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Und sofort wußte er: ein Tenoraulos, in lydischer Tonart gestimmt, der eine Variation über ein Thema aus einer Arie von Euri-pides spielte. Einige Minuten lauschte er konzentriert. Der Spieler war gut. Die Melodie ging zu Ende, Pause, und dann setzte die Musik wieder ein, diesmal in einem merkwürdig keuchenden Ton, der schon beinahe falsch klang. Er grinste in sich hinein. Diesen Ton kannte er gut. Im Inneren des Aulos befand sich ein Metallring, mit dessen Hilfe der Spieler mehrere Grifflöcher zudecken und damit verschiedene Tonarten auf einem einzigen Instrument intonieren konnte. Der Spieler hatte den Ring geöffnet, der die Griffe der lydi-schen Tonart von der hypolidischen trennte, und versuchte nun, die Noten dazwischen zu spielen. Dasselbe hatte Archimedes auch einmal mit einigen äußerst komplizierten Griffen versucht, aber es hatte trotzdem nicht funktioniert.

Er stand auf und schlurfte aus dem Vorzimmer in den Garten hinaus, immer hinter der Musik her. Er kannte noch eine Methode, um diese Zwischennoten zu spielen. Und dieses Wissen mußte er mit einem Mitaulisten teilen, das war er ihm einfach schuldig.

Über eine Säulenhalle führte ein Durchgang vom ersten Garten in einen zweiten, in dem Rosen blühten und unter einem wilden Wein ein mit Nymphen verzierter Brunnen stand. Auf dem Brunnenrand saß der Flötenspieler - ein Mädchen, ein bis zwei Jahre älter als Philyra. Sie trug eine rosenfarbene Tunika und dazu einen Silbergürtel. Ein silbernes Netz hielt ihre schwarzen Haare zusammen, aber durch das Lederband, das die meisten Aulisten zur Entlastung der Wangen während längerer Übungen trugen, war es verrutscht. Sie war so in ihr Spiel vertieft, daß sie Archimedes nicht kommen hörte. Eine echte Aulistin mit Leib und Seele und nicht nur zum Zeitvertreib. Er überlegte, wer sie war. Ihr Kleid verriet ihren Reichtum, aber für die Gemahlin des Königs war sie zu jung und für seine Tochter zu alt. Wahrscheinlich irgendeine Konkubine, entschied er. Er hustete, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.

Verärgert über die Unterbrechung senkte sie den Aulos und runzelte die Stirn. Ihre Augen waren tiefschwarz. Gleich wird sie mir befehlen, ich soll mich wieder in den öffentlichen Teil des Hauses begeben, dachte er.

»So geht das nicht«, sagte Archimedes rasch, »aber wenn du einen Baritonaulos nimmst und ihn in der dorischen Tonart stimmst, bekommst du den gewünschten Effekt, wenn du das tiefe B vermeidest.«

Der Ärger in ihren Augen verwandelte sich in Interesse. Sie nahm eine zweite Flöte vom Brunnenrand. Es war eine Altflöte. »Das ist meine zweite«, sagte sie.

»Dann stimme die in der lydischen Tonart und die Tenorflöte in der dorischen! Aber Lydisch und Hypolydisch passen einfach nicht zusammen, da kannst du die Finger verdrehen, wie du willst. Als ich’s ausprobierte, klang’s sogar noch fürchterlicher als bei dir.«

Sie strahlte. »Danke für das Kompliment! Dorisch ist also besser?«

»Versuch’s!«

»Und ob!« Das Mädchen veränderte den Metallring an ihrem Te-noraulos und stimmt das Instrument auf dorisch und anschließend die Altflöte auf lydisch. Dann hob sie beide an die Lippen und begann noch einmal mit der Variation des Euripides. Ihre Augenbrauen gingen immer weiter in die Höhe. Sie spielte das Stück bis zum Ende, wobei sie vom einen Aulos zum anderen wechselte, von einer Tonart in die Nachbartonart. Bittersüß und traurig verteilten sich die Töne durch den Garten. Als sie fertig war, setzte sie die Flöten ab und schaute ihn verblüfft und triumphierend zugleich an. »Du hast recht!« rief sie. Sie strahlten einander an.

