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»Fahren Sie fort.«

»In Zeiten des Umbruchs ist das nicht ungewöhnlich. Mächte, die sich neu konstituieren, pflegen vorhandene Symbole zu übernehmen und unschädlich zu machen, indem sie ihnen die ursprüngliche Bedeutung rauben und allmählich herabwürdigen. Die heidnischen Symbole haben den Kampf mit den christlichen Symbolen verloren. Der Dreizack des Neptun pervertierte zur Mistgabel des Teufels, der spitze Hut der weisen Frauen wurde zum Hexenhut gemacht, und der fünfzackige Venusstern zum Pentagramm des Teufels.« Langdon hielt inne. »Zu allem Unglück hat auch das Militär der Vereinigten Staaten zur Perversion des Pentagramms beigetragen und es zu seinem kriegerischen Hoheitszeichen umfunktioniert. Man malt den fünfzackigen Stern auf sämtliches Kriegsgerät und heftet ihn auf die Schulterstücke der Generäle.« So viel zur Göttin der Liebe und der Schönheit.

»Interessant«, sagte Fache und deutete mit dem Kopf auf den nackten Leichnam, der mit ausgestreckten Gliedmaßen am Boden lag. »Und was fällt Ihnen zu dieser Körperhaltung ein?«

Langdon zuckte die Schultern. »Sie unterstreicht nur den Bezug zum Pentagramm und der Göttlichkeit des Weiblichen.«

Faches Miene verdüsterte sich. »Wie darf ich das bitte verstehen?«

»Replikation. Die Wiederholung eines Symbols ist die einfachste Methode, seine Bedeutung zu verstärken. Jacques Saunière hat einen fünfzackigen Stern aus sich gemacht.« Zwei Pentagramme sind besser als eins.

Faches Blicke zeichneten die fünf Sternspitzen von Saunières Beinen, Armen und Kopf nach. Wieder strich er sich über das ölige Haar. »Eine interessante Interpretation.« Er hielt inne. »Und die Nacktheit?«, sagte er dann mit einer ungnädigen Betonung auf dem letzten Wort. Der Anblick eines gealterten männlichen Körpers schien ihm gegen den Strich zu gehen. »Warum hat er sich nackt ausgezogen?«

Verdammt gute Frage, dachte Langdon. Sie hatte ihm zu schaffen gemacht, seit er das Polaroidfoto gesehen hatte. Am wahrscheinlichsten kam ihm noch die Lesart vor, dass ein nackter Körper einen zusätzlichen Hinweis auf Venus lieferte – die Göttin der menschlichen Sexualität. Selbst heute noch zeigte sich in der Bezeichnung der Geschlechtskrankheiten als »venerische« Krankheiten die ursprüngliche Assoziation von Venus mit der geschlechtlichen Vereinigung von Mann und Frau. Doch Langdon zog es vor, nicht näher darauf einzugehen.

»Die Frage, warum Saunière sich dieses Symbol aufgemalt und weshalb er diese Haltung eingenommen hat, kann ich Ihnen nicht beantworten, Monsieur Fache, aber eines ist sicher: Für einen Mann wie Jacques Saunière war das Pentagramm das Zeichen der weiblichen Gottheit. Diese Beziehung ist unter Historikern und Symbolologen unumstritten.«

»In Ordnung. Und die Benutzung von Blut als Tinte?«

»Ganz einfach: Offenbar hatte Saunière nichts anderes zum Schreiben.«

»Ich bin eher der Meinung«, sagte Fache nach einem Augenblick des Schweigens, »dass er Blut benutzt hat, damit die Polizei zu bestimmten forensischen Methoden greift.«

»Jetzt müssen Sie mir weiterhelfen.«

»Sehen Sie sich seine linke Hand an.«

Langdons Blick glitt den blassen ausgestreckten Arm des Museumsdirektors entlang, konnte jedoch nichts entdecken. Neugierig geworden ging er um die Leiche herum und kauerte sich nieder. Zu seiner Überraschung bemerkte er, dass der Tote einen großen Filzschreiber umklammert hielt.

»Als wir Saunière auffanden, hatte er den Schreiber in der Hand«, sagte Fache. Er trat an einen seitwärts aufgestellten Klapptisch mit allerlei Gerätschaften, Kabeln und elektronischen Apparaten heran. »Wie ich Ihnen schon sagte, haben wir alles so gelassen, wie es war.« Er kramte auf dem Tisch herum. »Kennen Sie diese Filzschreiber?«

STYLO DE LUMIERE NOIRE.

Überrascht blickte Langdon auf.

