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Während Claudius lange Zeit nichts sagte, verbreiteten sich die Flüsterparolen in seiner ganzen Armee. Das Gemurmel wütender Diskussionen übertönte beinahe die Übersetzung. Endlich sagte der Konsul mit erstickter Stimme: »Ja. Gib sie zurück.«

»Du wirst sie ehrenhaft empfangen?«

»Da du sagst, sie hätten tapfer gekämpft, so werden sie auch wie tapfere Männer empfangen«, knirschte der Konsul.

Hieron neigte gnädig das Haupt. »Und die Frauen von Echetla -welchen Preis willst du für sie?«

»Gar keinen!« rief plötzlich eine Stimme aus den Legionen. Claudius fuhr herum, aber inzwischen war schon ein Dutzend weiterer Stimmen eingefallen: »Ehre denen, die das römische Volk ehren! Gib die Echetlaner ohne Lösegeld zurück!« Speere donnerten auf den Boden, und dann brüllten alle lauthals: »Ehre dem römischen Volke!«

Claudius schaute wieder Hieron an. Noch nie hatte Marcus einen derart rachsüchtigen Blick gesehen. »Du sollst sie ohne Lösegeld haben«, murmelte er.

»Ich werde deine Männer aus dem Gefängnis holen und sie dir hier übergeben lassen«, sagte Hieron. »Das wird vielleicht vier Stunden dauern. Ich nehme an, daß dieser Waffenstillstand bis dahin hält?«

Claudius nickte, dann wendete er sein Pferd. Er mißtraute seinen eigenen Worten.

Hieron schnippte mit den Fingern, und der Syrakuser Aulist stimmte wieder das Marschlied an. Die Reihen teilten sich, um eine Gasse für den König freizumachen. Marcus folgte seinen beiden Wächtern. Hinter ihm machte das Syrakuser Bataillon eine Kehrtwendung und marschierte den Hügel hinauf.

Als sich die Tore des Euryalus hinter ihnen geschlossen hatten, zog der König die Zügel an und schaute nachdenklich auf Marcus hinunter. »Was hast du zum Konsul gesagt?« fragte er.

»Daß deine Worte wahr waren«, antwortete Marcus kurz.

Hieron seufzte. »Das war unklug.«

»Es war wahr.«

»Normalerweise ist es keine gute Idee, wenn man zu Königen -oder zu Konsuln - die Wahrheit sagt. Trotzdem werde ich dich zurückgeben müssen. Wenn ich dich behalte, wird Claudius behaupten, du wärst ein verkleideter Grieche gewesen. Damit könnte er seine Armee leichter überzeugen, daß er letztlich doch recht gehabt hat.«

Marcus nickte. Hieron betrachtete ihn noch einen Augenblick, dann seufzte er wieder. »Du bist ein echter Römer, stimmt’s? Du bist bereit, die Strafe für deine Handlungen auf dich zu nehmen - ob sie gerechtfertigt ist oder nicht. Was hast du denn da in deinem Gürtel?«

Marcus wurde heiß im Gesicht. »Eine Flöte«, sagte er. »Mein Herr und - Archimedes hat sie mir gegeben. Er dachte, im Gefängnis hätte ich Zeit, um es zu lernen.«

»Ich bete, daß dir die Götter die Zeit schenken, bis du so vollendet spielen kannst wie er selbst!« Hieron schnippte mit den Fingern und sagte zu den Wächtern: »Nehmt ihm die Ketten ab und bringt ihn irgendwo in den Schatten, bis die anderen kommen. Gebt ihm etwas zu essen und zu trinken. Der Weg hierher war lang, und Übersetzen macht durstig.«

Die Wächter brachten Marcus in einen Raum in einem der Türme, auf eine Katapultplattform ohne Geschütz. Sie nahmen ihm die Ketten ab und gaben ihm Brot und Wein. »Nichts für ungut«, sagte einer der Wächter, als er ihm den Wein anbot, »ich hätte Apollodoros glauben sollen, als er gesagt hat, daß du ein Philhellene bist.«

Marcus trank durstig den mit Wasser gemischten Wein, hatte aber keinen Appetit auf das Brot. Immer wieder mußte er daran denken, mit welchem Blick Claudius Hieron angeschaut hatte. Der Konsul hätte seinen Feind liebend gern bei lebendigem Leibe gekocht, ob in oder außerhalb eines Bronzestieres. Hieron würde hinter den Mauern von Syrakus außer Reichweite sein, aber er, Marcus, mußte ihm in ungefähr vier Stunden wieder gegenübertreten.

