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»Weil er immer als erster eine Antwort wußte, wenn jemand auf ein mathematisches Problem gestoßen war«, erwiderte Marcus verblüfft und dann: »Wie...«

»Ich dachte mir schon, daß es so etwas sein könnte«, sagte Hieron. »Alpha - kein schlechter Spitzname, und ich brauche einen für ihn. Sein richtiger Name will einem nicht so recht von den Lippen. Nein, ich habe dich verschont - du mußt schon entschuldigen -, weil ich dich brauchen konnte. Du bist der einzige hellenisierte Römer, den ich kenne.«

Marcus starrte ihn an.

»Ich weiß. Griechisch ist die erste Fremdsprache, die deine Leute lernen, trotzdem beherrschen es die meisten nur sehr schlecht. Eure Münzen - falls ihr Silbergeld prägt -, basieren auf unseren. Ob Keramik, Mode, Möbel und so weiter - alles eine Nachahmung. Ihr dingt griechische Architekten, um Tempel im griechischen Stil zu bauen und sie mit griechischen Götterstatuen zu füllen - oft sogar mit den griechischen Göttern selbst. Ihr verehrt doch Apollon, oder? Aber alles wirkt irgendwie schal, wie ein Wasserfilm über einem Granitblock. Ein bißchen Tünche über eure eigene Natur, die hart und brutal ist und jeder Phantasie zutiefst mißtraut. Schon möglich, daß ein römischer Edelmann unsere Lyrik liest und unserer Musik lauscht. Trotzdem wäre es für ihn unter seiner Würde, wenn er selbst dichten oder spielen würde. Unsere Philosophie wird als atheistischer Nonsens abgetan, unsere Sportarten gelten als unmoralisch und unsere Politik - nun, Tyrannei ist etwas Schlechtes und Demokratie ein solches Übel, daß einem dafür die Worte fehlen. Bin ich ungerecht?«

Marcus sagte nichts. Trotz seiner Betroffenheit blieb er mißtrauisch. Bei einem Mann wie Hieron schien es ratsam zu sein, daß man sich vor einer Antwort erst einmal vergewisserte, was hinter dieser Rede steckte.

Hieron lächelte. »Ich freue mich, daß du auch vorsichtig sein kannst«, bemerkte er. »Na schön, ich werde mal an deiner Stelle die Position deiner Landsleute vertreten. Ihr seid mutig, diszipliniert, fromm, ehrenwert und außergewöhnlich hartnäckig. Wir können nicht darauf hoffen, mit euch so umzugehen, wie es sonst die Griechen mit Barbaren machen: sie auszahlen und zum Abzug überreden. Ihr habt ganz Italien erobert. Solltet ihr beschließen, auch Sizilien zu erobern, dann gibt es nichts, was Syrakus tun könnte, um euch aufzuhalten. Auch Karthago wird immer mächtiger und damit kein ebenbürtiger Gegner mehr für uns.« Plötzlich stand er auf und ging zur offenen Tür hinüber, wo er sich gegen den Türrahmen lehnte und über das Plateau auf die Stadt schaute. »Bevor Alexander die Welt erobert hat«, sagte er leise, »haben Menschen in Stadtstaaten gelebt. Jetzt leben sie in Königreichen, und die Stadtstaaten müssen so gut wie möglich überleben. Ich habe versucht, Syrakus auf Karthago auszurichten, aber dort gibt es nicht viel zu hoffen. Die Antipathie ist viel zu alt. Bleibt nur noch Rom übrig. Allerdings sind die Römer für meinen Geschmack, schwierig.«

»Mit Appius Claudius bist du aber spielend fertig geworden«, sagte Marcus ärgerlich. »Drei Schultersiege, und er war draußen.«

Hieron warf rasch einen Blick zurück, dann drehte er der Aussicht den Rücken zu und schaute ihn lächelnd an. »Du magst Ringkämpfe, stimmt’s?« fragte er. »Ich war nie gut darin.«

»Du hast Appius Claudius gezwungen, mit dir zu sprechen«, sagte Marcus bestimmt. »Einer Verhandlung über die Gefangenen konnte er sich nicht entziehen. Du hast ihn dazu gebracht, mich als Dolmetscher zu akzeptieren, und dann - hast du dich mit jeder Rede über seinen Kopf hinweg direkt an die Legionen gewandt. Er ist Senator und Patrizier, während sie, genau wie ich, Plebejer sind. Wie ein Mann, der einen Ziegel aus einer kaputten Mauer bricht, hast du deinen Finger bewußt auf diesen Unterschied gelegt und darin herumgebohrt. Du hast gesagt, er sei arrogant und unfähig und würde sie zu Unrecht für seine eigenen Fehler verantwortlich machen. Du hast gesagt, er würde Karthago unterschätzen und damit ihrer aller Leben in Gefahr bringen, nur um seinen eigenen Ehrgeiz zu befriedigen. Und dann hast du noch gesagt, du wärest ein ehrlicher, bescheidener Mann, der das römische Volk ehre. Dem allen konnte er nichts entgegensetzen. Aber das römische Volk im Heer hat es gierig aufgesaugt und dich hochleben lassen. Claudius wird weder einen Triumph bekommen noch zum zweiten Mal das Oberkommando über die römischen Streitkräfte in Sizilien.«

