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»Ich pfähle also Kinder, ja?« sagte Hieron nachdenklich. »Bei den Göttern! Na schön, mach weiter. Du hattest dich also verpflichtet, deinem Bruder und seinem Freund bei der Flucht zu helfen. Du hast ihnen Geld, eine Säge, ein Stück Seil und irgendeine Waffe gegeben.«

»Ein Messer«, sagte Marcus, »ja. Ich hatte gehofft, sie würden es nicht benutzen, aber ich habe gehört, daß sie’s doch getan haben. Es tut mir leid um den Mann, egal, wer’s war.«

»Er hieß Straton, der Sohn des Metrodoros«, sagte der König. »Ich glaube, du hast ihn gekannt.« Dieser Punkt hatte sich herausgestellt, während er mit Dionysios gewartet hatte.

Kreidebleich starrten ihn Archimedes und Marcus an. »Straton?« fragte Marcus entsetzt. »Aber - es waren doch gar nicht die Einheiten von der Ortygia, die.«

»Ich erhielt gestern das Kommando über die Gefangenen«, sagte Dionysios kalt. »Straton hatte vergangene Nacht am westlichen Mauerende Dienst. Sie haben ihm die Kehle durchgeschnitten.«

»Oh, ihr Götter!« stöhnte Marcus und schlug die Hände vors Gesicht. Er konnte die Augen nicht mehr ertragen, die ihn beobachteten. Die ganze, lange, schlaflose Nacht und die Anspannung des vorausgegangenen Tages holten ihn mit voller Wucht ein. Gleich würde er in Tränen ausbrechen. Straton! Kein namenloser Wachsoldat, sondern ein Mann, den er gekannt hatte. Ein gutmütiger Spielertyp, ein Kerl, der gerne Witze gemacht hatte, ein Mann mit dem gleichen ehrlichen Lebenshunger wie er selbst.

»Du hast ihn gemocht«, tönte leise die Stimme des Königs.

Marcus nickte hinter seinen Händen. »Ich. ja, ich mochte ihn. Er war ein Mann, der ein langes Leben verdient hätte. Oh, ihr Götter! Ich hätte ihnen nie etwas anderes als Geld geben dürfen! Gaius hat gesagt, er hätte keinen Fluchtversuch unternommen, wenn er gewußt hätte, daß ich nicht mitkommen wollte.«

»Und warum bist du nicht mit ihnen gegangen?« fragte der König. »Weshalb bist du überhaupt hier? Schließlich erwartet man nicht, einen römischen Bürger als Sklaven vorzufinden. Ich hatte vermutet, du wärest lediglich ein römischer Verbündeter und hättest jemanden wiedererkannt, der dir helfen könnte. Aber offensichtlich ist die ganze Situation wesentlich komplizierter.«

Marcus senkte die Hände. »Sie ist nicht kompliziert«, erklärte er bitter. »Ich habe mich beim Pyrrhuskrieg zu den Legionen gemeldet. Beim Angriff der Epiroten vor Asculum bin ich in Panik geraten, habe meinen Schild weggeworfen und bin gerannt. Danach habe ich behauptet, ich wäre kein Römer, um nicht zurückgeschickt zu werden.«

»Aha«, sagte Hieron mit einem empörten Unterton.

»Das verstehe ich nicht!« rief Archimedes. »Warum.«

»Die Römer töten Männer, die von ihren Posten desertieren«, sagte der König. »Sie reißen dem unglücklichen Deserteur die Kleider vom Leib und stellen ihn vor seinen Kameraden auf, die ihn dann mit Stöcken und Steinen zu Tode prügeln sollen. Sie betrachten dies als großartigen Ansporn zur Tapferkeit, was es zweifelsohne auch ist

- falls man bereit ist, für Tapferkeit einen derart hohen Preis zu bezahlen.« Hieron trat näher an Marcus heran und schaute ihm prüfend ins Gesicht. Er kam ihm so nahe, daß Marcus seinen heißen Atem fühlen konnte. Leider war er zwischen den Wachen eingeklemmt und konnte nicht zurückweichen. Unter diesem prüfenden Blick fühlte er sich an diesem Morgen zum ersten Mal wirklich als Gefangener.

