deshalb wissen, wie sehr ihr die Überraschung verdorben wäre, wenn sie die Truhe aufmachte. Sie gab einen verzweifelten Laut von sich, Marcus grinste, und damit war irgendwie das Gleichgewicht zwischen ihnen wiederhergestellt. Schließlich waren sie beide Mitglieder desselben Haushaltes und kannten nur allzugut die Vorlieben und Eigenheiten derselben kleinen Menschengruppe. »Ist doch nicht so eilig, oder?« fragte er.

War es auch nicht, jedenfalls nicht so sehr. Sie wollte nur alles wieder in Ordnung haben: ihr Bruder ohne Wenn und Aber wieder zu Hause und dort, wo er sein sollte, nämlich in seinem eigenen Zimmer, und die Reisetruhe wieder in eine Kleidertruhe verwandelt. Sie ging zum Gepäck hinüber und starrte es mißmutig an. »Und was ist in dem Korb?« fragte sie.

»Die berühmte Wasserschnecke«, antwortete Marcus, der schon wieder grinste. »Die können wir auspacken, wenn du willst.« Er ging zur Truhe hinüber und knotete die Stricke auf.

»Will er mir das nicht persönlich zeigen?« Ihre Frage klang zweifelnd.

»Nein«, antwortete Marcus und löste einen weiteren Knoten. Plötzlich wollte er ihr unbedingt die Wasserschnecke zeigen, um ihr zu imponieren. »In Ägypten haben wir zweiunddreißig von diesen Dingern gebaut, und jetzt kann er sie nicht mehr sehen. Trotzdem ist es eine wahre Wundermaschine. Hier, ich zeig sie dir!« Er zog das Seil vom Korb und beförderte die Enden unter die Truhe. Philyra lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Hofmauer und versuchte, uninteressant zu wirken, obwohl sie in Wahrheit absolut neugierig war. Aufgrund ihrer Haltung zeichnete sich eine ihrer schmalen Hüften wie ein verhülltes Relief unter dem Leinenstoff ab. Marcus merkte es wohl, redete sich aber ein, daß sie viel zu dünn war, genau wie ihr Vater und ihr Bruder. Trotzdem war sie irgendwie hübscher, als man es bei einem so eckig gebauten Mädchen erwarten konnte. Vielleicht lag es an ihren strahlenden Augen. Nicht daß das irgendeinen Einfluß auf ihn hatte. Schließlich war er genauso das Eigentum ihres Bruders wie die Maschine, die er gerade auspackte. Trotzdem, was war schon dabei, wenn man einem hübschen Mädchen eine Maschine zeigte?

Er löste den Knoten, der den Truhendeckel sicherte, öffnete den Korb und hob aus einem Strohnest einen Holzzylinder heraus. Er maß ungefähr eine Elle, das heißt, den Abstand vom Ellbogen eines Menschen bis zu seinen Fingerspitzen. Die äußere Schicht bestand aus Holzdauben, die wie bei einem Faß durch Eisenringe zusammengehalten wurden. Im Inneren verbarg sich ein kompliziertes Gebilde, das mit Pech verschmiert war. Am Kernstück des Zylinders war mit einem Bolzen ein Griff befestigt, damit man das Ganze wie ein Rad drehen konnte.

»Normalerweise schöpfen die Ägypter das Wasser mit einer sogenannten Wassertrommel«, sagte Marcus und drehte dabei den Zylinder in den Händen herum. »Eine Art Rad mit acht Eimern daran. Eine große Wassertrommel kann eine Menge Wasser bewegen, ist aber sehr schwer zu drehen. Dafür braucht man mehrere Männer. Mit so etwas hat dein Bruder angefangen, und das ist am Ende dabei herausgekommen. Die richtigen Maschinen, die wir gebaut haben, waren natürlich größer, ungefähr so lang wie ein Mensch, aber sonst waren sie genau wie die hier. Wie du siehst, sind’s auch hier immer noch acht Zuleitungen«, er deutete auf die acht Öffnungen am Zylinderboden, »aber keine Eimer, sondern Röhren.« Er steckte einen Finger hinein, und sie sah, daß es wirklich eine Art Röhre war, die sich um die Spindel herum in die Höhe schraubte. »Diese Röhren winden sich mehrmals im Zylinderinneren herum und kommen hier wieder heraus, an der Oberseite.« Er schlug mit der flachen Hand auf das obere Zylinderende, das genauso aussah wie der Boden. »Jede Einzelröhre erinnert ein bißchen an ein Schneckenhaus, und deshalb heißt das Ding ja auch Schnecke. Sie bestehen aus Weidenstreifen, die mit Pech an die Spindel geklebt und dann ringsum mit Dauben verschlossen werden. Keine Ahnung, wie er den richtigen Spiralwinkel gefunden hat, aber das ist äußerst wichtig. Eine Menge Leute haben versucht, es nachzumachen, und haben’s verpatzt, und dann hat das Ding nicht funktioniert. Also, um es in Gang zu setzen, mußt du.« Marcus sah sich um. Sein Blick fiel auf eine große Wasseramphore in einer Hofecke. Mit der Wasserschnecke unter dem Arm rannte er hinüber, setzte die Maschine auf den Boden, holte den Eimer, den er für sein Bad verwendet hatte, und goß etwas Wasser aus der Amphore in den Eimer. Dann stellte er den Eimer in eine Vertiefung im Hof, sicherte ihn mit Hilfe von ein paar losen Steinen so ab, daß er schräg stand, und stellte dann ein Waschbrett wie eine Plattform davor auf. »Das Ganze muß in einen bestimmten Winkel gebracht werden«, erklärte er Philyra.

»Der exakte Winkel spielt eine wichtige Rolle. Auch das haben die Leute, die es kopiert haben, verpatzt. Wenn der Griff gerade steht, stimmt auch der Winkel.« Er setzte den Fuß der Wasserschnecke in den Wassereimer und das Oberteil auf die Plattform. »Jetzt mußt du nur noch drehen.« Er winkte sie zu sich.

Philyra schob den Saum ihrer Tunika über die Füße zurück und kauerte sich neben ihn. Sie legte eine Hand auf den Zylinder und begann, langsam zu drehen. Das Ding glitt mühelos um seine Spindel. Wasser lief in die Röhren am Fuß der Schnecke. Sie drehte weiter, und auf einmal lief das Wasser zum Kopf der Schnecke heraus. Sachte hielt sie die Maschine in Bewegung und schaute dabei genau zu: Wasser lief hinein, die Röhren hinunter und.

»Es läuft ja bergauf!« rief sie schockiert und riß die Hand von der Maschine, als ob sie sich verbrannt hätte.