Als Marcus dies übersetzte, ging zum ersten Mal ein Flüstern durch die römischen Ränge. Männer, die seine Worte mit eigenen Ohren gehört hatten, wiederholten sie für diejenigen, die weiter hinten standen. Der Name von König Pyrrhus war ein guter Einfall, dachte Marcus, denn vor ihm hatten die Römer mehr Respekt als vor jedem anderen Feind, gegen den sie je gekämpft hatten.
»Dann gib sie ohne soviel Gerede zurück, Tyrann!« fauchte ihn Claudius an. »Und wir werden die Echetlaner als unsere Sklaven behalten.«
Hieron legte eine Pause ein, damit seine nächsten Worte auch wirklich deutlich zu verstehen waren, dann antwortete er: »Was die Echetlaner betrifft, o Konsul, so nenne mir einen Preis und ich werde sie freikaufen. Aber was deine eigenen Leute betrifft, so läßt mich deine Antwort zögern. Ich habe meine Gefangenen mit all dem Respekt behandelt, der tapferen Feinden gebührt. Sie bekamen gut zu essen und eine ordentliche Unterkunft, und ihre Wunden hat mein eigener Leibarzt versorgt. Allerdings ist mir aufgefallen, daß du vor deinem Aufbruch ihre überlebenden Kameraden dazu gezwungen hast, ihre Zelte außerhalb des Lagers aufzuschlagen. Und jetzt sieht es so aus, als ob du herzlich wenig Wert auf die Männer, die in meiner Gewalt sind, legen würdest. Du stellst sie auf eine Stufe mit Sklaven. Wodurch haben sie dich beleidigt?«
»Sie haben keinen Mut«, antwortete der Konsul barsch. »Sie haben sich ergeben. Wir Römer sind nicht wie ihr Griechen. Wenn wir versagen, nehmen wir die gebührende Strafe auf uns.«
»Sie haben keinen Mut?« wiederholte Hieron. »Die Männer in meinem Gefängnis haben Wunden aushalten müssen, die der beste Beweis für ihre Tapferkeit sind. Nur wenige von ihnen sind unverletzt. Unmöglich war allerdings die Aufgabe, die man ihnen abverlangt hat. Man hat zwei Manipel in loser Formation ohne Belagerungsgeräte bei hellem Tageslicht gegen schwere Geschütze geschickt. Dies war kein Befehl zur Schlacht, sondern zur Exekution! Ich bin erstaunt, daß sie trotzdem gehorcht haben. Was ihnen gefehlt hat, war sicher nicht der Mut, sondern ein kluger General.«
Claudius machte den Mund auf, aber im selben Augenblick verwandelten sich die Flüsterparolen in ein wütendes Knurren und schließlich in ein Gebrüll aus voller Kehle. Hinter ihm donnerten die Legionen ihre Speere auf den Boden und ließen die beiden hingeschlachteten Manipel wütend hochleben. Die Männer, die von den Palisaden aus zusahen, schlugen ihre Schanzwerkzeuge klirrend gegen den Wall. Claudius lief knallrot an, dann wirbelte er zu den Tribunen herum und brüllte: »Ruhe! Sorgt dafür, daß dieser Pöbel still ist!«
Wegen des Tumults tänzelte Hierons Pferd unruhig hin und her, der König tätschelte ihm den Hals.
»Meine Soldatenkameraden!« bellte Claudius, als der Lärm endlich zu verebben begann. »Meine Soldatenkameraden, hört nicht auf diesen Mann! Er versucht nur, eure Disziplin aufzuweichen. Und du, Soldat« - das galt Marcus - »hör auf, seine Lügen zu wiederholen!«
Marcus mußte wieder an Gaius denken, wie er mit bleichem Gesicht und schmerzhaftem Keuchen in die Stadt geführt worden war. Plötzlich packte ihn selbst eine brennende Wut. Später sollte er sich an diesen Moment wie ein Augenzeuge an einen tödlichen Unfall erinnern. In Gedanken schrie er sich selbst an: Nein, hör auf, nicht so, du Narr! Aber er konnte nicht aufhören. Wegen diesem Mann hatte Gaius leiden müssen. Wegen diesem Mann hatte er selbst alles verloren. Es durfte nicht angehen, daß Claudius diese Schuld einfach wegwischte.
»Er spricht die Wahrheit!« rief Marcus leidenschaftlich und deutete mit beiden Fesseln den Hügel zum Euryalus hinauf. »Was dachtest du denn, was sie dort oben haben? Kinderschleudern? Kennst du nicht die durchschnittliche Reichweite eines Katapults? Oder hast du einfach erwartet, daß eine Stadt wie ein Ei zerbricht, die die Karthager mit einer zehnmal so großen Armee wie diese hier belagert haben? Beim Jupiter! Du hattest keine Ahnung, was du gemacht hast. Es ist unentschuldbar, daß du dein eigenes Versagen den Männern in die Schuhe schiebst, die darunter leiden mußten! Wenn du wirklich ein Römer bist, Konsul, dann solltest auch du die Strafe auf dich nehmen!«
Wieder brach ein Tumult aus. Claudius starrte Marcus erstaunt und wütend an, Hieron beklommen. »Was hast du gesagt?« fragte der König, aber Marcus gab keine Antwort, sondern senkte seine gefesselten Hände und erwiderte mit stolzer Haltung den wütenden Blick des Konsuls.
