»Jawohl, Herr«, pflichtete ihm Archimedes ernsthaft bei. »Hauptmann Dionysios meinte, du brauchtest jemanden zum Bau von einigen Steinschleudern. Ich bedauere, wenn.«
»Außerdem habe ich erfahren«, unterbrach ihn Leptines, »daß du behauptest, du wärest in der Lage, ein Ein-Talenter-Katapult zu bauen, obwohl du in Wirklichkeit noch nie irgendeine Kriegsmaschine gebaut hast.«
Delia machte ein verblüfftes Gesicht, was Archimedes sofort auffiel. Noch vor seiner Antwort warf er ihr einen entschuldigenden Blick zu. »Äh, das stimmt. Aber, äh, aber man muß keines gebaut haben, es reicht, wenn man die mechanischen Grundprinzipien verstanden hat.«
»Absoluter Blödsinn!« rief der Handwerker und schaute noch finsterer drein. »Erfahrung ist der einzig wahre Teil der Mechanik. Man muß ein Gefühl für den Ablauf der Dinge entwickeln, eine Art Weisheit der Hände. Und die bekommt man nur, wenn man Maschinen auch wirklich baut.«
Wieder schaute Archimedes den Handwerker an, der ihn wütend anfunkelte. Die anderen beobachteten das Duell. Der Regent und der Türhüter wie zwei Richter, Dionysios mit erwartungsvoller Miene, und Delia schaute drein, als ob sie ganz konzentriert ein Theaterstück verfolgte.
»Herr«, meinte Archimedes respektvoll. Er zerbrach sich noch immer den Kopf darüber, wer dieser Handwerker war. Hoffentlich nicht Eudaimon, jener Mann, der für die Versorgung der Stadt mit Katapulten zuständig war. Aber insgeheim befürchtete er, daß es genauso war. »Herr, es stimmt, daß man Maschinen gebaut haben muß, um Maschinen bauen zu können. Darüber würde ich mit dir nicht streiten. Allerdings kannst du unmöglich behaupten, daß man einen ganz bestimmten Maschinentyp schon gebaut haben muß, bevor man auch nur ans Bauen denken kann!« Das Lächeln von Delia ermutigte ihn, fortzufahren. »Ich habe schon jede Menge Maschinen gebaut und weiß, was funktioniert und was nicht. Und was die Katapulte betrifft, so habe ich welche gesehen und mich intensiv damit befaßt. Deshalb bin ich auch felsenfest überzeugt, daß ich welche bauen kann. Sonst wäre ich gar nicht hier. Hat denn Hauptmann Dionysios nicht erwähnt, daß ich keine Bezahlung brauche, bis das erste Katapult auch wirklich funktioniert hat?«
»Vergeudetes Holz, Sehnen und Arbeitszeit!« knurrte der Handwerker. Er wandte sich an Leptines. »Herr, du solltest diesen arroganten, jungen Narren hinauswerfen!«
»Ich würde ihn ja hinauswerfen«, meinte Leptines ungeduldig, »wenn du mir versprechen könntest, daß du die Katapulte produzierst, die der König wünscht. Aber da du diesbezüglich versagt hast und er dagegen behauptet, daß er’s kann, bin ich verpflichtet, ihm wenigstens einen Versuch zu gestatten.«
Vor Empörung verkrampfte der Handwerker die Gesichtsmuskeln. Also war dieser Mann doch Eudaimon, dachte Archimedes unglücklich. Damit stand eines von vornherein fest: Sollte Archimedes den Auftrag bekommen, würde Eudaimon das als persönliche Beleidigung und Bedrohung empfinden. Diese neue Beschäftigung machte nicht gerade einen sehr sicheren Eindruck.
Da drehte sich der Regent wieder zu Archimedes um und sagte: »Ich bin geneigt, dir die Berechtigung zur Benutzung der königlichen Werkstatt zum Bau eines Ein-Talenter-Katapults zu erteilen. Dennoch werde ich angesichts deiner geringen Erfahrung darauf bestehen, daß du, falls deine Maschine nicht funktioniert, nicht nur keine Bezahlung erhältst, sondern auch der Werkstatt sämtliches Material ersetzen mußt.«
»Das ist nicht fair!« warf Delia empört ein. »Das Material kann ein anderer wiederverwenden!«
»Delia, sei still!« befahl der Regent.
