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»Ich will den Besitz nicht«, sagte Archimedes, der inzwischen blaß geworden war. »Du kannst ihn behalten.«

»Ich könnte es - wenn ich das Gesetz brechen und sie bestehlen würde«, sagte Hieron kalt. »Ich bin immer davon ausgegangen, daß ich ihn nur für ihren zukünftigen Ehemann treuhänderisch verwalte. Ich habe nie Geld herausgezogen, sondern es immer wieder investiert, um den Besitz für sie zu vergrößern.« Er hielt inne. »Du hast bereits mit Delia darüber gesprochen, nicht wahr?«

»Ich.«, flüsterte Archimedes, »das heißt - sie würde nie gegen deinen Wunsch handeln.«

»Mit anderen Worten, sie liegt nachts wach und grübelt darüber nach, wie meine Antwort ausfallen könnte. Ich dachte mir schon, daß sie müde und unglücklich aussieht. Zeus!« Er nahm sich einen Weinbecher, schöpfte ihn aus der Mischschale voll und stürzte die Hälfte auf einen Schluck hinunter. »Und wenn ich nein sage, wirst du dich vermutlich nach Alexandria begeben?«

»Ich habe noch keinen festen Entschluß gefaßt«, sagte Archime-des langsam. »Auf alle Fälle werde ich alles zur Verteidigung der Stadt tun, was ich kann. Aber, nun ja.« Er hielt inne, dann sagte er mit ziemlichem Nachdruck: »Ich bin kein gedungener Handwerker.«

»Na schön, solltest du vorhaben, sie nach Ägypten mitzunehmen, dann werde ich sicher nicht ja sagen!« sagte Hieron. »Gesetzt den Fall, du heiratest meine Schwester, dann wirst du schön hierbleiben und dafür sorgen, daß du mich tatsächlich mit allem versorgst, was dein Verstand erfinden und deine Hände formen können.«

»Du meinst. du würdest vielleicht ja sagen?« fragte Archimedes zuerst atemlos, rief dann aber entsetzt: »Du meinst doch nicht etwa, ich soll die Mathematik aufgeben? Ich habe dir gesagt.«

»Ja, ja, du hast es deinem Vater auf seinem Totenbett geschworen, und so weiter! Nein, ich habe damit nicht gemeint, daß du die göttliche Mathematik aufgeben sollst.« Er betrachtete den verschreckten jungen Mann und setzte dann seinen Weinbecher ab. »Schau mal«, sagte er, »ich werde dir jetzt erzählen, welche Gesichtspunkte für mich in Betracht kommen, wenn ich an einen Ehemann für meine Schwester denke. Erstens: Geld spielt dabei keine Rolle. Ich brauche ihr Geld nicht, ich habe selbst genug davon, aus den verschiedensten Quellen. Und sie hat auch selbst genug und muß es sich nicht erheiraten. Zweitens: Politik.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sicher gibt es Situationen, wo es nützlich ist, ein Bündnis durch eine Heirat zu verstärken. Ohne meine Heirat mit Philistis wäre ich vermutlich noch im selben Jahr gestorben, in dem ich Tyrann wurde. Es war Leptines, der mir die Stadt gesichert hat. Aber insgesamt gesehen, wird ein Bündnis aller Wahrscheinlichkeit nach auch mit einer Heirat nicht halten, wenn es ohne sie zerbrechen würde. Und, ehrlich gesagt, ist es etwas anderes, ob ich jemandem eine Halbschwester verspreche, die vor dem Gestz gar nicht mit mir verwandt ist, oder ob ich selbst die Tochter eines anderen heirate. Also: Politik zählt, steht aber nicht an erster Stelle. Was wirklich an erster Stelle steht.«, er unterbrach sich. Draußen im Hof stimmte Philyra ihre Laute. »Dionysios hat um deine eigene Schwester angehalten«, sagte Hieron wesentlich gelassener. »Wenn du dich entscheiden mußt, was zählt in erster Linie dabei für dich?«

»Ich halte mich für keinen besonders guten Richter«, antwortete Archimedes blinzelnd. »Das überlasse ich Philyra und meiner Mutter. Ich möchte nur, daß Philyra glücklich wird - und daß ihr Ehemann ein Mensch ist, mit dem ich gerne verwandt bin.«