»Ich hoffe, dieser Mann hat dich nicht beleidigt«, sagte Hieron und wandte sich im normalen Tonfall direkt an Claudius. »Sein Bruder wurde während eurer Attacke schwer verwundet, daher vielleicht diese erregte Rede. Du mußt ihn entschuldigen. Ich selbst habe nicht den Wunsch, dich oder dein Volk zu beleidigen.«
Jetzt funkelte Claudius Hieron wütend an. »Ist es etwa keine Beleidigung, wenn behauptet wird, ich sei kein kluger General?« fragte er.
Hieron lächelte. »Mit Belagerungen hast du sicher wenig Erfahrung, o Konsul - wenigstens was die Belagerung von griechischen Städten betrifft, die eine gute Artillerieausrüstung haben. Bist du denn nicht auch der Meinung, daß ein kluger General immer dann vorsichtig agiert, wenn er nicht so gut Bescheid weiß? Falls du besser verstehen möchtest, was dich erwartet, bist du gerne eingeladen, unter meinem persönlichen Schutz auf die Wehrmauer zu steigen und die Verteidigungsanlagen zu besichtigen. Konsul, du hast uns unterschätzt und mit einer Verachtung behandelt, die wir keinesfalls verdienen.«
Claudius spuckte aus. »Dein persönlicher Schutz ist genauso wertlos wie deine Prahlerei, Tyrann! Ich traue keinem von beiden!«
»Du hast recht mit deiner Behauptung, daß beide gleich wertvoll sind«, antwortete der König. Erneut flaute der Lärm ab. Mit erhobenen Armen wandte sich Hieron wieder an die Armee, und sofort fing Marcus lauthals zu übersetzen an. Claudius versuchte zu protestieren, aber nicht einmal seine eigenen Offiziere achteten auf ihn. Mit einem Schlag wurde es in der Truppe still, alle wollten hören, was Hieron zu sagen hatte. Während der Konsul vor Wut kochte, trug eine neue Flüsterwelle die Worte des Königs weiter: »Männer von Rom, Berichten zufolge soll ich arrogant und grausam sein, aber diese Berichte lügen, denn ich habe immer mit Bedacht gehandelt und die Götter geehrt.«(»Und das stimmt«, fügte Marcus mit einem trotzigen Blick auf den Konsul hinzu. »Diese Geschichten von Bronzestieren und Pfählungen haben die Mamertiner erfunden, um die Hilfe Roms zu bekommen.«) »Bis jetzt gibt es in ganz Syrakus keinen einzigen Bürger, der gegen mich Anzeige erstattet hat. Meine schöne Stadt ist genauso einig wie stark - und ihre Stärke habt ihr ja alle selbst gesehen. Wenn ich eure Landsleute zurückgebe, können sie sich dafür verbürgen. Solltet ihr sie in allen Ehren in Empfang nehmen, dann werde ich sie euch noch heute zurückgeben, und wie versprochen, ohne Lösegeld. Wenn nicht, werde ich ihnen kein Haar krümmen und sie so lange behalten, bis mich der erstbeste Römer um ihre Freilassung bittet.«
»Das ist ein Trick!« brüllte Claudius.
»Das ist ein ehrenvolles Angebot in gutem Glauben«, antwortete Hieron. »Wünschest du, daß ich sie schicke?«
Claudius sah aus, als ob er jeden Moment platzen wollte. »Der Wunsch nach Frieden treibt dich zum äußersten, Tyrann!« schrie er.
»Wo sind die Verbündeten, die du vor Messana im Stich gelassen hast?«
»Und du hast es mit einem Triumph ziemlich eilig, Konsul!« erwiderte Hieron scharf. »Dafür bist du sogar bereit, den Karthagern zu trauen. Nur für die vage Möglichkeit, daß sie sich heraushalten, bist du bereit, das Leben all deiner Männer aufs Spiel zu setzen. Ja, wo sind die Karthager? Hinter deinem Rücken? In Messana? Plündern sie in deiner Abwesenheit die Stadt und zerstören die Schiffe, auf denen du nach Hause segeln wolltest? Statt gegen Karthago zu kämpfen, hast du dich für einen Kampf gegen Syrakus entschieden und dabei vergessen, daß du damit beiden den Kampf angesagt hast. Seid ihr dazu fähig, ihr Römer? Aber, Konsul, du hast mir noch nicht meine Frage beantwortet. Zweiundneunzig deiner Leute sind meine Gefangenen. Willst du sie zurückhaben?«