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Marcus hielt inne. »Bis auf die Sache mit der Geometrie hört sich’s wie die übliche Geschichte an, nicht wahr? Ein junger Mann ist zum ersten Mal von zu Hause fort und gerät in einer fremden Großstadt völlig außer Rand und Band, während sein getreuer Sklave klagend die Hände wringt: >Ach Herr, denk doch an deinen armen, alten Vater und fahr nach Hause!< Na schön, aber von jetzt an läuft die Sache ganz anders als gewohnt. Mein Herr baut Maschinen, keine stinknormalen, sondern so raffinierte, geniale Maschinen, wie man sie nirgendwo zu sehen bekommt, selbst wenn einer vom einen Ende der Welt bis zum anderen reisen würde. Und so haben wir es zwei Jahre lang in Alexandria ausgehalten: Immer wenn wir knapp bei Kasse waren, hat er irgend etwas zusammengebastelt, das ich dann verkauft habe. An dem da hat er auch ’ne ganze Weile herumgespielt«, Marcus deutete mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf den Weidenkorb hinter ihm, »aber leider kam er nie dazu, sich darum zu kümmern, ob irgend jemand eines in Originalgröße haben wollte. Doch dann hat er das Ding zu einem reichen Bekannten von uns geschleppt, der erst kürzlich ein Landgut im Nildelta erworben hatte und nun unbedingt seinen Boden verbessern wollte. Ein Blick -und schon hatte sich Zenodotos in die Wasserschnecke verliebt. Ein kluger Mann, denn die Wasserschnecke ist die erstaunlichste Maschine, die Archimedes je gebaut hat, die erstaunlichste Maschine, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Zenodotos hat sofort acht von den Dingern zu dreißig Drachmen pro Stück bestellt. Außerdem hat er uns nicht nur das gesamte Material und die Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt, sondern auch während der Bauzeit unseren Lebensunterhalt sowie sämtliche Reisekosten bezahlt, die auf dem Weg von und zu seinem Landgut anfielen.

Also haben wir uns zu seinem Landsitz hinaufbegeben und an die Arbeit gemacht. Kaum waren wir mit der ersten Wasserschnecke fertig, kamen die Leute vorbei, um sie anzuschauen. Nun muß man wissen, daß in Ägypten seit der Erschaffung der Welt bewässert wird. Also meinen die Leute, sie wüßten alles, was mit dem Wasserschöpfen zusammenhängt. Aber eine Wasserschnecke - so etwas hatte bisher noch keiner gesehen. Und jeder - ich sag’s dir, jeder -, der auch nur einen Flecken Land im Delta besaß, wollte unbedingt eine haben. Ich habe den Preis auf vierzig Drachmen erhöht, dann auf sechzig und schließlich auf achtzig. Alles umsonst, die Leute sind noch immer Schlange gestanden und wollten kaufen. Und dann hatten natürlich die reichen Männer das Warten satt. Einer nach dem anderen kam zu mir nach vorne, steckte mir verstohlen eine Drachme zu und meinte: >Sieh zu, daß dein Herr meine Bestellung zuerst erledigt<. Daher stammt mein Geld, vom Verkauf der Abfallprodukte des genialen Archimedes.«

»Wenn das tatsächlich so einträglich war, warum baut ihr dann nicht noch immer Wasserschnecken?« fragte Straton skeptisch.

