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»Könntest du eine bauen?«

Archimedes blinzelte.

»Nicht jetzt«, sagte das Mädchen schnell. »Ich weiß, es ist Krieg und der Katapultebau geht vor. Aber danach, wenn es ein danach geben sollte, könntest du mir dann einen Wasser-Aulos bauen?«

Wieder blinzelte Archimedes. »Liebend gern«, erklärte er ihr, »aber das ist kompliziert. Man.«

»Du kannst es nicht?«

»Ich - nein, das nicht, aber man braucht viel Zeit dafür. Und außerdem kostet er leider viel Geld. Ktesibios hat für seinen sechzehnhundert Drachmen verlangt.«

Das Mädchen wirkte nicht im geringsten enttäuscht. »Mein Bruder liebt Musik«, sagte sie, »und in geniale Maschinen ist er förmlich vernarrt. Wenn du einen Wasser-Aulos bauen kannst, wird er gerne sechzehnhundert Drachmen bezahlen. Da bin ich mir sicher.«

»Dein Bruder?« fragte Archimedes, denn plötzlich hatte er das schreckliche Gefühl, daß er wußte, von wem die Rede war.

»Aha«, sagte sie und senkte ihre geraden, schwarzen Augenbrauen. »Du hast es also nicht geahnt. König Hieron.«

»Nein«, sagte er wie betäubt, »ich habe es nicht geahnt.« Einen Augenblick betrachtete er sie genauer: den Silbergürtel, die feingewebte Tunika. Aber er konnte sich einfach nicht auf die teure Kleidung konzentrieren. Immer wieder wanderte sein Blick zu ihrem runden Gesicht mit den schwarzen Locken und den strahlend dunklen Augen und den kräftigen Musikerhänden. Anklagend fügte er hinzu. »Du hast nicht so alt ausgesehen.«

»Eigentlich ist er ja mein Halbbruder«, sagte sie. Alles Lebhafte war aus ihrem Gesicht und der Stimme verschwunden, und sie klang ganz wie eine gelangweilte Adelige. »Er war schon fast erwachsen, als unser Vater meine Mutter geheiratet hat.«

König Hieron war ein Bastard, das Ergebnis der Jugendsünde eines reichen Syrakusers. Ganz Syrakus wußte darüber Bescheid. Archimedes vermutete, daß dieses Mädchen die legitime Tochter jenes reichen Mannes war. Sie stand weit über seiner Klasse. Eigentlich durfte er hier, im privaten Teil des Hauses, gar nicht sein und sich mit ihr unterhalten. Syrakus räumte seinen Frauen mehr Freiheit ein als viele andere Griechenstädte, trotzdem war es absolut ungehörig, daß sich ein junger Mann mir nichts dir nichts in ein Privathaus schlich und unbekannterweise und ohne Aufsicht mit der unverheirateten Schwester des Besitzers plauderte. Noch dazu, wenn es sich bei dem Mädchen um die Tochter eines vornehmen Mannes und die Schwester eines Königs handelte. Trotzig zupfte er seinen fleckigen Mantel zurecht und redete sich ein, daß er schließlich ein Demokrat sei. »Ich kann einen Wasser-Aulos bauen«, erklärte er. »Wenn dein Bruder bereit ist, dafür zu bezahlen, würde ich dir sehr gerne einen bauen. Mir sind Blasinstrumente sowieso lieber als Saiteninstrumente.«

Auf diese Bemerkung hin lächelte sie wieder, lange und breit. Da wußte er, daß er das richtige gesagt hatte, und strahlte seinerseits. »Wie heißt du?« fragte sie.

Schon wollte er den Mund aufmachen, da wurde ihm die Antwort förmlich entgegengeschrien. »Archimedes, Sohn des Phidias!« tönte es schockiert und mißbilligend. Er und das Mädchen fuhren gleichzeitig herum und sahen sich vier Männern gegenüber, die auf sie herunterstarrten. Der eine war Dionysios, der andere der exaltierte Türhüter und wegen des Purpurmantels mußte ein dritter der Regent Leptines sein.

4

Noch immer starrte Archimedes den Regenten mit offenem Mund wie ein Idiot an. Nur das Mädchen wirkte völlig ungerührt. »Gute Gesundheit, Vater!« rief sie und lächelte Leptines an. »Dieser edle Herr spielt Aulos und hat mir eine Methode gezeigt, wie man Zwischentöne spielt.«

Der Regent, ein großer, grauhaariger Mann mit grimmiger Miene, gab sich damit nicht zufrieden, sondern trat zum Brunnen und warf Archimedes einen vernichtenden Blick zu.

