Am nächsten Morgen schickte Maximus einen Herold nach Syrakus, um König Hieron um eine Unterredung zu bitten. Der König war sofort damit einverstanden. Auf der Ebene unterhalb des Eurya-lus-Forts trafen der römische Konsul und der griechische Monarch zusammen. Zu seiner Überraschung mußte Maximus feststellen, daß Hieron ein angenehmer und vernünftiger Mann war. Laut Appius Claudius hatte er ein verschlagenes, kriegslüsternes Monster erwartet.
Die Verhandlungen erstreckten sich über drei Tage. Sobald sich Rom auf einen Kampf eingelassen hatte, hatte es die Angewohnheit, nichts anderes als die völlige Unterwerfung seines Gegners zu akzeptieren. Und auch wenn es sonst seine Besiegten durchaus großzügig behandelte, so forderte es von seinem neuen »Verbündeten« doch immer, daß er Truppen zum Kampf für Rom zur Verfügung stellte. Dies war genau die Bedingung, die Hieron am entschiedensten ablehnte. Wenn Syrakuser kämpfen und sterben sollten, dann nur für ihre eigene Stadt und nicht für Fremde. Syrakus würde souverän und unabhängig bleiben, oder der Krieg ginge weiter. Syrakus konnte nicht auf einen Sieg hoffen, aber andererseits konnten auch die Römer weder darauf hoffen, es zu schwächen, noch konnten sie es sich leisten, diese Stadt zu ignorieren. Endlich gab Rom nach vielem Zögern nach und schloß einen Vertrag, wie es ihn noch nie vorher geschlossen hatte.
Rom erkannte nicht nur die Unabhängigkeit von Syrakus an, son-dern garantierte der Stadt außerdem das Recht, das ganze östliche Sizilien zu regieren. Ein Gebiet, das von Tauromenion, knapp südlich von Messana, bis Helorus auf der Südspitze der Insel reichte. Damit behielt Syrakus faktisch das gesamte Territorium, das es schon vor dem Krieg besessen hatte, einschließlich sämtlicher Städte, die kürzlich zu Rom übergelaufen waren. Das ganze Land wurde zur kriegsfreien Zone erklärt, das heißt, es war selbst gegen die Angriffe der Mamertiner, dieser miesesten Verbündeten Roms, geschützt. Dagegen erklärte sich Syrakus für seinen Teil bereit, den Römern Nachschub für einen Feldzug gegen die Karthager in Sizilien zu liefern und im Laufe von fünfundzwanzig Jahren eine Kriegsentschädigung von hundert Silbertalenten zu zahlen. Der jüngste Schub römischer Gefangener wurde ohne Lösegeld zurückgegeben.
Der Vertrag wurde mit einem Austausch von Eiden und Opfern an die Götter besiegelt. Beide Seiten feierten das Ereignis mit Festen und ehrlicher Erleichterung. Rom konnte sich nun auf Karthago konzentrieren, und Syrakus war nach gefährlicher Fahrt im friedlichen Hafen eingelaufen.
Während sich die Römer zur Rückkehr nach Messana rüsteten und dazu ihre Belagerungsmaschinerie abbauten, gingen zwei Männer der Zweiten Legion zu ihren Tribunen und baten um die Erlaubnis, sich in die Stadt begeben zu dürfen, um eine Schuld zu begleichen. Da der eine ein Centurio der Legion war und der andere sein Stellvertreter, wurde die Erlaubnis gewährt. So stiegen Quintus Fabius und Gaius Valerius langsam die Straße zu jener Stadt hinauf, die sie im Jahr zuvor bei Nacht verlassen hatten.
Es war ein Morgen im August, und ringsherum lag das Land ausgedörrt in der Sommersonne. Auf den offenen Feldern zirpten laut die Zikaden, die Straße war weiß vor Staub. Fabius klopfte sich seinen Centuriostab aus Rebenholz beim Gehen gegen den Oberschenkel. Eigentlich hatte er gar nicht mitkommen wollen, aber Gaius brauchte einen Dolmetscher. Auf eine schlecht zu definierende, schuldbewußte Art war er Gaius verpflichtet, denn er hatte ihm Kummer bereitet. Fabius war im Laufe des vergangenen Jahres sehr rasch befördert worden und hatte die Vorteile, die sich daraus ergaben, dazu benutzt, um auch Gaius hinter sich durch die Ränge zu schleifen. Und schuld daran war auch hier wieder dieses merkwürdig dunkle Pflichtgefühl.
Sie hatten das Epipolae-Tor des Euryalus-Forts erreicht, wo sie die syrakusischen Wächter mißtrauisch musterten. Nachdem ihnen Fabius in unbeholfenem Griechisch ihren Auftrag erklärt hatte, durften sie passieren, mußten aber zuvor ihre Waffen am Tor deponieren. Einer der Wachsoldaten begleitete sie in die Stadt hinein. Der Friede war noch ganz neu, und außerdem traute man ihnen nicht, schon gar nicht, wenn es um ein ganz bestimmtes Haus ging, das sie als Ziel angegeben hatten.
