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Er wies einen seiner Begleiter an, sein Pferd zum nächsten öffentlichen Platz zu bringen und sich dort darum zu kümmern. Den Rest schickte er auf die Ortygia zurück und betrat das Haus nur in Begleitung seines Sohnes und Dionysios’, der ebenfalls eine Einladung zu diesem nachmittäglichen Treffen hatte, das anstelle eines großen Abendessens stattfand. Bei einem derart zwanglosen Anlaß untertags durften auch Arata und Philyra ihr Gesicht zeigen. Sie tauschten mit den Gästen steife Grüße aus und boten ihnen Kuchen und Wein an. Dann begab man sich ins Eßzimmer, wo sich die Sklaven ängstlich darum bemühten, Essen und Getränke anzubieten. Schließlich sagte Hieron beiläufig zu Archimedes: »Ich habe aus Alexandria Näheres über deine Wasserschnecke erfahren. Könntest du mir erklären, wie sie funktioniert?«

»Ich habe den Prototyp hier«, antwortete Archimedes, der die Formalitäten nur allzugern fallenließ. »Marcus hat ihn irgendwo verstaut. Mar.« Mitten im Wort hielt er inne und errötete.

»Ich denke, er liegt im Vorratsraum«, sagte Philyra rasch.

Die Wasserschnecke wurde herbeigeschafft, und mit ihr kehrten auch die Waschbretter und Eimer an ihren rechtmäßigen Platz zurück. Gelon, der sich bisher still mit Sesamkuchen vollgestopft hatte, vergaß alle Süßigkeiten und stürzte sich auf dieses neue Spielzeug, sobald es aufgestellt worden war. Er durfte gerne daran drehen. Nach einer Erklärung und dem Rat, langsam zu drehen, schaute er mit ungetrübter Begeisterung zu, wie das Wasser oben aus der Maschine herauslief.

»Bei Apollon!« sagte Hieron leise, kauerte sich neben seinen Sohn und betrachtete aufmerksam die Maschine. Er hatte sich nach dem Gerät erkundigt, um Archimedes zu beruhigen, aber bei diesem Anblick vergaß er völlig, daß es dazu je einen anderen Grund gebraucht hatte als seine eigene Begeisterung für geniale Erfindungen. »Ich glaube, das ist das schlaueste Ding, das ich je im Leben gesehen habe«, sagte er und strahlte den Erfinder mit der gleichen kindlichen Freude wie sein Sohn an.

Innerhalb von Minuten war auch der letzte Rest von steifer Atmosphäre verschwunden. Der König von Syrakus, sein Sohn und bald auch der Hauptmann der Ortygia-Garnison hockten im Hof und spielten mit der Wasserschnecke. Gelon wurde naß - was ihm an einem heißen Sommertag besonderen Spaß machte. Auch Dionysios wurde naß. Rasch mußte man Lumpen herbeischaffen, um seine Rüstung trockenzureiben, bevor sie Flecken bekam. Beim Anblick des Hauptmannes, der im scharlachroten Mantel an sich herumputzte, mußte Philyra kichern. Verlegen schaute er zu ihr hoch, aber beim Anblick ihrer Augen mußte auch er grinsen. Ein Kuchenteller wurde auf den Boden gestellt, damit sich die Gäste selbst bedienen konnten, und prompt trat einer hinein. Kurz danach konnte man aus dem hinteren Teil des Hauses eine schimpfende Sosibia hören, die Chrestos die Schuld daran gab. »Ach, sei nicht so hart zu dem Jungen!« rief ihr Hieron zu. »Wir sind selbst daran schuld, wenn wir auf dem Boden sitzen.«

Als die Faszination der Wasserschnecke nachließ, zog Philyra weitere Maschinen ihres Bruders aus dem Durcheinander im Vorratsraum hervor: ein astronomisches Instrument, einen Kran und eine Kombination von Geräten, die sich lediglich gegenseitig drehten. »Das sollte mal ein Teil einer Hebemaschine werden«, gestand Archimedes schamrot, »aber sobald man ein Gewicht daranhängt, ist alles blockiert.«

»Du hast eine Maschine gebaut, die nicht funktioniert?« fragte Dionysios sehr amüsiert. »Ich bin schockiert.«

»Er war doch erst vierzehn!« protestierte Philyra. »Ich habe sie trotzdem immer gemocht.« Liebevoll drehte sie das oberste Rad. »Seht ihr? Alle drehen sich unterschiedlich schnell.«

»Gelon mag sie auch«, sagte Gelons Vater trocken, als er die Gier im Gesicht des Jungen bemerkte, der mit offenem Mund dastand.

Archimedes räusperte sich. »Nun«, sagte er, »ähem - Gelon, Sohn des Hieron, möchtest du das gerne haben?«

Gelon schaute mit strahlenden Augen zu ihm auf, nickte und schnappte sich die Geräte.