Diese Schwarzlicht-Schreiber waren ursprünglich zur Verwendung in Museen, durch Restauratoren und Ermittlungsbehörden entwickelt worden, um Gegenstände mit unsichtbaren Markierungen zu versehen. Sie waren mit einer wetterfesten fluoreszierenden Flüssigkeit auf Alkoholbasis gefüllt, die erst unter ultraviolettem Licht sichtbar wurde. Heutzutage benutzten die Restauratoren der Museen diese Schreiber bei ihren Rundgängen, um auf dem Rahmen restaurierungsbedürftiger Gemälde eine entsprechende Markierung anzubringen.

Während Langdon sich erhob, ging Fache zum Scheinwerfer und schaltete ihn aus. Die Galerie versank in plötzlicher Dunkelheit.

Langdon konnte für kurze Zeit nichts mehr erkennen. Dann näherte sich Fache, in ein sattes Violett getaucht und mit einer Art Taschenlampe in der Hand.

»Wie Sie vielleicht wissen«, meinte er, wobei seine Augen violett fluoreszierten, »benutzt die Polizei auch UV-Licht, um einen Tatort auf Blutspuren und andere forensische Hinweise zu untersuchen. Sie können sich gewiss unsere Überraschung vorstellen, als wir … « Unvermittelt richtete er die Lampe auf den Toten.

Langdon sprang vor Schreck einen Schritt zurück. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, als er das bizarre Bild in sich aufnahm, das vor seinen Augen auf dem Parkettboden erschien. In violett fluoreszierender Leuchtschrift erglühten die letzten Worte des Museumsdirektors neben seiner Leiche. Je länger Langdon auf den geisterhaft schimmernden Text starrte, umso mehr schien sich der Nebel zu verdichten, der schon den ganzen Abend um ihn wogte.

Erneut las er die Botschaft. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte er dann und blickte Fache an.

Dessen Augen leuchteten lila. »Genau das, Monsieur, ist die Frage, auf die wir von Ihnen gern eine Antwort hätten.«

Leutnant Collet war inzwischen zum Louvre zurückgekehrt. Im nicht allzu weit entfernten Büro Saunières saß er über ein Aufnahmegerät gebeugt am riesigen Schreibtisch des Museumsdirektors. Er war guter Dinge. Nur das Modell des mittelalterlichen Ritters in seiner Rüstung, das an einen Roboter erinnerte und ihn von der Seite her anstarrte, störte ihn ein wenig. Collet setzte den AKG-Kopfhörer auf und pegelte den digitalen Recorder aus. Er war auf Aufnahme geschaltet. Das Mikrofon funktionierte einwandfrei, das Signal kam kristallklar.

Le moment de la vérité, sinnierte er. Der Augenblick der Wahrheit.

Lächelnd schloss Collet die Augen und lehnte sich zurück, um auch den Rest des aus der Grande Galerie übertragenen Gesprächs zu genießen, das er hier draußen aufnahm.

7. KAPITEL

In der Kirche Saint-Sulpice gab es im Obergeschoss neben der Orgelempore eine spartanisch eingerichtete Zweizimmerklause mit Steinfußboden. Die bescheidene Unterkunft war seit mehr als zehn Jahren das Heim von Schwester Sandrine Bieil. Ihre offizielle Adresse war das nahe Kloster, falls jemand danach fragte, aber in der Kirche fand sie es ruhiger. Mit einer kleinen Bettstatt, einem Telefon und einer Kochplatte hatte sie es sich hier für ihre Begriffe recht gemütlich gemacht.

Als conservatrice d'affaires der Kirche war Schwester Sandrine für alle nichtreligiösen Aspekte des Kirchenbetriebs verantwortlich, etwa die Hausverwaltung, die Einstellung von Hilfs- und Reinigungskräften und Fremdenführern, das Verschließen des Gebäudes am Abend, die Bestellung von Messwein und Oblaten für die heilige Kommunion und vieles andere mehr.

Das Schrillen des Telefons ließ sie in ihrem kleinen Bert hochfahren. Schlaftrunken griff sie nach dem Hörer.

»Sœur Sandrine, Eglise Saint-Sulpice

»Hallo, Schwester«, sagte der französische Anrufer.

Schwester Sandrine setzte sich auf. Wie viel Uhr ist es eigentlich: Sie erkannte die Stimme ihres Vorgesetzten. In fünfzehn Jahren war es noch nie vorgekommen, dass er sie aus dem Schlaf geklingelt hatte. Der Abbé war ein frommer, tief religiöser Mann, der sich nach der Abendmesse stets sofort nach Hause und unverzüglich zu Bett begab.