Dann wischte sie die Mundstücke ab und fragte: »Bist du ein Meister?«

»Was? Ach so, ein Flötenspieler. Nein, ich bin Mathematiker.« Dann biß er sich auf die Lippen und verbesserte sich: »Ingenieur. Ich habe eine Verabredung mit dem Regenten, um über den Bau von einigen Katapulten zu verhandeln.«

»Katapulte!« rief sie. »Ich hätte nie erwartet, daß ein Maschinenbauer musikalisch ist.«

Er zuckte die Schultern. »Eigentlich hilft das sogar dabei. Man muß sie nach Gehör stimmen.«

»Katapulte?«

»Hm, die Sehnen. Wenn die beiden Sehnenbündel eines Katapults nicht übereinstimmen, wird die Maschine beim ersten Abfeuern die Geschoßbahn verziehen.«

Sie lachte. »Was machst du denn, um sie zu stimmen? Zupfst du wie bei einer Lyra daran herum und ziehst den Wirbel stramm?«

»Genau! Nur daß man die Sehnen dreht und nicht den Wirbel. Dazu braucht man eine Winde und Keile.«

»Das gefällt mir! Die Saiteninstrumente: Lyra, Kithara, Harfe, Laute und - Katapult. Vermutlich haben die großen einen tiefen Klang und die kleineren einen hohen, oder?« Er nickte, und wieder lachte sie. »Jemand sollte einen Chor für Katapulte schreiben«, erklärte sie, »für Skorpione, Dreißig- und Fünfzigpfünder.« Wieder hob sie die Auloi an den Mund und pfiff einen verrückten Tanz aus drei völlig unzusammenhängenden Noten.

Archimedes grinste. »Einer meiner Freunde versucht, ein luftgetriebenes Katapult zu bauen«, sagte er. »Das könnte dann den Flötenpart übernehmen. Aber leider kommt da immer nur peng heraus, und das auch noch sehr laut. Vielleicht verwenden wir’s doch besser als Schlagzeug.«

»Oh, nein!« rief sie, senkte ihre Auloi und legte eine Hand auf den Mund. »Ein luftgetriebenes Katapult? Wo war das, in Alexandria?«

Verblüfft lachte er. »Ja!«

»Dachte ich’s mir! Denen in Alexandria fällt alles ein. Sag mal, du bist doch dort gewesen: Ich habe gehört, daß dort jemand eine Maschine gebaut hat, mit der man dreißig Auloi gleichzeitig spielen kann. Weißt du.«

Archimedes mußte vor Begeisterung laut lachen. »Das ist Ktesi-bios!« rief er. »Derselbe Freund, der das luftgetriebene Katapult baut. Er nennt dieses Instrument einen Wasser-Aulos. Ich habe ihm dabei geholfen!«

Das Mädchen löste das Mundband und legte ihr Instrument beiseite. Ihre Haare hatten sich aus dem Netz gelöst und umrahmten nun in schwarzen Locken ihr Gesicht. »Funktioniert er?« wollte sie wissen. »Ich meine dieser, dieser Vielfachaulos. Ich kann mir das einfach nicht vorstellen!«

»In Wirklichkeit sind’s keine dreißig Auloi«, erzählte ihr Archimedes, »sondern dreißig Pfeifen, von denen jede nur einen Ton spielt. Alle sind unterschiedlich lang, siehst du, wie die Rohrpfeifen einer Syrinx. Um sie zum Klingen zu bringen, muß man eine Taste drücken, die ein Ventil am Pfeifenboden öffnet. Durch den Wasserdruck aus einem darunterliegenden Tank strömt Luft in die Pfeife. Deshalb heißt es auch Wasser-Aulos. Schau, da hat man also unter Wasser diese umgedrehte Halbkugel und zwei Röhren, die.«

»Ein Wasser-Aulos«, wiederholte das Mädchen, das dieses neue Wort sichtlich genoß - Hydraulis. »Wie klingt das?«

»Eher wie eine Syrinx als wie eine Flöte. Aber lauter und klangvoller - fast wie eine Glocke. Es durchdringt selbst den Lärm einer großen Menschenmenge. Die Alexandriner haben eine im Theater aufgestellt. Ich habe Ktesibios gesagt, er solle das Ding WasserSyrinx nennen, aber er bestand lieber auf seinem Namen.«

»Du hast gesagt, du hättest beim Bau geholfen?«

»Hauptsächlich habe ich Ktesibios beim Stimmen der Pfeifen geholfen. Eigentlich hat er ja nie richtig musizieren gelernt, dabei ist er das ungewöhnlichste Genie. Er ist.«