»Archimedes wurde es langweilig«, antwortete Marcus ohne Zögern. »Sobald seine Maschinen funktionieren, verliert er jedesmal das Interesse daran. Da verbringt er lieber seine Zeit mit Kreiszeichnungen, entschuldige, mit Kuboiden. Natürlich haben auch andere angefangen, Wasserschnecken zu bauen, und sie, so gut es ging, von den unseren abgeschaut. Aber trotzdem war allen klar, daß Archimedes der Erfinder war, und so kamen sie immer erst mal zu uns. Wir hätten ein Vermögen machen können, jawohl, das hätten wir! Statt dessen hat mein Herr die erstbeste Gelegenheit genutzt, um sich wieder der Geometrie zu widmen. Hat sich einen geschäftstüchtigen Kerl gesucht, der bereit war, für den Konstruktionsplan hundert Drachmen zu bezahlen, hat ihm unser Auftragsbuch in die Hand gedrückt und ist nach Alexandria zurück, um Kreise zu zeichnen. Ich sag dir was, schon beim bloßen Gedanken daran könnte ich heulen. Und nun paß mal auf! Das ist also das letzte Mal passiert, als sich Archimedes als Maschinenbauer betätigt hat. Und jetzt wird er’s wieder so machen. Ich setze auf ihn, gegen jeden Ingenieur, der König Hieron je zu Ohren gekommen ist. Nimmst du die Wette an?«

»Kann ich diese Wasserschnecke mal sehen?«

Marcus grinste. »Sicher.« Als sich der Soldat dem Weidenkorb näherte, fügte er hinzu: »Aber für eine Vorführung verlange ich zwei Oboloi.«

Straton hatte schon die Hand an der Korbverschnürung. Ärgerlich hielt er inne. »Und das erlaubt dir dein Herr?«

»Er überläßt mir sämtliche Geldgeschäfte«, meinte Marcus kühl. »Hast du nicht hingehört?«

Einen kurzen Augenblick musterte Straton den Sklaven, dann lachte er. »Na schön!« rief er aus. »Tut mir leid, daß ich über deinen Herrn gelacht und damit deine Loyalität beleidigt habe. Du bist ein guter Sklave.«

»Bin ich nicht!« erklärte Marcus mit Nachdruck. »Ich bin frei geboren und noch lange nicht genug Sklave, um das zu vergessen. Aber ehrlich bin ich! Nimmst du nun die Wette an oder nicht?«

»Zwanzig Drachmen gegen einen Stater? Daß deinem Herr innerhalb von sechs Monaten der Posten seines Vorgängers angeboten wird?«

»So ist’s.«

Straton dachte nach. Die Wette war interessant, und trotz allem, was der Sklave erzählt hatte, glaubte er an seinen Gewinn.

Schließlich stand der Sklave loyal zu seinem Herrn, und der hatte auf Straton keinen so besonders großen Eindruck gemacht. Eine Chance von zehn zu eins war in Ordnung. »Na schön«, stimmte er zu, »ich nehme an.«

Gerade als sie das Ganze durch einen Handschlag besiegelten, tauchte Archimedes höchstpersönlich mit einer Fackel in der Hand auf, die in der wachsenden Dunkelheit ein flackernd helles Licht verbreitete. Hinter ihm führte ein kleiner Junge einen Esel am Strick. Straton warf seiner neuen Bekanntschaft einen prüfenden Blick zu, der sonst für Rennpferde gedacht war. Er war beruhigt. Nein, dieser lange, junge Kerl in der schmutzigen Leinentunika und dem schäbigen Umhang sah nicht gerade wie ein gigantisches Genie aus. Was der dringend brauchte, war ein Haarschnitt, eine Rasur und ein Bad. Ein Knie war blutverkrustet, das andere dreckig, und sein Gesicht hatte einen geistesabwesenden, leeren Ausdruck. Der ägyptische Stater, dachte Straton, war ziemlich sicher.

Sie packten die Truhe auf den Esel, der darüber sichtlich unglücklich war, und beteuerten, daß sie sich morgen treffen würden. Dann drückte Archimedes Marcus die Fackel in die Hand, und der kleine Troß klapperte die Straße hinunter.

»Weshalb habt ihr euch die Hände geschüttelt?« fragte Archimedes seinen Sklaven, während sie den Hügel zur gegenüberliegenden Seite der Achradina hinaufkletterten.

Marcus lächelte ihn selbstzufrieden an. »Ich habe mit diesem Soldaten eine Wette abgeschlossen. Um den Stater zurückzuholen, den du ihm gegeben hast.«

Besorgt schaute ihn Archimedes an. »Hoffentlich verlierst du nicht dein Geld.«