»Er hat sich geziert«, erzählte der Herold Hieron. Seine Stimme ging im Dröhnen der Marschschritte beinahe unter.
»Aber er hat zugestimmt?« fragte der König.
»Er konnte sich schlecht weigern«, antwortete der Herold. »Das ist er, dort unten, direkt vor uns. Allerdings hat er sich ausgebeten, daß du’s kurz machst.«
»Königlicher Herr«, sagte einer der Offiziere und lenkte sein Pferd näher an das des Königs heran, »ist es weise, wenn wir direkt zu ihnen hinaufreiten?«
Mit einem sanft tadelnden Blick wandte sich der König zu ihm und sagte: »Sie brechen keinen Waffenstillstand. Das ist eine ihrer guten Seiten. Selbst wenn mich Claudius am liebsten auf der Stelle eigenhändig umbringen möchte, wüßte er ganz genau, daß ihn dann sein eigenes Volk bestrafen würde, weil er den Namen Roms entehrt und die Götter beleidigt hätte. Und darin sind sie sehr abergläubisch. Solange wir uns an den Waffenstillstand halten, werden wir in Sicherheit sein.« Damit ritt er im gemütlichen Trab weiter.
Marcus folgte ihm. Inzwischen hatte er wirklich Angst. Unten am Fuße des Hügels wartete Appius Claudius, Konsul von Rom, widerwillig und ungeduldig auf Hieron. Marcus hatte es zwar immer abgelehnt, sich von Rang und Namen beeindrucken zu lassen, aber ein Konsul verkörperte die Majestät Roms, der die tiefste Ehrerbietung gebührte. Das hatte man ihm von Kindesbeinen an beigebracht. Und nun ließ er sich von Claudius beeindrucken. Er schämte sich vor sich selbst. Verstohlen schaute er an sich herunter: auf seine Tunika aus ungebleichtem Leinen, die schon vor dieser Woche andauernder Gefangenschaft nicht gerade sauber gewesen war, auf seine staubigen Beine, auf die abgetragenen Sandalen. Mit Bartstoppeln und in Ketten sollte er nun vor den Augen eines Konsuls für einen König übersetzen. Wieder fiel sein Blick nach oben, auf Hierons Rücken unter dem Purpurmantel. Da begriff er: Der König hatte ihn vermutlich bewußt in diesem Zustand ausgewählt - um Rom zu demütigen. Ich bin der König von Syrakus - und das hier ist ein römischer Bürger. Nie hätte er vergessen dürfen, wie raffiniert der König war. Und doch - etwas war er der Gnade schuldig.
Sie kamen den Hügel herunter. Direkt auf der Straße vor ihnen standen die Pferde der gegnerischen Abordnung. Hinter dem purpurgoldenen Geleitzug des Konsuls funkelten die Standarten der Legionen. Dahinter standen vielleicht zehn Manipel, alle fein säuberlich in Quadraten aufgereiht, einer hinter dem anderen, bis zum Palisadenwall hinüber, auf dem es von Zuschauern nur so wimmelte. Der Herold hob seinen Stab und trabte voraus, der Geleitzug des Königs gelassen hinterdrein. Erst als sie sich mit normaler Lautstärke unterhalten konnten, zogen sie die Zügel an. Mit einer Handbewegung bedeutete Hieron den Wächtern, sie sollten Marcus nach vorne bringen. So blickte also Marcus von der Seite des Königs mit beschämter Miene dem Feind von Syrakus ins Gesicht: seinem eigenen Herrscher.
Wie Hieron ritt auch Claudius einen Schimmel und trug einen Purpurmantel. Sein Brustpanzer und der Helm waren vergoldet und schimmerten in der Sonne. Links und rechts von ihm standen die Liktoren, deren Aufgabe es war, jeden seiner Befehle auszuführen. Sie trugen rote Mäntel und in den Händen die Rutenbündel mit den
Äxten, das Symbol seiner Amtsgewalt. Er durfte strafen und töten. Hinter ihnen saßen die Tribunen seiner Legionen auf ihren eigenen Rössern. Ihre Mäntel waren aus phönizischem Purpur und ihre Rüstung aus Gold. Marcus starrte sie mit trockener Kehle an. Sie wirkten auf ihn völlig unpersönlich, ihre Majestät war ihr einziges Kennzeichen.
»Gute Gesundheit, Konsul der Römer!« sagte Hieron. »Und auch euch, Männer von Rom. Ich habe heute morgen um eine Unterredung mit euch gebeten, um die Lage eurer Landsleute zu klären, die wir gefangengenommen haben.« Er stupste Marcus leicht mit dem Fuß an der Schulter und fügte leise hinzu: »Übersetze!«
Marcus fing an. Er beeilte sich, die Worte des Königs zu übersetzen und schrie so laut, daß man es noch möglichst weit entfernt verstehen konnte.
