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Zuerst befragte der Zollbeamte den Kapitän des Schiffes. Inzwischen wartete neben dem Landungssteg dicht aneinandergedrängt ein Dutzend Passagiere. »Kommst wohl von Alexandria?« wollte der Beamte wissen. Er konnte seine Herkunft nicht verleugnen. Sein gedehnter dorischer Dialekt war typisch für die Stadt. Der Klang dieser Töne entlockte Archimedes ein Lächeln. Das einzige, was ihn in Alexandria wirklich gestört hatte, war die Art und Weise gewesen, wie sich jeder über seine Aussprache lustig gemacht hatte. Also hatte das Zuhausesein wenigstens doch ein paar gute Seiten, aber das allerbeste war das Wiedersehen mit seiner Familie. Er versuchte, seine Ungeduld zu zügeln, und schlang die Arme um sich. Leider hatte er es nicht mehr geschafft, seiner Familie mitzuteilen, mit welchem Schiff er segeln und wann er vermutlich ankommen würde. Deshalb wollte er sie nun unbedingt überraschen.

Der Kapitän bestätigte, daß das Schiff über Cyrene von Alexandria gekommen war und Leinen, Glaswaren sowie einige Gewürze transportierte. Er zog den Frachtschein hervor, den der Zollbeamte Punkt für Punkt überprüfte. Archimedes wurde abgelenkt. Neben dem Schiff trieb ein toter Fisch im Wasser. Er lag auf der Seite, sein Schwanz ragte leicht nach oben. Lebende Fische schwammen mit dem Bauch nach unten. Warum trieben die toten dann immer auf der Seite? In Gedanken stellte er sich ein Stück Holz vor, dessen Länge und Breite ungefähr der Größe des Fisches entsprach. Auch dieses würde auf der Seite dahertreiben. Wie aber wäre das mit einem breiteren Holzstück, zum Beispiel mit einer Art Schachtel? Würde die auch mit der Schmalseite nach unten treiben oder mit der Breitseite?

Der Zollbeamte hatte angefangen, mit dem Kapitän zu plaudern. Offensichtlich würde das freudige Wiedersehen noch geraume Zeit auf sich warten lassen müssen. Archimedes rieb mit der Sandale über den schmutzigen Stein am Kai, dann ging er in die Hocke und zog seine Zirkelgarnitur aus dem Gürtel. Zum Glück hatte er vergessen, sie Marcus zum Einpacken zu geben.

Er war völlig in das Gleichgewicht von halbregelmäßigen Körpern vertieft, als ihm eine Hand auf die Schulter tippte und jemand mit lauter Stimme ein »Nun?« von sich gab. Als er von seinen Zeichnungen aufblickte, begriff er, daß der Zollbeamte ihn meinte. Die zwei Soldaten starrten ihn grinsend an, und auch die Sonne stand inzwischen merklich tiefer. Alle anderen Passagiere waren fort, nur Marcus saß noch geduldig am Ende des Landungssteges auf der Reisetruhe.

Verlegen sprang Archimedes mit hochrotem Kopf auf die Füße. »Was hast du gesagt?« fragte er, wobei er sich mit Gewalt bemühte, die halbregelmäßigen Körper aus seinem Kopf zu verbannen, die noch immer dort herumschwirrten.

»Ich habe dich nach deinem Namen gefragt!« wiederholte der Zollbeamte verärgert.

»Entschuldigung. Archimedes, Sohn des Phidias. Ich bin Bürger von Syrakus.« Andeutungsweise wedelte er mit der Hand in Richtung Marcus. »Und das sind mein Sklave und meine Habseligkeiten.«

Als der Beamte merkte, daß er es mit einem Mitbürger zu tun hatte, wurde er freundlicher. Archimedes - ein seltener Name, noch dazu in einer Stadt, in der die Hälfte der männlichen Bevölkerung nach den großen Regenten der Vergangenheit Hieron, Gelon oder Dionysios hieß. Der Name Phidias kam ihm irgendwie bekannt vor, allerdings nur auf Grund einiger Geschichten über einen intellektuellen Exzentriker, die dem Beamten zu Ohren gekommen waren. »Dein Vater ist der bekannte Astronom, stimmt’s?« fragte er. »Ich habe von ihm gehört.« Dann fiel sein Blick auf die geometrischen Figuren, die über den ganzen Kai verteilt waren. Er schnaubte verächtlich. »Scheint, als wäre der Apfel nicht weit vom Stamm gefallen. Was hast du denn in Alexandria getrieben?«

»Studiert«, sagte Archimedes und schluckte irritiert. Es war keine Beleidigung, wenn ihm einer erklärte, er sei durch und durch ein Sohn seines Vaters. »Mathematik.«

Jetzt stieß der eine Soldat den anderen an und flüsterte ihm etwas zu. Der zweite lachte. Der Beamte ignorierte alle beide. »Du bist wegen dem Krieg nach Hause gekommen?« meinte er anerkennend, und als Archimedes nickte, fuhr er mit noch mehr Anerkennung fort: »So ist’s recht, ein tapferer junger Kerl, der heimkommt, um für seine Stadt zu kämpfen!«

Archimedes lächelte ihn schief an. Wie es sich gehörte, stand er loyal zu seiner Stadt, allerdings hatte er keinesfalls vor, sich zur Armee zu melden, falls es sich irgendwie vermeiden ließ. Er war felsenfest überzeugt, daß er als Konstrukteur von Kriegsmaschinen Syrakus wesentlich mehr nützen konnte. Außerdem hatte er schon während der Schulzeit die übliche Militärausbildung genossen und -gründlichst verabscheut: Drill, Speerwurf, Ringen, Wettlauf in voller Rüstung, die totale Erschöpfung samt Blasen an den Händen, draußen die Demütigung durch die tollen Sieger und danach die noch demütigenderen sexuellen Annäherungsversuche im Badehaus. Als das Haus mit dem Speer, der Staatseigentum war, endlich vorüber war, hatte er die gemeine Waffe in Stücke gehackt und aus den Einzelteilen ein Vermessungsinstrument gebastelt. Er hatte nicht vor, jetzt einen neuen Speer zu kaufen. Dennoch war er klug genug, sich nicht mit einem Zollbeamten anzulegen.

Ahnungslos lächelte der Zollbeamte zurück und ging zu Marcus hinüber, um ihn und das Gepäck zu inspizieren. »Dieser Sklave gehört dir?« rief er fragend über die Schulter zurück. Höflich glitt Marcus von der Truhe.

»Ja«, antwortete Archimedes und entspannte sich. »Mein Vater hat ihn vor Jahren hier in der Stadt gekauft und dann mir überlassen, als ich nach Alexandria ging.«

»Dann mußt du dafür auch keinen Zoll bezahlen. Und die Sachen da, die gehören dir? Zum Privatgebrauch? Nichts, was du verkaufen möchtest?« Prüfend wanderte der geschulte Blick des Beamten darüber: eine große, sargförmige, stark mitgenommene Truhe aus Holz und Leder, an die man mit Stricken einen neuen Weidenkorb gebunden hatte. Zweifelsohne hatte die Truhe das gesamte Hab und Gut ihres Besitzers nach Ägypten befördert. Zur Zeit der Rückreise hatte man gemerkt, daß sich inzwischen mehr angesammelt hatte, also hatte man den Korb gekauft. »Was ist in dem Korb?«

»Eine, hm, Maschine«, meinte Archimedes betreten.