Am liebsten hätte er seine zusätzliche Bemerkung rückgängig gemacht. Wenn er sich doch nur darauf beschränkt hätte, Hierons Wort zu übersetzen, und sonst nichts! Schließlich war Hieron nicht auf Hilfe angewiesen gewesen. Inzwischen kam ihm die Verhandlung von heute morgen wie ein Ringkampf vor, bei dem Claudius in jeder Hinsicht unterlegen war. Claudius war eindeutig ein Mensch, der sich liebend gern einen Sündenbock für seine eigenen Fehler suchte. Und Marcus wäre geradezu ideal dafür: ein abtrünniger Hellenenfreund, ein Feigling, der sich seiner gerechten Strafe durch Flucht in die Sklaverei entzogen hatte. Möglicherweise würde Claudius versuchen, die Wahrheit in Mißkredit zu bringen, indem er den Mann, der sie ausgesprochen hatte, entehren und hinrichten ließ.

Aber vielleicht würde es der Konsul vorziehen, Marcus einfach zu vergessen. Eine rachsüchtige Bestrafung würde nur seinen Ruf als gefühlloser und arroganter Mensch bestätigen, den ihm Hieron eben erst angehängt hatte. Marcus blieb nur noch eine Hoffnung: daß der Konsul intelligent genug war, dies einzusehen.

Die Zeit verging. Die Wächter ließen ihn allein im Turmzimmer. Während des Wartens beobachtete er das Römerlager durch die Schießscharte. In der Nähe des Tores konnte er eine graubraune Menschenmasse erkennen, zweifelsohne die Frauen von Echetla. Vermutlich hatte es keine Möglichkeit zur Rettung von Echetla gegeben. Als Hierons Späher herausgefunden hatten, daß die Römer dorthin marschiert waren, war es für jede Hilfe längst zu spät. Trotzdem tat ihm Echetla immer noch leid.

Vier Stunden hatte Hieron gesagt. Das müßte ungefähr stimmen. Zuerst mußte man einen Reiter in den Steinbruch schicken, um den Wachen mitzuteilen, daß alle Gefangenen zum Stadttor gebracht werden sollten. Erst dann konnte man die notwendigen Vorbereitungen treffen: Fußeisen abnehmen, Begleitwachen zusammenstellen und Tragbahren für die Männer suchen, die immer noch nicht gehen konnten. Schließlich mußte der ganze Zug noch den langen Marsch zum Euryalus herauf zurücklegen. Vier Stunden - Marcus kam es vor, als wären vier Jahre vergangen, als der Sonnenhöchststand vorbei war.

Um wenigstens irgendeine Beschäftigung zu haben, zog er den Aulos hervor und fing zu üben an. Seitdem er ihn geschenkt bekommen hatte, hatte er täglich geübt und konnte jetzt schon ganz einfache Melodien spielen, allerdings nur sehr, sehr langsam. Mühsam arbeitete er sich durch ein Lied der Nilfischer. Doch dann stieg in ihm eine schmerzhafte Sehnsucht nach verschwundener Sicherheit auf. Plötzlich spielte er ein Wiegenlied, das seine Mutter zu Hause am Herd gesungen hatte.

»Das kenne ich nicht«, sagte Hieron. »Ist es römisch?«

Marcus setzte den Aulos ab und stand auf. Er hatte nicht gehört, wie sich die Tür geöffnet hatte. Der König war allein. Er schien sehr hart geritten zu sein, sein Mantel war ganz staubig.

»Ja«, sagte Marcus mit leiser Stimme, »es ist römisch, königlicher Herr.«

»Seltsam«, meinte Hieron. »Man möchte nicht glauben, daß deine Leute irgend etwas Zärtliches hervorbringen. Ist noch Wein in der Phiale drin?«

Ein bißchen Wein war noch übrig. Hieron trank ihn in einem Zug aus, dann setzte er sich. Das kleine Turmzimmer war unmöbliert. Deshalb machte er es sich im Schneidersitz auf dem Boden bequem und gab Marcus ein Zeichen, er solle es ihm gleichtun. Marcus sank ihm gegenüber in die Hocke und beobachtete ihn argwöhnisch.

Hieron schaute grüblerisch zurück. »Ich wollte mit dir reden«, sagte er, »und hatte gehofft, daß noch genug Zeit dafür bleibt. Es gibt da ein oder zwei Dinge, die ich sagen wollte.«

»Mir?« fragte Marcus verwirrt.

»Warum nicht? Du glaubst also, ich hätte dich wegen Archimedes verschont, nicht wahr?«

Marcus sagte nichts, sondern schaute ihn nur mit der undurchdringlichen Miene eines Sklaven an.

»Mit Archimedes hatte das gar nichts zu tun. Übrigens, seine Freunde in Alexandria haben ihn Alpha genannt, ja? Weißt du, warum?«