Archimedes lief knallrot an. Erst viel später fiel ihm ein, daß er sich vermutlich hätte fürchten sollen, aber in dem Moment war er nur peinlichst verlegen. Das war wohl die blödeste Art, einen Auftrag zu verlieren! »Ich, äh, ich wußte nicht, wer da spielt«, stammelte er zu seiner Verteidigung. »Ich habe nicht bemerkt, daß es eine Frau war. Ich habe nur, äh, die Musik gehört und mir gedacht, ich könnte mit einem anderen Aulisten einen Kunstgriff teilen. Ich hatte nichts Despektierliches im Sinn, Herr.«

Dies schien den Regenten etwas zu besänftigen, aber trotzdem fragte er eisig: »Junger Mann, läufst du immer ohne Einladung in den Privatgemächern von anderer Männer Häuser herum?«

»Aber, Vater, wir sind doch gar nicht in einem Privatgemach!« rief das Mädchen. »Wir sind im Garten.«

»Delia, das reicht!« meinte Leptines streng. »Geh in dein Zimmer!«

Delia, dachte Archimedes. Dummerweise freute er sich trotz der kritischen Situation, daß er ihren Namen erfahren hatte. Er hätte nicht danach fragen können, denn eine junge Dame nach ihrem Namen zu fragen, war fast so unschicklich wie ein Gespräch mit ihr unter vier Augen. Delia. »Der Delier« war einer der Beinamen von Apollon, jenem Gott, der ganz eng mit der Mathematik in Verbindung gebracht wurde. Er hielt es für ein gutes Vorzeichen, daß das Mädchen denselben Namen hatte wie sein göttlicher Schutzpatron.

Delia ging nicht in ihr Zimmer, sondern drückte sich nur noch fester auf ihren Platz am Brunnenrand. »Ich werde nicht gehen, solange du so tust, als ob ich etwas Unanständiges gemacht hätte!« fuhr sie ihn an.

Soviel Widerspenstigkeit verschlug Archimedes den Atem, aber noch überraschter war er, als Leptines nur verzweifelt mit den Augen rollte und sie in Ruhe ließ. Von Mädchen wurde Gehorsam erwartet und wenn nicht, durfte sie jeder Haushaltsvorstand bestrafen. Aber natürlich - Leptines war ja gar nicht das Oberhaupt von Delias Haushalt. Sie nannte ihn zwar »Vater«, aber nur aus Höflichkeit. In Wirklichkeit war der Regent lediglich der Schwiegervater ihres Halbbruders, der die eigentliche Autoritätsperson war.

»Ich habe nichts falsch gemacht!« betonte Delia. »Ich bin nur im Garten gesessen und habe etwas Schwieriges auf der Flöte ausprobiert, da ist dieser junge Mann - Archimedes, so heißt er doch? -aufgetaucht und hat mir einen Tip gegeben, wie ich’s besser machen kann. Beim Herakles! Was ist daran unanständig?«

Da der Regent bei diesen Worten noch verärgerter dreinschaute, sagte Archimedes: »Tut mir leid, Herr. Ich, äh, ich begreife erst jetzt, daß es falsch war, daß ich hier ohne Einladung eingedrungen bin. Ich, äh, entschuldige mich aufrichtig dafür. Aber, wie gesagt, ich hatte keine Ahnung, wer da spielt, und deshalb schien es mir zu diesem Zeitpunkt ganz natürlich, einen Kunstgriff mit einem Mitau-listen zu teilen.«

»Na schön«, sagte der Regent förmlich, »ich nehme deine Entschuldigung an.«

Zur großen Überraschung schien die ganze Angelegenheit damit beendet zu sein. Dionysios schaute Archimedes an und zog die Augenbrauen hoch. Archimedes wußte nicht so recht, ob der Blick als Glückwunsch oder Mitleidsbezeugung gedacht war.

Schließlich kam er zu dem Entschluß, daß es nicht der Hauptmann gewesen sein konnte, der derart mißbilligend seinen Namen gerufen hatte, sondern vermutlich dieser exaltierte Türhüter. Nach einem schiefen Blick auf den Türhüter, der immer noch ein äußerst mißbilligendes Gesicht zog, musterte er den vierten Mann, den er noch nie gesehen hatte. Er war vielleicht fünfzig, durchschnittlich groß und hatte ein zerfurchtes Gesicht. Seine braunen Haare wurden schon grau. Über einer Arbeitsschürze trug er einen staubigen Mantel. Er funkelte Archimedes noch wütender an als alle anderen.

»Archimedes, Sohn des Phidias«, sagte Leptines noch immer sehr förmlich, »soweit ich weiß, bist du heute morgen hierhergekommen, um der Stadt als Ingenieur zu dienen.«