»Gelonion«, sagte Hieron scharf, »wie sagt man?«

»Danke!« sagte der Junge mit aller erforderlichen Wärme.

Einen Moment lächelte Hieron über die Begeisterung seines Sohnes, dann schaute er Archimedes fragend an. Er spürte, daß es Zeit war, sich die persönliche Bitte von Archimedes anzuhören.

Auch Archimedes fühlte, daß sich wie von selbst die ideale Gelegenheit ergeben hatte. »Ähem«, sagte er und versuchte, seine flatternden Magennerven zu beruhigen, »königlicher Herr, könnte ich dich einen Augenblick privat sprechen?«

Sie gingen ins Eßzimmer zurück. Zum Fenster drangen verschiedene Geräusche herein: Arata redete mit dem kleinen Gelon, Dionysios fragte Philyra etwas über Musik. Während es sich Hieron auf der Liege bequem machte, setzte sich Archimedes auf den Rand eines Stuhles. Jetzt, im entscheidenden Moment, war sein neues Selbstbewußtsein wie weggeblasen. Er hatte geglaubt, es wäre besser, die Frage in seinem eigenen Hause zu stellen, wo er der Herr war. Aber auch herausgeputzt und mit Girlanden geschmückt, blieb das Haus, was es war: das Wohnhaus eines Lehrers aus der Mittelschicht, ein Haus mit verputzten Wänden und einem gestampften Lehmboden. Wenn er es mit der Villa auf der Ortygia und ihrem Marmorboden verglich, schämte er sich. Er gehörte nicht zu jener Schicht, die um die Schwester eines Königs anhalten konnte. Trotzdem räusperte er sich und sagte so leise, daß es die anderen im Hof nicht hören konnten: »Königlicher Herr, vergib mir, falls meine Bitte zu kühn ist, aber du selbst hast mich ermutigt, um Dinge zu bitten, die jenseits meiner Erwartung liegen.«

»Ich habe dir alles versprochen, was du auch in Ägypten bekommen kannst, mit Ausnahme des Museions«, antwortete Hieron ernst. »Ich freue mich, wenn du mich um etwas bitten möchtest.«

»Was ich möchte, könnte ich in Ägypten nicht bekommen«, sagte Archimedes. Er ballte seine großen, knochigen Hände zusammen und holte tief Luft. »Mein Herr und König, du hast eine Schwester, die.«

Unter den völlig erstaunten Blicken von Hieron war seine schön vorbereitete Rede wie weggeblasen. »Das heißt«, redete er stockend weiter, »Sie - ich.« Erneut mußte er daran denken, wie er sie geküßt hatte. Er spürte, wie ihm ganz heiß im Gesicht wurde. »Ich weiß, ich habe weder Reichtümer noch eine vornehme Abstammung noch andere Qualitäten vorzuweisen, die mich ihrer würdig machen. Außer dem, was mein Verstand ersinnen und meine Hände formen können, habe ich nichts zu bieten. Wenn das genügt, gut, und wenn nicht, nun, dann habe ich dich um das gebeten, was ich wollte, und du hast nein gesagt.«

Lange Zeit sagte Hieron kein Wort. Er war fassungslos, auch wenn ihm sofort klar wurde, daß er diese Bitte vorhersehen hätte müssen. Doch gerade weil er es nicht getan hatte, war er schockiert. Er hatte sich daran gewöhnt, in Delia das kluge, abenteuerlustige Kind zu sehen, das er vor ihrem schrecklichen Onkel gerettet hatte. Ein Mädchen, dessen scharfe Beobachtungsgabe und kluger Verstand ihn wegen der Ähnlichkeit mit ihm selbst begeistert hatte. Er hatte bemerkt, daß sie ins heiratsfähige Alter gekommen war, aber dieses Wissen schien etwas zu sein, das mit Delia selbst nichts zu tun hatte - etwas für die Zukunft, etwas, das jenseits des Krieges lag. Er hatte ebenso bemerkt, daß sie sich für Archimedes interessierte, hatte dies aber als oberflächliches, zufälliges Interesse gewertet, das bald abflauen würde. Aber er hatte sie nicht verstanden. Betrübt und beschämt dachte er über sein eigenes Versagen nach.

»Du weißt«, sagte der König schließlich, »daß Delia den gesamten Besitz unseres Vaters erbt.«

Archimedes wurde noch röter im Gesicht. »Nein«, krächzte er, »das wußte ich nicht.«

»Vor dem Gesetz bin ich nicht ihr Bruder«, erklärte Hieron rundheraus. »Vor dem Gesetz ist sie das rechtmäßige Kind unseres Vaters, und ich nicht. Unser Vater war ein reicher Mann. Um ihretwillen habe ich mich sorgfältig um seinen Besitz gekümmert. Das Gesamteinkommen im letzten Jahr betrug vierundvierzigtausend Drachmen.«