Hieron lächelte. »Ganz genau«, sagte er leise, hob wieder den Be-cher an und rollte ihn zwischen seinen Handflächen hin und her. »Du weißt, daß ich ein Bastard bin«, fuhr er fort, wobei er konzentriert in den flachen Becher hineinschaute. Der Obermanipulator fürchtete sich, einen winzigen Teil seines eigenen Herzens bloßzulegen. »Vermutlich schätze ich deswegen meine Familie mehr als diejenigen, für die sie selbstverständlich ist. Ich habe gerne eine Schwester und wußte auch immer ganz genau, daß ich sie nie an einen Fremden verheiraten würde, egal, wie wichtig er ist. Ich möchte durch sie eine Familie bekommen und nicht verlieren. Und ich will sehen, daß sie glücklich ist.« Wieder trank er einen Schluck Wein, dann wanderte sein Blick zu Archimedes zurück. »Nun, eines läßt sich bestimmt nicht leugnen: Du bist nicht im entferntesten der Mann, den ich mir als künftigen Schwager vorgestellt habe. Aber - bei allen Göttern! -, glaubst du wirklich, daß gerade ich wegen Geld und Abstammung Einwände erheben könnte? Du weißt genau, daß ich beidem nicht das geringste verdanke! Von Natur aus könntest du sicher mehr mit mir verwandt sein als einer, der lediglich in eine wichtige Position hineingeboren wurde. Und obendrein mag ich dich. Ich möchte nun zu Delia zurück und mit ihr reden und mich selbst überzeugen, daß sie eine bewußte Entscheidung getroffen hat. Aber wenn sie glücklich damit ist und du versprichst, mit ihr in Syrakus zu bleiben, dann lautet die Antwort ja.«

Archimedes schaute ihn eine lange Weile nur an. Hinter dem Nichtglaubenkönnen brach langsam eine ungläubige Freude durch, die schließlich in ein breites Grinsen aus reinstem Entzücken überging.

Hieron grinste ebenfalls. »Offensichtlich zweifelst du nicht an ihrer Antwort«, stellte er fest. Vergnügt registrierte er, daß sein zukünftiger Verwandter rot wurde, und fügte scherzhaft hinzu: »Normalerweise gilt Bescheidenheit bei einem jungen Mann als schickliche Tugend.«

Archimedes lachte. »Und du, o König von Syrakus, warst du ein sehr bescheidener junger Mann?«

Hierons Grinsen bekam einen boshaften Zug. »Ich bin als junger Mann arrogant gewesen, denn ich war mir ziemlich sicher, daß ich wußte, wie man diese Stadt viel, viel besser regiert als all die Leute, die sie tatsächlich regiert haben.« Er hielt inne und ließ diese Zeit mit Befriedigung vor seinem inneren Auge passieren, dann fügte er leise hinzu: »Und ich hatte auch recht.«

14

Delia erwartete ihren Bruder bereits, als er nach Hause kam.

Den ganzen Nachmittag saß sie im ersten Innenhof, wo sie die Leute schon beim Betreten des Hauses hören konnte. Zuerst versuchte sie es mit Lesen, dann mit Flötespielen, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. So saß sie am Ende einfach nur da und sah dem Flirren der Blätter im Garten zu und lauschte den leisen Geräuschen, die aus dem Hause drangen. Während die Stunden langsam vergingen, steigerte sie sich aus Verzweiflung in eine erhebliche Wut hinein. Zwei Männer, die sie gern hatte, waren irgendwo und beschlossen -vielleicht sogar im Streit - ihr Schicksal, während sie wie ein nutzloser Gegenstand einfach nur hilflos dasaß.

Gegen Abend ging endlich die Tür auf, Gelons schrille, aufgeregte Stimme drang herein. Mit einem Satz sprang Delia hoch und rannte durch den Garten. Sie mußte sich förmlich zwingen, die Eingangshalle mit gemessenem Schritt zu betreten.

Gelon zeigte gerade Agathon sein neues Spielzeug. Als seine Tante auftauchte, rief er ihr sofort zu, sie müsse es sich auch ansehen. »Schau mal, was mir Archimedes gegeben hat!« krähte er. »Schau, wenn du dieses Rad drehst, laufen alle Räder in der Schachtel mit. Ein paar gehen in die Richtung, ein paar in die andere, und schau mal, das kleine da geht schneller! Schau!«

Delia warf einen flüchtigen Blick darauf, dann schaute sie ihren Bruder an. Archimedes hatte seine Frage tatsächlich gestellt, das konnte sie aus Hierons Gesicht ablesen, aber seine mögliche Antwort war, wie üblich, hinter einer strahlend freundlichen Maske versteckt. Hieron lächelte sie so undurchdringlich an wie eh und je, dann sagte er zu seinem Sohn: »Warum gehst du nicht und zeigst das deiner Mutter, Gelonion? Ich muß mich kurz mit Tante Delia unterhalten.«