»Nein!« sagte sie ärgerlich. »Du bist nur unfair zu ihm, weil er sich mit mit unterhalten hat. Du kannst nicht erwarten, daß ich deswegen stumm dasitze!«
Sie warf Archimedes einen besorgten Blick zu. Er wußte nicht so recht, was er davon halten sollte: Einerseits schmeichelte es ihm, daß sie sich um ihn Gedanken machte, andererseits empfand er es als demütigend, daß sie von seinem Scheitern so überzeugt war. Er richtete sich kerzengerade auf, warf seinen fleckigen Mantel zurück und verkündete kühn: »Bitte, sorge dich nicht, gnädige Dame! Meine Maschine wird funktionieren. Deshalb bin ich auch im Fall des Gegenteils damit einverstanden, daß ich das Material bezahle.«
Eudaimon lachte rauh. »Hoffentlich hast du Geld!« rief er Archimedes zu. »Hast du überhaupt einen Schimmer, wieviel Holz und Sehnen man für einen Ein-Talenter braucht?«
»Ja, habe ich«, meinte Archimedes triumphierend, zog erneut seine Berechnungen aus dem Beutel, entfaltete das Blatt und hielt es dem Regenten hin. »Hier sind die geschätzten Zahlen.«
Verblüfft starrte Leptines den Papyrus an, ohne ihn zu berühren. Nur Eudaimon schnappte sich mit einem noch finstereren Gesicht das Blatt. »Was soll dieser Blödsinn?« wollte er wissen, während er es überflog. »Du kannst unmöglich wissen, wie groß der Durchmesser für das Bohrloch bei einem Ein-Talenter sein soll! In der ganzen Stadt steht keine einzige Maschine dieser Art!«
»Die Alexandriner haben sich eine Formel ausgedacht«, antwortete Archimedes mit Genugtuung. »Vermutlich kennst du sie nicht, weil sie noch ganz neu ist, aber sie wurde bereits mehrfach ausprobiert und - sie funktioniert. Man nimmt das Gewicht, das geschleudert werden soll, multipliziert es mit hundert, zieht daraus die Kubikwurzel, addiert ein Zehntel der Summe dazu und erhält den Durchmesser des Bohrlochs in Fingerbreiten.«
Eudaimon grinste höhnisch. »Und was, im Namen aller Götter, ist eine Kubikwurzel?« fragte er.
Archimedes war so erstaunt, daß er nur noch blinzeln konnte. Die Lösung des delischen Problems, dachte er, der Grundpfeiler der Architektur, das Geheimnis der Dimensionen, das Spielzeug der Götter. Wie konnte jemand, der angeblich etwas vom Katapultbau verstand, nicht wissen, was eine Kubikwurzel war?
Eudaimon warf ihm einen abgrundtief verächtlichen Blick zu, dann zerknüllte er absichtlich das Papyrusblatt, tat so, als ob er sich damit den Hintern abputzen würde, und ließ es zu Boden fallen.
Mit einem empörten Schrei sprang Archimedes auf, um seine Berechnungen zu retten, aber Eudaimon stellte den Fuß auf das Papyrus. Archimedes konnte nur noch an der eingeklemmten Ecke herumzerren, die unter der Sandale herausschaute. »Du glaubst also, du könntest Katapulte bauen, weil du etwas von Mathematik verstehst?« fuhr ihn der oberste Katapultingenieur an.
Archimedes, der noch immer zu seinen Füßen kniete und an dem zerknüllten Blatt herumzerrte, warf einen wütenden Blick in die Höhe. »Ja, bei Zeus!« rief er erhitzt. »Ich behaupte sogar, daß ein Mensch, der nichts von Mathematik versteht, logischerweise auch keine Katapulte bauen kann. Du verstehst es nicht oder kannst es nicht, denn sonst wäre ich nicht hier!«
Wütend trat Eudaimon mit dem Fuß nach ihm. Die Geste war mehr als Drohung gemeint. Er wollte ihn nicht richtig treffen, aber als er den Fuß hob, stürzte sich Archimedes auf seine Berechnungen. Der Tritt traf ihn mitten ins rechte Auge. Es war wie eine Explosion, die ihm direkt ins Gehirn schoß. Rote und grüne Sterne tanzten vor seinen Augen. Wie gelähmt sackte er zusammen, umklammerte sein Gesicht mit beiden Händen und wälzte sich keuchend vor Schmerz auf dem Boden hin und her. Er nahm verschwommen wahr, daß ihn Menschen umringten. Jemand versuchte, ihm die Hände vom Gesicht zu ziehen.
Aber er umklammerte mit einer Faust eisern das Papyrus und wehrte sich.
»Na los!« rief eine Männerstimme. Er begriff, daß es Hauptmann Dionysios war. »Laß mich dein Auge sehen.«
Daraufhin ließ Archimedes die Hände sinken, hielt aber immer noch den Papyrus fest umklammert. Vorsichtig untersuchte Dionysios die Verletzung. »Versuch mal, dein Auge aufzumachen«, meinte er. »Kannst du sehen?«
Archimedes blinzelte ihn an. Das Gesicht des Hauptmanns waberte vor seinen Augen hin und her. Die eine Hälfte konnte er klar sehen, während die andere nur ein verschwommenes, rötliches Etwas war. Stöhnend legte er eine Hand über den verschwommenen Fleck. »Unscharf«, sagte er, »du siehst rot aus.«