»Aber trotz ihrer Einstellung sind sie gar nicht immer so verses-sen darauf, derart scharfe Strafen zu verhängen«, fuhr der König fort. »Männer, die nur aus Panik fliehen, kommen normalerweise mit einer Prügelstrafe davon. Und außerdem ist Asculum lange her. Meiner Ansicht nach hättest du nach so langen Jahren im Exil eigentlich zurückkehren können.«

»Sie hätten von mir Informationen über die Verteidigungsanlagen von Syrakus verlangt«, sagte Marcus. Seine Stimme klang flach, er fühlte sich wie erschlagen. Wer würde ihm glauben? Er hatte den Feinden von Syrakus ein Messer gegeben, das sie benutzt hatten, um einen Bürger zu töten. Wie konnte er danach noch behaupten, er wäre loyal? Trotzdem fuhr er fort: »Wenn ich mich geweigert hätte, sie ihnen zu geben, hätten sie mich getötet.«

»Und du hättest dich geweigert?«

»Ja!« Todesmatt raffte sich Marcus mit letzter innerer Kraft auf und starrte in diese undurchdringlichen Augen. »Ob du es glaubst oder nicht, ich hätte mich geweigert. Syrakus hat sich gegenüber dem römischen Volk nichts zuschulden kommen lassen, also hat auch Rom keinen Anlaß, es anzugreifen. Was mich betrifft, so hat mir diese Stadt ein Überleben ermöglicht. Daß es das Leben eines Sklaven war, war nicht ihre Schuld. Außerdem hat sie mir Dinge gegeben, von denen ich nicht einmal gewußt hatte, daß es sie gibt. Ich stehe in ihrer Schuld, eine Schuld, die ich nie durch Unrecht bezahlen werde. Mögen mich die Götter vernichten, wenn ich’s doch tun sollte - und mögen die Götter Syrakus gewogen sein und ihr die Siegeskrone schenken!«

»Dieses Gebet hätte ich am allerwenigsten von einem Römer erwartet«, bemerkte Hieron trocken. »Trotzdem hast du dem Mord an einem ihrer Verteidiger Vorschub geleistet und damit dieser Stadt bereits Unrecht zugefügt.« Er ging zu seiner Liege am Tisch zurück und setzte sich. »Laßt uns zu den Ereignissen der letzten Nacht zurückkehren. Bist du zum Steinbruch gegangen, um deinem Bruder und seinem Freund über die Mauer zu helfen?«

»Er war bei mir im Haus«, warf Archimedes dazwischen. »Wenn er fort gewesen wäre, hätten wir ihn abends vermißt. Außerdem hat er mich hereingelassen, als ich heimkam. Das war noch mehrere Stunden vor Mitternacht.«

»Er hat behauptet, sie wären schon dagewesen«, sagte Agathon. »Im Versteck.«

Marcus nickte und zählte noch einmal wie betäubt die Tatsachen auf: »Sie waren kurz vor Archimedes angekommen. Ich hatte ihnen gesagt, sie sollten, wenn möglich, zum Haus kommen, und zwar ab der dritten Nacht, nachdem ich mit ihnen gesprochen hatte. Ich ließ sie schwören, daß sie keinem Bewohner ein Haar krümmen durften.« Schaudernd fiel ihm wieder ein, wie Fabius mit dem Messer in der Hand und mit glitzernden Augen und blutiger Wange unter dem Eßzimmerfenster gekauert war. Aber es gab keinen Grund, warum er das dem König gegenüber erwähnen sollte.

»Königlicher Herr«, beschwor ihn Archimedes, »dieser Mann gehört mir.«

»Fraglich«, antwortete Hieron. »Anscheinend ist er römischer Bürger, er dürfte also gar kein Sklave sein. Marcus - Valerius, so heißt er schätzungsweise. Sohn des Gaius, aus dem Stammtribus der Valerien. «

»Mein Vater hatte ihn ganz legal erworben«, beteuerte Archimedes hartnäckig. »Er ist schon lange in meiner Familie und hat sich bis heute immer vertrauenswürdig erwiesen. Selbst jetzt hätte er sich nie unloyal verhalten, wenn er sich nicht durch eine ältere Bindung zu seinem Bruder verpflichtet gefühlt hätte. Er hat sich geweigert, seine eigene Sicherheit durch Verrat an der Stadt zu erkaufen, und ist hiergeblieben, um die Folgen seines Vergehens zu ertragen.«

»Tatsächlich?« fragte der König. »Oder hat er nur gehofft, daß man ihn nicht erwischt?«

»Ich hatte tatsächlich gehofft, daß man mich nicht erwischt«, warf Marcus rasch ein. »Trotzdem hatte ich mich im Falle eines Falles darauf eingestellt, die Folgen zu ertragen. Ich bin auch jetzt bereit dazu, mein König.« Er wünschte, sie würden endlich Schluß machen.

»Und was glaubst du, woraus diese Folgen bestehen?« bohrte Hieron weiter.

Schweigend starrte ihn Marcus an. Das runde Gesicht mit den strahlenden Augen war immer noch undurchschaubar. »Du wirst mich zum Tode verurteilen müssen«, sagte er. Er war stolz, wie ruhig es sich anhörte.