Sie überquerten das Kalksteinbuschland des Plateaus, ließen die Hütten des Tycheviertels hinter sich und stiegen von der Anhöhe in die Marmorpracht der Neapolis hinab. Beide warfen einen scheuen Blick zu den Klippen hinüber, die zu ihrer Linken über dem Theater aufragten. Unter dieser Plateaukante lagen die Steinbrüche. Aber ihr Begleiter führte sie durch die Neapolis zur Zitadelle der Ortygia hinauf.
Das Haus, nach dem sie suchten, lag auf der Nordseite der Ortygia, nicht weit von der Seemauer entfernt. Es war ein großes Haus, das man erst vor kurzem frisch bemalt hatte, denn auf der Vorderseite prangte ein leuchtend rot-weißes Muster, das weder von der Sonne ausgebleicht noch vom Staub überzogen war. Der Wachsoldat vom Euryalus klopfte an die makellose Tür.
Gaius Valerius stand auf der sonnigen Eingangsstufe und hörte der Erklärung des Wachsoldaten und den zweifelnden Antworten eines jungen Türhüters zu. Das alles ging in jener rasend schnellen, musikalischen Sprache vor sich, die er nicht verstehen konnte. Er hatte dieses Treffen unbedingt gewollt, aber jetzt wunderte er sich, warum er sich überhaupt die Mühe gemacht hatte. Wegen Marcus. Was hatte Marcus davon? Was hatte irgend jemand davon? Trotzdem klammerte er sich an das kleine Päckchen, das er mitgebracht hatte, und fragte Fabius: »Was soll diese Verzögerung?«
»Der Sklave meint, sein Herr sei bei der Arbeit und möchte dabei nicht gern gestört werden«, antwortete Fabius. Dann warf er eine Bemerkung in das intensive Gespräch zwischen dem Sklavenjungen und dem Wachsoldaten ein. Beide drehten sich um und schauten ihn an. Der Sklave blinzelte, dann zuckte er die Schultern, trat zurück und machte für sie die Tür auf.
»Was hast du gesagt?« erkundigte sich Gaius, während er eine kühle Marmorhalle betrat.
»Daß wir lediglich ein Eigentum seines Herrn zurückgeben möchten«, sagte Fabius.
Der Knabe ging vor ihnen her. Zuerst kamen sie durch eine Säulenhalle, die einen Garten umschloß, der nach der Hitze der Straße grün und kühl wirkte, dann ging es durch einen schmalen Gang in eine zweite Säulenhalle hinein, vorbei an Küche und Garten, bis sie zu einer Werkstatt kamen, die wie ein Teil eines ganz anderen Hauses wirkte. Der Boden bestand aus gestampftem Lehm, und an den Wänden stapelten sich bis oben hin Holzblöcke. Mitten im Raum stand eine mehr als halb mannshohe, unheimliche Holzkiste, die mit Blei beschlagen war. Auf der einen Ecke lag ein Becken mit zwei großen, sauberen Löchern, während sich auf der übrigen Oberfläche Leder-, Holz- und Knochenreste sowie ein Schmiedebalg verteilten. Das Gerät machte einen verlassenen Eindruck, egal, wofür es gedacht war. Die einzige Person im Raum war ein junger Mann, der ganz in der Nähe auf einem niedrigen Schemel kauerte, intensiv in eine Schatulle mit hellem Sand starrte und dabei auf einem Zirkelgelenk herumkaute. Gaius hate ihn zwar schon einmal Flöte spielen hören, hatte aber noch nie sein Gesicht gesehen. Trotzdem wußte er sofort, wer es war: der Zauberer, der die Sandkörner zählen konnte und das Wasser bergauf fließen ließ, die Zusatzarmee von Syrakus, der ehemalige Herr seines Bruders.
»Herr«, sagte der Sklavenjunge mit großem Respekt. Man hatte ihn erst im vorigen Winter gekauft, und er hatte vor seinem neuen Herrn noch Ehrfurcht.
Archimedes hob die Hand, was soviel wie Warte-eine-Minute bedeuten sollte, und starrte weiter auf das Muster im Sand.
Der Junge schaute die Besucher an und zuckte hilflos die Schultern.
Gaius räusperte sich, dann rief er: »Archimedes?«
Archimedes gab eine genuschelte Antwort an seinem Zirkel vorbei, doch dann erstarrte er plötzlich. Mit einem freudigen Lächeln auf dem Gesicht riß er den Kopf hoch. Einen Augenblick sah sich Gaius einem hellbraunen Augenpaar gegenüber, das ihn voller Erwartung anschaute. Dann wurde die Freude schwächer, die Augen nahmen einen verblüfften Ausdruck an.