Hieron holte tief Luft und atmete langsam aus. »Andererseits«, bemerkte er, »werden der Senat und das Volk von Rom ganz sicher beschließen, daß man nicht genug Truppen geschickt hat, um mit der Situation auf Sizilien fertigzuwerden. Die Stadt Syrakus ist eben doch mächtiger, als sie zuerst geglaubt hatten, und an Karthago hat man bisher noch nicht einmal gekratzt. Sie werden sich nie zurückziehen, stimmt’s? Also werden sie noch mehr Männer unter einem neuen General schicken. Unter wem? Ich gestehe, daß ich unbedingt folgendes erreichen wollte: Ich wollte die Partei der Claudier in Mißkredit bringen und damit einen winzigen Einfluß auf den weiteren Kriegsverlauf nehmen. Aber vielleicht wird das römische Volk auf seine übliche, unbeugsame Art einen zweiten Claudius oder einen Aemilius aussuchen, der meiner Meinung nach fast genauso schlimm sein würde. Wäre das möglich?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Marcus hilflos, »es ist lange her, seit ich in Rom war. Ja, vermutlich. Die Aemilier und die Claudier sind von jeher Verbündete und wollten schon immer die Vorstöße nach Süden durchsetzen.«

Hieron nickte. »Selbst wenn der nächste General kein Aemilius oder Claudius ist, besteht die Chance, daß ich nicht wissen werde, welche Partei er repräsentiert. Und selbst wenn, wird es für mich wenig genug zum Bearbeiten geben. Ich verstehe die Römer nicht. Zum Beispiel habe ich nicht erwartet, die Echetlaner umsonst zu bekommen. Griechen hätten dafür Geld gefordert. Ehre ist zwar eine feine Sache, aber Lösegeld ist auch nicht schlecht. Bei Griechen weiß ich, woran ich bin. Römer sind da wesentlich schwieriger, und doch - muß ich sie verstehen, wenn ich für Syrakus einen sicheren Weg zum Frieden finden soll. Also siehst du«, er löste sich von der Tür und kauerte sich vor Marcus hin, um ihm Auge in Auge gegenüberzusein, »ein hellenisierter Römer wie du könnte für mich möglicherweise äußerst nützlich sein.«

»Nützlich als was?« fragte Marcus hart.

»Nicht als Spion, das schlag dir mal gleich aus dem Kopf! Agathon meinte, du wärest ein so schlechter Lügner, daß du einem schon wieder leid tätest. Und er hat recht! Nein. Du bist anders als die anderen, dein Hellenismus ist nicht nur eine Tünche. Deine Sympathien sind ehrlich und gleichmäßig verteilt, zwischen uns und deinem eigenen Volk. Für dich zweifelsohne eine ungemütliche Situation, aber für mich unschätzbar wertvoll, falls wir Frieden oder auch nur einen soliden Waffenstillstand schließen sollten. Du könntest mir die Art deiner Landsleute erklären und mir helfen, daß sie auch uns verstehen. Das würde ich gerne von dir bekommen. Geh zu deinem eigenen Volk zurück, mach dich wieder mit ihm vertraut und warte, bis Syrakus diesen Krieg überstanden hat. Und ich bete zu allen Göttern, daß ich das recht bald schaffen werde! Und dann komm wieder hierher zurück. Ich würde dir sofort eine Stelle als Lateindolmetscher geben. Dein Gehalt kannst du selbst bestimmen. Wir werden in Zukunft mit deinem Volk noch viele Jahre verhandeln müssen, und dazu müssen wir es verstehen.«

Marcus starrte ihn noch einen Moment mit heißem Gesicht an, dann sagte er: »Das würde ich liebend gerne tun, königlicher Herr. Allerdings weiß ich nicht, ob ich morgen noch leben werde.«

Hieron seufzte. »Hier liegt natürlich das Problem. Ich wünschte, du hättest dich dem Konsul gegenüber ein bißchen weniger unverblümt verhalten. Genauso wie ich mir wünschen würde, daß ich es wagen würde, dich hier zu behalten. Aber ich habe ziemlich hart daran gearbeitet, um Claudius bloßzustellen. Nun darf man ihm nicht die geringste Gelegenheit bieten, um sich selbst zu decken. Zuviel hängt davon ab. Aber hör auf mich und - denke immer daran, was ich zu dir gesagt habe: lüge, wenn es geht. Wenn dir ein Fluch auf Syrakus das Leben retten kann, dann verfluche es. Die Götter lachen über erzwungene Eide. Es wäre kein Verrat.«