Claudius zog ein finsteres Gesicht. Zum ersten Mal wurde Marcus bewußt, wie der Konsul tatsächlich aussah: ein großgewachsener Mann mit Hängebacken und einem fleischigen Gesicht, aus dem nur die Nase messerscharf herausragte. »Wer ist das?« wollte der Konsul auf Griechisch wissen und starrte dabei Marcus an.
»Einer der Gefangenen«, sagte Hieron. »Er spricht fließend Griechisch. Ich habe ihn als meinen Dolmetscher mitgebracht, damit auch alle deine Offiziere meine Worte so gut verstehen wie du selbst, o Konsul der Römer. Ich habe in der Vergangenheit bemerkt, daß sie unsere Sprache nicht so gut beherrschen wie eure eigene.« Wieder berührte sein Fuß Marcus an der Schulter.
Marcus fing zu übersetzen an, aber sofort schnauzte ihn Claudius auf Latein an: »Halt!« Marcus hielt inne. Claudius funkelte ihn einen Augenblick wütend an, dann sagte er zu Hieron: »Er wird nicht gebraucht.«
»Möchtest du denn nicht, daß mich deine Männer verstehen?« fragte Hieron. Seine Stimme klang leicht überrascht. »Du möchtest ihnen doch sicher nicht die Neuigkeiten über ihre Freunde und Kameraden vorenthalten?«
Als Marcus einen raschen Blick auf die Gesichter hinter dem Konsul warf, sah er unbehagliche und unzufriedene Mienen. Möglicherweise sprachen die römischen Offiziere nicht so gut Griechisch wie ihr Konsul, aber sie verstanden genug und waren nicht glücklich, daß Claudius das Schicksal der Gefangenen vor den gemeinen Soldaten verheimlichen wollte. Auch Claudius mußte dies bemerkt haben, denn er sagte mit finsterer Miene: »Ich habe vor meinen loyalen Gefolgsleuten nichts zu verheimlichen. Wenn es dein ausdrücklicher Wunsch ist, dann laß diesen Mann übersetzen, Tyrann. Trotzdem ist er überflüssig.«
Hieron lächelte, und sofort war Marcus überzeugt, daß Claudius soeben einen bösen Fehler gemacht hatte.
Hieron fing an. Er redete rasch und deutlich und machte nach jedem Gedanken eine Pause, damit Marcus seine Übersetzung lauthals verkünden konnte: »Als das Fatum einige eurer Leute in meine Hände gab, o Römer, hatte ich die Absicht, sie so schnell wie möglich zu euch zurückzuschicken. Ich habe erwartet, daß ihr einen Herold sendet, um euch nach dem Lösegeld zu erkundigen, aber ihr habt keinen geschickt. Statt dessen habt ihr Syrakus bei Nacht und Nebel verlassen und eure Leute mir ausgeliefert. Liegt dir denn nichts an ihnen, o Konsul?«
Claudius richtete sich kerzengerade auf und starrte Hieron wütend an. »Wenn Römer Krieg führen, Tyrann von Syrakus«, erklärte er auf lateinisch, »dann akzeptieren sie den Tod und stellen sich tapfer diesem Risiko. Alle, die das nicht tun, sind keine wahren Männer und damit auch kein Lösegeld wert. Wie dem auch sei, vielleicht hast du ja schon vernommen, daß wir die Stadt Echetla, deine Verbündeten, belagert und erobert haben. Wenn du es wünschst, werden wir die Frauen von Echetla gegen unsere eigenen Leute eintauschen. Die Männer haben wir getötet.«
»Was hat er gesagt?« wollte Hieron von Marcus wissen. Während Marcus rasch übersetzte, dachte er über Echetla nach. Die Stadt lag nordwestlich von Syrakus und war eigentlich eine syrakusische Kolonie. Wer sie als Stadt bezeichnete, verzerrte damit die Dimension des Kampfes. Es handelte sich lediglich um einen befestigten Marktflecken, der gegen eine riesige Römerarmee keine Chance gehabt hatte. Zweifelsohne waren die Römer bei ihrem Angriff gereizt und wütend über ihre Verluste vor Syrakus gewesen. In dieser Stimmung kamen für sie weder Verhandlungen noch Gnade in Frage. Innerlich sah er den verzweifelten Widerstand und das Massaker an allen waffenfähigen Männern vor sich. Ihm wurde schlecht.
»Ich hatte nicht vor, für deine Leute Lösegeld zu fordern, Konsul der Römer«, sagte Hieron vorwurfsvoll. »Wie Pyrrhus von Epirus, an dessen Seite ich einst gekämpft habe, hätte ich sie ohne Bezahlung zurückgegeben. Denn genau wie er ehre auch ich den Mut des römischen Volkes.«